Duisburg. Drogen, Alkohol und immer wieder Rückfälle: Duisburger sprechen offen über ihre Sucht – und über eine besondere Gruppe, die ihnen Halt gibt.

Ein Dromedar prangt an der Scheibe eines Ladens an der Alten Rheinstraße 36 in der Duisburger Altstadt. Dabei heißt die Selbsthilfegruppe, die sich hier trifft „Dromeda“. Das mit dem fehlenden „r“ ist kein Rechtschreibfehler, es ist eine Abkürzung für DROgen, MEDikamente, Alkohol. Man könnte die Wahl des Wappentiers als humorig-trotzige Reaktion auf jene ansehen, die immer wieder auf die vermeintlich korrekte Schreibweise hinweisen. Aber der Kampf gegen eine Sucht gleicht auch einem langen Marsch durch eine Wüste.

„Zu uns kann jeder kommen, der trocken und clean werden will“, betont Hannes Schulze, der sich seit vielen Jahren in der Gruppe engagiert. Der 60-Jährige hat selber eine lange Suchtgeschichte durchlebt, in der Cannabis, Kokain, Heroin und Alkohol eine Rolle spielten. „Als ich Kind war, wohnten wir über einer Kneipe“, erzählt er. Die sei sein zweites Wohnzimmer gewesen. Mit 16 begann er zu kiffen und „richtig zu saufen“. Später kamen harte Drogen dazu. Hannes machte im Jahr 2000 seine erste Therapie. „Irgendwann war ich die Drogen los. Da ging es aber erst richtig mit dem Alkohol los.“ Der hätte ihn fast umgebracht. Seit etlichen Jahren ist Hannes nun clean und trocken.

Schulzes Hund „Ela“ ist das Maskottchen der Gruppe und manchmal auch ein Therapiehund.
Schulzes Hund „Ela“ ist das Maskottchen der Gruppe und manchmal auch ein Therapiehund. © Bodo Malsch

Duisburger gesteht: „Ohne die Gruppe hätte ich mich tot gesoffen“

Das, so gesteht er, hätte er ohne die Hilfe von Menschen mit gleichen Erfahrungen kaum geschafft. „Ohne Therapie geht es nicht“, weiß Hannes. „Aber die Umsetzung im Alltag ist ohne eine Selbsthilfegruppe fast unmöglich.“ Freunde und Familie seien sehr wichtig. „Aber wer zu uns kommt, trifft auf Menschen, die alles selbst erlebt haben. Hier verurteilt dich niemand.“ Sein Engagement bei „Dromeda“ war für Schulze lebensrettend. „Ohne die Gruppe hätte ich mich tot gesoffen.“

Seinen Kampf gegen die Sucht hat er zum Beruf gemacht. Er ist Suchtberater. „Meine Tätigkeit für Dromeda ist aber ehrenamtlich.“ Genau wie die Vorstandstätigkeit für den gleichnamigen Verein, der beispielsweise die Miete für den Treffpunkt finanziert. Ein Teil der Kosten wird von den Krankenkassen im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtung zur Förderung gesundheitlicher Selbsthilfe beigesteuert.

Mehrfach musste die Gruppe aber schon den Standort wechseln, weil Mieten zu teuer wurden, soziale Einrichtungen, bei denen „Dromeda“ Untermieter war, den Raum selber brauchten. Ende 2021 mietete die Gruppe das ehemalige Ladenlokal in der Altstadt und verwandelte es mit viel Eigenarbeit in einen gemütlichen Treffpunkt. Für viele ist es weit mehr als das.

Hannes Schulze im Gespräch mit Matthias und Roy. „Süßigkeiten gibt es bei uns immer“, erklären sie die Unordnung auf dem Tisch.
Hannes Schulze im Gespräch mit Matthias und Roy. „Süßigkeiten gibt es bei uns immer“, erklären sie die Unordnung auf dem Tisch. © Bodo Malsch

„Ein Rückfall kann dich jederzeit erwischen.“

Zum Beispiel für Roy (36), der vor gut zwei Jahren dazu stieß. Er hat 20 Jahre lang nach eigenen Angaben fast jede Droge konsumiert. In der Therapie habe er begriffen, dass man Sucht als Krankheit annehmen müsse. Und er hat sein Leben umgekrempelt. „Gerade läuft die Scheidung. Mein Ex findet nämlich immer noch nichts dabei, dass er Drogen nimmt.“ Sein Arbeitgeber wisse von der Suchterkrankung. „Ich gehe damit offen um.“ Seit 22 Monaten ist Roy clean. „Ohne die Gruppe würde ich es nicht schaffen. Du brauchst Leute, die wissen, wovon du sprichst.“ Und das passiere nicht nur bei zwei Treffen pro Woche. Der harte Kern der Selbsthilfegruppe bestehe aus einem Dutzend Menschen. „Wir halten Kontakt“, erzählt Roy. Wenn es jemandem mies gehe, könne er immer zum Telefon greifen.

Ähnliches berichtet Matthias. Der 42-Jährige ist schon seit zehn Jahren in der Gruppe. Damals zog er nach Duisburg, um alte Kontakte zur Drogenszene hinter sich zu lassen. „Als ich zu Dromeda kam, hat das vom ersten Moment an gepasst. Inzwischen muss ich die meisten Leute nicht erst fragen, wie es ihnen geht. Ich höre das an der Stimme oder sehe es am Gesicht.“ Die Gefahr eines Rückfalles bestehe immer: „Das erste Jahr Abstinenz ist das Schwerste. Aber es kann dich jederzeit erwischen.“

Hündin „Ela“ ist die heimliche Chefin

„Wir begegnen uns hier auf Augenhöhe“, betont Hannes Schulze. „Hier muss man nicht im Kreis sitzen und jeder kommt mal dran. Das sind doch alles erwachsene Menschen. Und es gibt auch keinen Chef.“ Wenn man mal von „Ela“ absieht, die diese Behauptung mit einem Gähnen kommentiert und sich wahrscheinlich denkt: „Quatsch. Hier bin ich doch die Chefin.“ Schulzes Hund ist nämlich das Maskottchen und so etwas wie der Therapiehund der Gruppe.

„Süchtige sind besonders sensible Menschen“, glaubt Hannes Schulze. Deshalb würden sie auch aus der Bahn geworfen: „Das kann ein Todesfall sein, das Ende einer Beziehung, eine Veränderung des Arbeitsplatzes.“ Der Wunsch nach Ablenkung, nach Vergessen, führe vom Gebrauch über den Missbrauch in die Abhängigkeit. Die damit verbundene Scham mache den Teufelskreis perfekt.

„Sucht hat viele Gesichter“, weiß Schulze. Drogen, Medikamente, Alkohol, Glücksspiel, Sex und neuerdings auch das Internet. „Oft genug ersetzt dabei eine Abhängigkeit nur die andere.“ Da sei professionelle Hilfe nötig. Und es brauche Menschen, denen es schon genau so erging. Nichts sei schlimmer als aufmunternd gemeinte Ratschläge der Marke „Reiß dich doch mal zusammen“ oder vermeintliche Lebensweisheiten wie „Wer saufen kann, kann auch arbeiten.“ So etwas helfe nicht gegen eine Krankheit, die eine Persönlichkeit völlig zerstören und einen Menschen töten kann.

>> Der Kontakt zur Gruppe „Dromeda“

Treffen und Kontakt: „Dromeda“, Alte Rheinstraße 36, 47051 Duisburg. Gruppentreffen dienstags und freitags 18 Uhr. Ansprechpartner: Michael Jenschke 0157 84628665, Hannes Schulze 0163 2414442.