Duisburg-Duissern. Zu den 16 Duisburger Top-Wohnlagen gehört die Siedlung Werthacker. Das ist eine Überraschung – selbst für die Bewohner. Ein Besuch vor Ort.
1A-Wohnlagen in Duisburg? Da fällt vielen direkt der Alte Angerbach in Huckingen ein. Der Kaiserberg. Vielleicht auch Teile von Rahm. Aber der Werthacker? Diese Siedlung, die mitten im Spaghetti-Knoten liegt? Aber es stimmt tatsächlich: Laut Wohnlagenkarte für Duisburg gehört der Werthacker zu den „sehr guten“ Wohnlagen der Stadt. Aber ist das Wohnen hier wirklich top?
Top-Wohnlage mit Heimatgefühl: „Wir haben hier eine so tolle Gemeinschaft“
Fest steht: Wer in der kleinen Ansiedlung am Ruhrdeich lebt, der möchte nicht weg. „Wir haben hier eine so tolle Gemeinschaft“, schwärmt Hans-Georg Petermann. Schon sein Großvater hat im Werthacker gelebt, und auch für den 63-Jährigen kommt nichts anderes in Frage.
Ähnlich sehen es die anderen Bewohner. Regelmäßig treffen sie sich in ihrer kleinen Kneipe „Siedlerklause“, um ein Bierchen zu trinken. 30 Veranstaltungen pro Jahr finden hier statt, dafür gibt es extra einen Festausschuss mit zwölf Mitgliedern. Man kennt sich, man hält zusammen. Es ist ein bisschen wie auf dem Dorf, obwohl mitten in der Stadt: Die Vorgärten sind gepflegt, die Wege sauber, die Stimmung ist gut. Doch die Ruhe trügt.
Hinter den Gartenzäunen liegt Duisburgs wohl größte Baustelle
Ein dumpfes Knallen rüttelt an den Häusern der Straße „Werthacker“, einer der Hauptstraßen in der Siedlung. Dann ein Rumpeln, nochmal und nochmal. „Das kommt von den Bauarbeiten an der Autobahn“, erklärt Harald Verfürth, und der 66-Jährige muss seine Stimme heben, um sich verständlich zu machen.
Denn hinter den adretten Gartenzäunen liegt Duisburgs wohl größte Baustelle: In den kommenden acht Jahren wird das Kreuz Kaiserberg, das die A3 und die A40 verbindet, fit für die Zukunft gemacht.
Für die Bewohner bedeutet das jede Menge Strapazen. Um Platz für Kräne und Bagger zu schaffen, mussten einige der Siedler sogar Teile ihrer Grundstücke abgeben. Bäume, die vor Jahrzehnten als Sicht- und Schallschutz gepflanzt worden waren, wurden abgeholzt. Seitdem blickt mancher Hauseigentümer direkt auf die hunderte Pkw und Lkw, die tagtäglich über die A3 donnern. Schön ist das nicht.
Laut ist es. Zwar sind die Menschen im Werthacker an Krach gewöhnt. Auch ohne Baustellen ist es in der Siedlung, die von zwei Seiten von Autobahnen und an einer Seite von einer siebengleisigen Bahnstrecke umzingelt ist, selten ganz still. Doch die Lärmbelastung hat seit dem Umbau des Kreuzes Kaiserberg nochmal deutlich zugenommen.
Einmal hat die Baustelle die Anwohner sogar mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen: Im Herbst vergangenen Jahres war es „wie ein Erdbeben“, berichtet Hans-Georg Petermann. Seine Vermutung: „Da müssen beim Abriss Brückenteile runtergekracht sein.“ Doch das ist noch längst nicht alles.
Bauarbeiten gibt‘s auch auf der anderen Seite der Siedlung
Denn auch am Ruhrdeich wird gebaut. Die alten Bahnbrücken müssen saniert werden. Das passiert rund um die Uhr. „Wenn es nachts zu laut wird, können wir uns ein Hotelzimmer nehmen“, erzählt Anwohnerin Brigitte Verfürth. Schlimm sei aber vor allem der Krach am Tage. Das sei manchmal kaum auszuhalten.
Und zu „guter“ Letzt, als ob Lärm und Emissionen nicht schon genug wären, gibt es noch etwas, worunter die Siedler leiden: Auch die Infrastruktur im Werthacker ist ein Problem. Denn sie ist so gut wie nicht vorhanden. Es gibt keinen Kindergarten, keine Schule, keinen Supermarkt, keinen Arzt und keinen Bäcker. Die Bewohner müssen improvisieren. „Ich habe immer einen Vorrat im Haus, und sonntags gibt es Aufbackbrötchen“, sagt Brigitte Verfürth und lacht.
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Früher hätte man mal in einem Lebensmittelladen einkaufen können, aber der sei lange weg. Für die 64-Jährige und die anderen Menschen im Werthacker ist das eigene Auto deswegen ein Muss. „Ich frag’ mich schon, wie macht man das, mit 90 oder so, dann musst du zu Hause bleiben oder mit dem Rollator zur Haltestelle und auf den Bus warten.“ Noch ist Verfürth mobil. „Aber wir fahren den Enkel 20 Minuten zum Kindergarten“, erzählt die Duisburgerin.
Häuser im Werthacker werden zumeist vererbt
Das liegt auch daran, dass den Menschen wegen der Kreuz-Kaiserberg-Baustelle die schnelle Verbindung nach Duissern genommen wurde: Die Brücke Schwiesenkamp, die für die Siedlung eine wichtige Verbindungsachse ist, musste gesperrt werden. Über die Brücke waren früher auch die Kinder der Siedlung zur Schule geradelt. Die einzige Alternative führt nun über den Ruhrdeich, der nicht beleuchtet und viel befahren ist. Immerhin: Nach Gesprächen mit der Autobahn GmbH wurde inzwischen ein Shuttle eingerichtet. Ein Bus bringt die Kinder an Schultagen zur Schweizer Straße.
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Lärm, schlechte Infrastruktur, dazu quasi vom Rest von Duisburg abgeschnitten – sieht so wirklich eine Top-Wohnlage aus? Rundum zufrieden sind die Menschen im Werthacker jedenfalls nicht. Und doch: Häuser hier kommen nur selten auf den freien Wohnungsmarkt. „Die werden alle vererbt“, erklärt Harald Verfürth. Und tatsächlich soll es zuletzt eine Frau gegeben haben, die sich auf eine Warteliste setzen ließ und ein Jahr lang wartete, bevor sie endlich ins Eigenheim ziehen konnte.
„Wir haben uns hier alle unsere eigenen Paradiese gebaut“
Was macht sie also aus, die Faszination Werthacker? Dass ihre Siedlung eine Duisburger 1a-Lage sein soll, finden die Bewohner kurios. Jedenfalls im Moment. Am Ende ist es immer wieder die Tradition, die Gemeinschaft, der Zusammenhalt, der sie im Werthacker hält. „Wir sind einfach bescheuert“, sagt Hans-Georg Petermann und lacht. Er liebt das Kartenspielen mit Freunden, Nachbarn und Familie auf der Terrasse. Und natürlich das Gefühl von Heimat: „Wir haben uns hier alle unsere eigenen Paradiese gebaut“, fasst der 63-Jährige zusammen und muss etwas lauter sprechen. Nebenan auf der Baustelle rammen sie gerade wieder Stahlträger in den Boden.
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Sanierung am Kreuz Kaiserberg dauert bis 2032
- Bis 2032 wird die umfassende Sanierung des Kreuzes Kaiserberg dauern.
- Bei Arbeiten, die besonders viel Krach machen, haben die Bewohner der Siedlung Werthacker die Option, in ein Hotelzimmer zu flüchten.
- Dass es im Herbst 2022 in der Nacht eine große Erschütterung gab, bekennt auch Tobias Fischer von der Autobahn GmbH in einem Brief, der der Redaktion vorliegt. Dort heißt es, er sei „ob der Stärke der Erschütterungen auch überrascht“ gewesen.
Karte mit Duisburgs Top-Wohnlagen kann online eingesehen werden
- Im Internet findet sich die detaillierte Karte, die der Gutachterausschuss für Grundstückswerte erstellt hat.
- Das Expertengremium, zugleich auch Landesbehörde, möchte damit die Transparenz auf dem Grundstücksmarkt verbessern.
- Die Karte ist vierstufig aufgebaut und teilt das Stadtgebiet in „einfache“, „mittlere“, „gute“ und „sehr gute“ Wohnlagen ein. Die einzelnen Kategorien werden farblich unterschiedlich dargestellt.
- Die Daten für die Indikatoren von der Bevölkerungsdichte bis hin zu Lärmimmissionen werden von der Stadt Duisburg erfasst und dem Gutachterausschuss für Grundstückswerte bereitgestellt.