Duisburg. Ein Date zerstört Christians Leben: Vor laufender Kamera wird er Opfer einer Gewalt-Orgie. Seine Warnung: „Macht nicht den gleichen Fehler.“
Der 8. Oktober hat das Leben von Christian* für immer verändert: Es hätte ein erstes Treffen sein können mit einem Mann, den er über eine Dating-App kennengelernt hatte. Ein Weinabend nach Wochen des virtuellen Kontakts. Es wurde ein Alptraum, der bis heute nicht endet.
Der Mittvierziger aus Duisburg ist seither psychisch krank, er hat seinen geliebten Job verloren, leidet an Panikattacken, wenn er aus dem Haus muss. Und all das, weil er es noch mal versuchen wollte mit der Liebe.
Opfer aus Duisburg warnt vor perfider Masche in Dating-Apps
Sein Schmerz sitzt tief und dennoch hat er es auf sich genommen, die Redaktion zu besuchen, um andere Menschen zu warnen. Es sollen nicht noch mehr Opfer eines so perfiden Vertrauensbruchs werden. „Wenn meine Geschichte nur einen anderen davor bewahrt, dann hat es wenigstens einen Sinn gehabt“, sagt Christian.
Was ihm geschehen ist, soll hier nur in Ansätzen geschildert werden. Für zart besaitete Gemüter dennoch an dieser Stelle eine Triggerwarnung.
Christian hat lange mit einem Partner zusammengelebt. Nach dessen Tod war er einige Jahre Single. Familiäre Verpflichtungen und ein herausfordernder Job ließen wenig Zeit, neue Menschen kennenzulernen. Deshalb folgte er schließlich dem Rat seiner Freunde, sich auf einer Dating-Plattform anzumelden.
Nach dem ersten Glas Wein kommt der Filmriss
Schnell kam er ins Gespräch mit einem Mann, der charmant wirkte, großes Interesse zeigte. „Er hat mir viele Komplimente gemacht, das hat so gutgetan, ich fühlte mich wie auf Wolke 7“, erinnert sich Christian. Nach 14 Tagen intensiven Schreibens bekam er die Einladung zu einem Weinabend in dessen Wohnung in Düsseldorf. Er habe sich nichts dabei gedacht, sei voller Vorfreude hingefahren.
Gestutzt hatte er zwar, dass der Name mit einem Klebeschild über die Klingel geklebt war, aber das war schnell vergessen. „Er hat mich zur Begrüßung in den Arm genommen, wirkte total sympathisch, die Wohnung war solide, normal.“ Die beiden stoßen an, trinken ein Glas Wein, „und dann habe ich nicht mehr viel gemerkt“, sagt Christian. Ihm sei komisch heiß geworden, dann konnte er nicht mehr klar gucken. Filmriss.
Betäubungsmittel in hohen Dosen im Blut gefunden
Erst am nächsten Morgen wird er allein in dieser Wohnung wach, nackt, benebelt, er kann kaum sprechen, ist wie im Tunnel. Um ihn herum sind Kameras aufgebaut, auf einem Fernseher läuft ein Porno.
Er greift seine Sachen, rennt raus auf die Straße, spricht Passanten an und bittet sie, die Polizei zu rufen. Eine Streifenwagenbesatzung kommt. „Aber die haben vermutlich gedacht, dass ich ein Junkie bin und haben nur die Augen verdreht.“ Hilfe bieten sie ihm nicht an, sagt Christian.
Er kämpft sich mit der Bahn nach Hause, wo seine Nachbarin angesichts seines desolaten Zustands sofort einen Krankenwagen alarmiert. Im Blut sei eine Mixtur von Betäubungsmitteln gefunden worden, in Dosen, die er fast mit seinem Leben bezahlt hätte, so zitiert Christian die Ärzte.
Ein weiterer Angriff auf sein Leben und alle, die ihm lieb sind, wird parallel gefahren: Eine SMS ploppt auf seinem Handy auf mit einer eindeutigen Drohung: Solltest du die Polizei rufen, gehen diese Videos online und diese Menschen werden informiert. Es folgen Screenshots von Whatsapp-Verläufen mit seiner im Sterben liegenden Mutter, mit seinem Arbeitgeber. Sein Handy, das mit einer Gesichtserkennung gesperrt ist, hatte in der Nacht offenbar jemand geöffnet.
Es ist eine Vergewaltigung auf Bestellung
Die Videos zeigen ihn in der Wohnung. Sein persönlicher Filmriss bekommt Farbe, Full HD. Christian wird klar, dass er mit K.-o.-Tropfen bewusstlos gemacht wurde, zum unfreiwilligen Protagonisten einer brutalen Orgie.
Vor Ort waren demnach mehrere Männer beteiligt. Was sie taten, wurde live gestreamt in Portalen wie „OnlyFans“ oder „Just for Fans“, über das Menschen spezielle Wünsche äußern können, wenn sie dafür zahlen. Stundenlang läuft diese Vergewaltigung auf Bestellung mit dem bewusstlosen Mann.
Nach der Behandlung im Krankenhaus begleitet ihn ein Freund zur Polizei. Als die Ermittler am Tatort auftauchen, sind in der Wohnung längst alle Spuren beseitigt, der Kleber vom Klingelschild gekratzt, berichtet Christian. Sie werde wochenweise an Montage-Arbeiter und Messebesucher vermietet. In diesem Fall aber unter falschem Namen. Das Dating-Profil: längst gelöscht. Die Videos, mit denen er erpresst wurde, waren nur zur einmaligen Ansicht freigeschaltet. Speichern konnte er sie so schnell nicht als Beweis.
Womöglich schauen hunderte Menschen live zu
„Hunderte Menschen müssen da zugeguckt haben“, befürchtet Christian. Er hat seither große Angst, lebt völlig zurückgezogen, das Vertrauen zu anderen „ist komplett dahin“. Die Vorstellung, dass die Videos auf ewig im Internet kursieren, macht ihn fertig. Stundenlange Suchen danach waren „widerlich“, bislang aber ergebnislos.
Dr. Wolf Dieter Kuhlmann hat keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt der Erlebnisse. Der pensionierte Notar arbeitet ehrenamtlich beim Weißen Ring, der in der Kriminalprävention und Opferhilfe aktiv ist. Die Ermittlungen in diesem Fall seien eingestellt worden, die Täter längst über alle Berge. Für das Opfer sei das Erlebnis dramatisch: „Er sucht händeringend einen Therapeuten, ist arbeitsunfähig und lebt in der Sorge, dass die Videos irgendwo auftauchen,“ beschreibt Kuhlmann.
Um so beeindruckender sei, dass er andere Menschen warnen will, egal ob homosexuell oder heterosexuell, „die Gefahren sind für alle gleich groß“.
Das raten Christian und der Weiße Ring beim Dating:
- Die Kommunikation sollte nicht nur über die Dating-App stattfinden. Man sollte möglichst Handynummern austauschen und auf andere Messenger-Dienste wie Whatsapp wechseln.
- Ein erstes Treffen sollte im öffentlichen Raum stattfinden, in einem Café, in einer Bar oder an einem belebten Ort draußen.
- Wenn man sich verabredet hat, sollte man einen Vertrauten einweihen, ihm Ort und Zeitpunkt des Treffens nennen.
- Als weitere Sicherheitsmaßnahme könnte man eine Uhrzeit für einen Anruf festlegen sowie weitere Schritte, was zu tun ist, wenn der Anruf nicht erfolgt.
Christian selbst war nach einer längeren Zeit der Einsamkeit nicht so vorsichtig, „es war einfach schön, mal wieder mit jemandem zu sprechen“. Man sieht ihm an, wie tief erschüttert er ist, „man rechnet doch nicht damit, dass das ganze Leben nach einer Nacht vorbei ist, weil sich jemand finanzielle Vorteile verschaffen will“.
Auch in seiner eigenen Wohnung fühlte er sich anfangs nicht wohl. War jemand mit seinem Schlüssel hier, während er bewusstlos war? Er weiß es nicht. Über Wochen kamen winzige Erinnerungsbruchstückchen hoch, aber das Gros der Nacht bleibt im Dunkeln.
Telefonseelsorge, der Weiße Ring und die Agentur für Arbeit helfen
An den Weißen Ring kam er über die Telefonseelsorge, die er in seiner ersten Verzweiflung anrief. Unterstützt fühlt er sich auch von der Agentur für Arbeit, die auf Anraten der Polizei seine Daten besonders schützt. Um Missbrauch zu verhindern, kann er hier nur noch persönlich oder handschriftlich kommunizieren, nicht per App oder telefonisch.
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Der Weiße Ring will Christian helfen, beim LVR eine Opferentschädigung zu beantragen. Theoretisch gibt es auch Beratungschecks für einen Anwalt, „aber der hätte in diesem Fall keinen Anknüpfungspunkt“, bedauert Kuhlmann.
Für den Juristen sind Fälle wie dieser schon besonders. „Ich dachte, mir ist nach 35 Berufsjahren als Notar und Anwalt nichts Menschliches fremd, dieses Urteil muss ich nach zwei Jahren beim Weißen Ring revidieren.“
Weitere Infos zum Weißen Ring gibt es auf deren Webseite.
*Der echte Name von Christian ist der Redaktion bekannt. Wir haben ihm zu seinem Schutz ein Pseudonym gegeben.