Duisburg. Jahrelang kaufen die Stadtwerke Duisburg CO₂-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten. Diese sind aber gleich in mehrfacher Hinsicht fragwürdig.

„Klimaneutrales Erdgas“ – so bewarben die Stadtwerke Duisburg bis vor kurzem ihre Gastarife. Allerdings kauften sie dazu von Wissenschaftlern als fragwürdig eingestufte CO₂-Zertifikate aus Flusskraftwerken in Indien. Welche Probleme es bei dieser Praktik gibt, hat die WAZ-/NRZ-Lokalredaktion Duisburg in Kooperation mit Correctiv.Lokal recherchiert.

Was genau sind überhaupt CO2-Zertifikate?

Unternehmen, die Emissionen ausstoßen, können Gutschriften kaufen, um ihre Klimabilanz auszugleichen. Davon profitieren Projekte in Schwellenländern: Aus dem Erlös für den Verkauf der Zertifikate können sie finanziert werden. Das betrifft zum Beispiel Waldschutzprojekte, Wiederaufforstung – oder eben Wasserkraftwerke.

Der Gedanke dahinter: Wo Emissionen ausgestoßen werden – oder eben nicht –, ist fürs Klima erstmal egal. Der Planet hat nur eine globale Klimabilanz.

Bevor Zertifikate auf den Markt kommen und von Unternehmen gekauft werden können, müssen diese durch eine dritte Partei geprüft werden. Dafür gibt es verschiedene Anbieter, die mit unterschiedlichen Standards und Methoden arbeiten. Einer der größten Zertifizierer und Anbieter von CO2-Zertifikaten zur freiwilligen CO2-Kompensation ist Verra. Verra nutzt zur Überprüfung von Zertifikaten den selbst entwickelten Verified Carbon Standard (VCS).

Diese Projekte stecken hinter dem Emissionsausgleich der Stadtwerke

Mindestens seit 2009 kauften die Stadtwerke regelmäßig Gutschriften aus zwei Flusskraftwerken im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Zusammen sollen sie laut Verra-Register 1.303.746 Tonnen CO₂ im Jahr einsparen. Neben dieser Zahl gibt Verra auch Auskunft über die Methode, mit der die Gutschriften überprüft worden sind.

Ein Blick in den Leitfaden zur Anwendung der Methode verrät: Sie verlangt einen Nachweis über die Zusätzlichkeit des Projekts. Laut Benedict Probst, Wissenschaftler und Leiter des Net Zero Labs am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, der die Projekte für Correctiv ausgewertet hat, ist die Zusätzlichkeit aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben. Denn: Die Flusskraftwerke wären auch ohne die Gelder aus den Gutschriften gebaut worden. Die CO₂-Einsparungen hätten also ohnehin stattgefunden und sind somit nicht zusätzlich.

Was ist das Problem mit alten CO₂-Zertifikaten?

Ein weiteres Problem mit den Gutschriften, die die Stadtwerke Duisburg genutzt haben, um Erdgas als klimaneutral zu bewerben, ist das Alter der Zertifikate. Laut der Daten, die uns vorliegen, kauften die Stadtwerke Gutschriften, die zwischen drei und acht Jahren alt waren. Die ältesten Gutschriften stammen aus 2009, von denen die Stadtwerke 2017 insgesamt 109 Stück kauften. Das heißt: Mit 2009 eingesparten Emissionen verkauften die Stadtwerke ihren Kunden im Jahr 2017 „klimaneutrales Erdgas“.

Eine solche Differenz zwischen Einkaufsjahr und Einlösung ist laut Wissenschaftlern vor allem aus zwei Gründen problematisch:

Zum einen hat Verra die Methode, nach der das Unternehmen den VCS-Standard vergab, regelmäßig überarbeitet. Es ist also möglich, dass ältere Zertifikate noch anderes bewertet wurden als aktuellere. Zum Zeitpunkt der Verifizierung mag die Gutschrift nach den damaligen Standards tatsächlich einer Tonne CO₂ entsprochen haben, bei den heutigen Prüfverfahren könnte das aber nicht mehr der Fall sein. Alte Zertifikate bergen somit das Risiko, dass sie nicht die vorgegebenen Emissionen vermeiden. Und: Eine Vielzahl nicht verkaufter älterer Zertifikate kann für eine schlechte Qualität des Produkts sprechen.

Flusskraftwerke im Himalaya: Gar nicht so unproblematisch

Vollkommen abseits von Standards, Methoden und Zertifizierungsverfahren: Für die heimische Bevölkerung können Wasserkraftwerke verheerende Folgen haben. 2021 berichtete die Deutsche Welle (DW), dass für den Bau solcher Kraftwerke in Indien Flächen gerodet und geflutet werden. Ein Betroffener berichtete: Entschädigungen und Arbeitsplätze seien der Bevölkerung versprochen worden, stattdessen verloren sie jegliche Lebensgrundlage, es herrschte Wassermangel. Straßen, Umwelt und Häuser seien beim Bau der Wasserkraftwerke zerstört worden.

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von WAZ-/NRZ-Lokalredaktion Duisburg und Correctiv.Lokal. Das Lokaljournalismus-Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen, darunter in einem Schwerpunkt über die Klimakrise. Weitere Informationen gibt es online auf correctiv.org/klima.