Duisburg. In Duisburg terrorisiert ein 36-Jähriger die Nachbarn mit Geschrei, lauter Musik und Beleidigungen an der Hausfassade. Das ist seine Geschichte.
In der beschaulichen Wohngegend im Duisburger Süden, zwischen Mehr- und Einfamilienhäusern, weckt ein Haus die Aufmerksamkeit aller: Es ist von oben bis unten mit verschiedenen Schriftzügen beschmiert, Horrorfratzen leuchten hinter den Fenstern, ein aufblasbarer Schneemann steht auf dem Garagendach mit einem Totenkopf in der Hand. An der Fassade neben der Eingangstür prangt in riesigen Buchstaben: „Meine Nachbarn sind Arschlöcher“. Alles scheint wie ein Drehort eines amerikanischen Halloween-Horror-Streifens.
Ist es aber nicht. Auch wenn die Geschichten, mit denen uns der Bewohner seine Gründe für „all das“ erklärt, sicher Stoff für einen Film bieten würden. Aber eher für einen traurigen Film.
Haus in beschaulicher Wohngegend im Duisburger Süden: „Das ist hier auch extrem schlimm“
Immer wieder fahren Neugierige an dem stattlichen Haus vorbei, halten kurz an und schütteln den Kopf. Einig sind sich alle: Hier möchte niemand wohnen. „Das sieht hier nicht nur schlimm aus, das ist hier auch extrem schlimm“, sagt eine Frau, die guten Blick auf das „Horror-Haus“ hat.
Klar kenne man den Bewohner, könne ihn sehen, wie er sein eigenes Haus und mittlerweile auch das Eigentum der Nachbarn beschmiert. „Und hören kann man ihn auch. Zu jeder Tages- und Nachtzeit.“
„Ich hätte gerne eine freundlichere Polizei“, steht in grün-blauen Großbuchstaben an den beiden weißen Garagentoren. Darunter in brauner Farbe: „@Polizei: Bleibt doch einfach gleich hier.“ Der Schriftzug „Wann hört ihr endlich auf?“ hat der Bewohner bereits mehrfach mit neuen Botschaften übermalt. Alles wirkt wirr, durcheinander, die Fenster sind beklebt, teilweise aber auch detailverliebt dekoriert und gestaltet. Unzählige Botschaften an die Nachbarn, an die Polizei stehen wiederum wie aus der Wut heraus geschrien an Türen, Wänden, und auch auf den Dachziegeln.
Fenster, Türen, Straße, Dach: Alles ist mit unterschiedlichen Botschaften beschmiert
Augenscheinliche Hilferufe, die der 36-Jährige nicht nur an seine eigenen Wände geschrieben hat. Auch die Einfahrt zum Haus, Teile der Straße, Garagen der Nachbarn – alles ist in den letzten Wochen zur Plakatwand des Duisburgers geworden.
Dabei macht der Garten des hellbraun geklinkerten Wohnhauses noch den besten Eindruck. Im Gegensatz zu seinem Bewohner. Er berichtet von „einer Verkettung unglücklicher Umstände“, die zu der aktuellen Situation geführt haben sollen. Der 36-Jährige erzählt von einer unglücklichen Kindheit. Sein Vater sei mit dem Motorrad verunglückt, als er selbst 10 Jahre alt war. Die Mutter habe sich seitdem kaum noch um die beiden Söhne kümmern können. Dennoch habe er bis vor wenigen Monaten noch mit ihr in dem Haus zusammengelebt. Betäubt habe er seinen Schmerz schon früh mit Cannabis und mit „bestimmten Seiten im Internet“.
Hinzu kamen in den letzten Jahren Probleme bei der Arbeit, mit einem Kollegen, mit dem er sich selbstständig gemacht hatte. Dann sei er krank geworden. Und der Kollege habe sich beruflich von ihm getrennt. Laute Musik, tagsüber und auch mitten in der Nacht – auch irgendwie zur Betäubung – habe den Nachbarn nicht gefallen.
Über 30 Einsätze der Duisburger Polizei im letzten Jahr
„Über 30 Mal sind wir im letzten Jahr zu Einsätzen zu dem Haus gerufen worden“, sagt Daniel Kattenbeck, Sprecher der Polizei Duisburg. Zahlreiche Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung und Beleidigung lägen gegen ihn vor. Zweimal in den letzten sechs Wochen sei er in eine psychatrische Klinik eingewiesen worden. „Die Kollegen der zuständigen Wache kennen den Mann gut, fahren dort häufiger vorbei.“
Als wir mit ihm sprechen, sitzt er in Arbeitskleidung vor dem Haus. Wirkt ruhig und möchte einfach erzählen, von sich, von seiner Situation.
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„Plötzlich war meine Mutter weg“, sagt er. Wiedereinmal habe ihn zuvor die Polizei in eine psychiatrische Klinik gebracht, wieder sei dort festgestellt worden, dass er weder eine Gefahr für sich, noch für seine Mitmenschen darstelle – dennoch sei das Haus bei seiner Rückkehr verlassen gewesen, richtige Hilfe habe er nicht bekommen. Zuletzt habe seine Mutter häufiger Angst vor ihm, vor seinen Aktionen gehabt. „Alle hatten Angst, ich habe mittlerweile keine mehr“, sagt der junge Mann mit einem Lachen im Gesicht. Ein ironisches Lachen, das die pure Verzweiflung ausdrückt.
Aber womit erklärt er die Botschaften auf seinem Haus, die Schmierereien, die gruselig anmutende Dekoration? Das habe alles irgendwie mit Machtspielen zu tun, wie fast alles. „Wenn sich die Nachbarn über laute Musik beschwert haben, habe ich sie einfach noch lauter gemacht.“ Ähnlich habe sich das mit den Schmierereien verhalten. Hat sich jemand darüber geärgert, kam mehr hinzu.
Eigentlich, so erzählt der Mann es uns, würde er gerne alles wieder entfernen lassen. „Oder ich nehme von den Leuten Eintritt und zeige alles.“ Oder jemand kauft ihm das Haus ab, so wie es ist. Geld, so sagt er, habe er keins. Genau sowenig ein Telefon. „Zum Glück war meine Mutter komisch drauf und hat im Keller sämtliche Vorräte gehortet.“ Die könne er jetzt zumindest essen. Dort habe er auch die Weihnachtsdeko gefunden, die genau wie die Halloween-Sachen schon häufig das Haus geschmückt haben. Aber eben nicht so.