Duisburg. Der Kinderkarnevalszug rollt 2024 nicht mehr durch Marxloh. Vereine berichten von verstörenden Vorfällen und drohten mit Boykott. Die Vorwürfe.
Europas größter Kinderkarnevalszug gehört unbestritten zu den Höhepunkten des Straßenkarnevals. Schon zum 60. Mal setzt sich der Niederrheinische Kinderkarnevalszug am Tulpensonntag, 11. Februar, im Duisburger Norden in Bewegung. Diesmal erhält er jedoch eine neue Strecke. Erstmals wird er ganz bewusst nicht nach Marxloh kommen. Das verärgert die Menschen im Stadtteil. Doch der organisierende Karnevalsverein nennt Gründe für diese Entscheidung: Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um Vorfälle mit Jugendlichen.
„Wir wollen Marxloh nichts Böses. Wir sind hier verwurzelt, wir sitzen und bleiben mitten in Marxloh“, schickt Axel Koch vorweg und verweist etwa auf jecke Veranstaltungen im Schützenhof an der Egonstraße. Als Präsident der 1. Großen Karnevalsgesellschaft Hamborn-Marxloh trägt er die Entscheidung des Vereins mit, ab sofort nicht mehr über die Weseler Straße zu ziehen und keine Kamelle mehr in Marxloh zu schmeißen.
Einerseits spare die neue Streckenführung der Karnevalsgesellschaft viel Geld, erläutert Koch. So seien die Kosten seit der Corona-Pandemie geradezu explodiert. Große Löcher in die Vereinskasse reißen demnach besonders das Sicherheitskonzept mit Security und Sanitätern. Allein dadurch, dass der Kinderkarnevalszug nicht mehr über die Brautmodenmeile und das Pollmannkreuz zieht, würden die Hamborner Jecken gut 5000 Euro sparen.
Da der Endpunkt neuerdings nur noch wenige hundert Meter vom Start am Altmarkt entfernt ist, brauche es beispielsweise keine Shuttlebusse mehr, um teilnehmende Fußgruppen dorthin zurückzufahren. „Das alles ist so teuer geworden, das können wir nicht mehr leisten“, ordnet Koch ein und begrüßt natürlich die diesjährige Ersparnis.
Junge Mädchen begrabscht und bepöbelt? Kein Straßenkarneval mehr in Marxloh
Doch das Geld ist nicht der einzige Grund, warum sich die Jecken mit ihrem beliebten Straßenkarneval aus Marxloh verabschieden. Nach unschönen Vorfällen am Tulpensonntag 2023 mit großen Jugendgruppen, räumt der Präsident ein, habe für die jetzige Session ein Boykott durch ein halbes Dutzend befreundeter Karnevalsvereine gedroht. Schlimmstenfalls wären nur noch fünf Wagen und ein paar Fußtruppen vom größten Kinderkarnevalszug in Europa übrig geblieben. Zu wenig.
Axel Koch geht gegenüber der Redaktion näher auf die Vorfälle ein: Brenzlig sei es geworden, als der Zug wegen eines Wohnungsbrandes unerwartet am Pollmannkreuz enden musste und es „plötzlich rappelvoll“ wurde, auch weil Kinder und Jugendliche ihre Chance sahen, noch prallgefüllte Bonbonkisten zu bekommen. Die Duisburger Kinderprinzessin sei sexuell beleidigt und mit Bonbons und anderen Gegenständen beworfen worden. Die Prinzessin soll deshalb „ganz aufgelöst“ und die Situation „zu viel für das junge Mädchen“ gewesen sein.
Zudem sollen andere Mädchen während des Umzugs von Besuchern begrabscht worden sein. Man habe Tanzmariechen unter die Röcke gegriffen und ihnen teils auch Handys dorthin gehalten, um Fotos und Videos von ihren Höschen zu machen.
Jugendliche haben außerdem Bonbons zurückgeschmissen und wollten ganz bewusst die Karnevalisten treffen. Allerdings sei das nicht neu und komme überall auf Karnevalszügen vor, so Koch. Er selbst trage schon seit Jahren beim Straßenkarneval immer eine Brille, um seine Augen vor solchen Wurfgeschossen zu schützen.
Offenbar waren die sexuellen Beleidigungen und die Übergriffe im vergangenen Jahr so schlimm, dass mehrere Vereine künftig fortbleiben wollten. Die Organisatoren sahen die Existenz der Traditionsveranstaltung bedroht. Also haben sie für 2024 eine neue Strecke mit der Polizei, dem Ordnungsamt und der Stadtspitze abgestimmt und von allen sei „diese Änderung positiv gesehen worden“. Der drohende Boykott war abgewendet. „Damit haben wir unseren Zug gerettet“, bekräftigt Axel Koch, der die Probleme aus dem Vorjahr jedoch nicht aufbauschen möchte.
Denn der Karneval und auch Marxloh seien für ihn und für seine Vereinsmitglieder „eine Herzensangelegenheit“ und das Image des Niederrheinischen Kinderkarnevalszugs sei weiterhin gut. So gut sogar, dass die Blumenkönigin von Teneriffa, die eine jahrzehntelange Freundschaft mit der KG Rot-Weiß verbindet, erstmals eine Ehrengarde aus Düsseldorf mitbringt.
Polizei Duisburg bestätigt die Übergriffe auf junge Karnevalistinnen nicht
Tatsächlich seien der Polizei Duisburg die geschilderten Vorfälle trotz hoher Präsenz nicht bekannt, wie ein Sprecher auf Nachfrage mitteilt. Anzeigen seien nach dem letztjährigen Zug ebenfalls nicht gestellt worden. Generell habe es damals „nur eine sehr geringe Anzahl von Verstößen“ gegeben. Vereinzelte Pöbeleien, für die es Platzverweise gab.
Die jetzt aufgekommene Diskussion um die neue Zugstrecke und um die Gründe dafür sieht die 1. Große Karnevalsgesellschaft Rot-Weiß Hamborn-Marxloh jedoch als „unnötig“ an, möchte das Thema lieber schnell beenden und hofft, dass die Kritik die Vorfreude auf den Straßenkarneval nicht trübt oder die vielen Ehrenamtler entmutigt. Knapp 900 Närrinnen und Narren sind diesmal wieder beteiligt, erwartet werden insgesamt 14 Wagen und gut 20 Fußtruppen – darunter erneut die Duisburger Kinderprinzessin mit ihrem Prinzen und ihrem Gefolge.
Aus Marxloh kommt Kritik an der neuen Zugstrecke
Zu den erklärten Kritikern der neuen Streckenführung gehört die örtliche SPD. So sieht etwa Bezirksvertreter Claus Lindner weiterhin Diskussionsbedarf. Er warnt davor, bei den Menschen aus Marxloh den Eindruck zu erwecken, dass der Karneval den Stadtteil aufgebe. Einen Sessionshöhepunkt abzuziehen, wertet er zwingend als Rückzug aus dem Stadtteil. „Der Zug muss wieder durch sein traditionelles Stammland Marxloh ziehen“, fordert er für das nächste Jahr und bietet die Unterstützung der örtlichen Sozialdemokraten an. Dabei denkt er sowohl an finanzielle Hilfe als auch an einen Ideenaustausch, um 2025 mehr Ehrenamtler zu gewinnen.
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Claus Lindner erinnert daran, dass der Kinderkarnevalszug in den Siebzigerjahren noch hunderttausende Besucher hatte. Dass Marxloh eine Karnevalshochburg war und der Stammsitz der Kinderprinzencrew. Annähernd so viele Menschen kommen schon lange nicht mehr an den Straßenrand. „Die Attraktivität hat deutlich abgenommen“, urteilt der Lokalpolitiker, und diese lasse sich nicht zurückgewinnen, indem man einen Stadtteil mit Familien aufgebe.
Inzwischen hat die Karnevalsgesellschaft signalisiert, sie könne sich vorstellen, in Zukunft mit dem Zug wieder auf die gewohnte Strecke durch Marxloh zurückzukehren – „wenn die Situation das hergibt“.
>> Begrabscht? Bepöbelt? Attackiert? – Das rät die Polizei
- Die Polizei Duisburg wird, wie immer, den Kinderkarnevalszug begleiten. Auch Polizistinnen und Polizisten der Hundertschaft sind am Tulpensonntag dabei.
- Sollte es zu Problemen kommen, rät die Polizei den Betroffenen, möglichst die Beamten oder auch die Ordner mit konkreten Hinweisen und Täterbeschreibungen ansprechen und Vorfälle auch anzeigen.