Duisburg/Mülheim/Oberhausen. Tausende wählen die Nummer der Telefonseelsorge. Olaf Meier hat viele Gespräche geführt. Nun ist er Rentner. Welche Anrufe in Erinnerung bleiben.
Die Telefonseelsorge Duisburg/Mülheim/Oberhausen wird im kommenden Jahr 50 Jahre alt. Gegründet 1974 hat sie seitdem tausenden Menschen mit einem offenen Ohr geholfen. Olaf Meier hat die Arbeit der Telefonseelsorge in den vergangenen Jahren maßgeblich geprägt. Als katholischer Priester und studierter Psychologe brachte er in den 1990er Jahre alle Qualifikationen mit, die von einem Leiter erwartet wurden. Nun verabschiedet sich der 66-Jährige in den Ruhestand.
Offiziell ist er eigentlich schon in Rente, aber er hat noch ein paar Monate „drangehängt“ bis sein Nachfolger im Januar seine Arbeit aufnimmt.
Im Hause Meier gab es schon früh ein Telefon. „Mein Vater war bei der Polizei und musste erreichbar sein. Also bekamen wir in den 1950er Jahren eine Leitung nach Hause gelegt. Wenn ich mal mit einem Freund telefonisch Hausaufgabenhilfe machte und es passierte etwas, dann wurden wir aber sofort aufgefordert, aus der Leitung zu gehen“, erinnert sich Meier, der von sich sagt, dass er eigentlich kein guter Telefonierer ist. Privat lässt er es auch gerne mal klingeln, wenn er über den Tag schon viele Gespräche geführt hat.
Für den Job bei der Telefonseelsorge wechselte der Chef von Berlin nach Duisburg
Eigentlich hatte Olaf Meier geplant als katholischer Priester zu arbeiten. Doch in einer Gemeinde lernte er bei der Arbeit seine heutige Frau kennen. Er entschied sich für einen anderen Lebensweg, studierte noch einmal Psychologie, arbeitete einige Zeit an der Uni in Berlin und entdeckte schließlich die Stellenanzeige für den Job in Duisburg. „Ich war bereit von Berlin nach Duisburg zu ziehen, aber das wurde im Vorstellungsgespräch mehrfach kritisch nachgefragt – damals waren die Mafia-Morde noch gar nicht passiert“, erinnert er sich. Aber die direkte Sprache im Ruhrgebiet liegt ihm und er ist der Überzeugung, dass man in einer Stadt leben muss, wenn man die Menschen verstehen will.
Was ihm anfangs viel mehr Sorgen bereitete: Am Telefon fielen so viele Ebenen von Kommunikation weg. Ein Nicken hört man nicht unbedingt. Augenkontakt – gibt’s nicht. Mit der Zeit aber lernte er, seine Eindrücke zu verbalisieren. „Moment, das lässt mich stutzen“, hakt er dann zum Beispiel nach. Außerdem merkte er schnell: „Anhand der Stimme kann man Gefühle eher erkennen. Eine Stimme lügt nicht.“
17.368 Menschen wählten 2022 die Rufnummer 0800 11100111. 2023 dürften es ähnlich viele werden. „Einige legen direkt wieder auf, wenn sich ein Mann meldet. Das darf man nicht persönlich nehmen.“ Im Schnitt aber dauern die Gespräche eine halbe Stunde. Viele gehen ans Eingemachte. Die Anrufer berichten von ihren Erkrankungen und Beschwerden, andere von Ängsten oder Trauer. Fünf Prozent äußern Suizidgedanken.
Nicht immer geht es darum, Tipps zu geben. „Wir sind kein Beratungs- oder Therapie-Telefon, wir machen Seelsorge“, betont Meier. In einem Fall habe ein Anrufer direkt zu Beginn gesagt, dass er von seinen Selbstmordgedanken nicht abgebracht werden wolle. Meier schluckte und schlug vor, darüber zu reden. Am Ende drehte sich das Gespräch um ganz andere Themen.
Ehrenamtler bekommen Ausbildung – und arbeiten anonym
Zugehört wird anonym. In einigen Fällen gibt es aber auch Stammgäste, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach einer Zeit kennen. „Die Einsamkeit nimmt zu. Bei den Älteren, aber auch bei den Jüngeren. Manchmal habe ich Anrufer an der Strippe, die sich nachmittags melden und sagen: Sie sind der Erste, mit dem ich heute spreche.“
An den Weihnachtstagen und zwischen den Jahren ist traditionell viel zu tun. Doch drehten sich die Sorgen früher um Auseinandersetzungen und Streit in der Familie, ist es heute eher die Tatsache, keine Beziehung oder kaum Kontakte zu haben. Andere rechnen am Jahresende ab und überlegen, dass es das letzte Fest ist, was man gemeinsam feiern werde.
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Ein Gespräch hat Olaf Meier besonders berührt: Es meldete sich eine Dame, die nicht besonders viel Geld hatte, aber ein paar Cent für ein Adventsgesteck gespart hatte. Ihre Tradition war es, nachmittags die Kerze anzuzünden und für sich ein, zwei Lieder zu singen. Nun war sie zum Discounter gegangen, um sich ein Gesteck zu kaufen – und bemerkte vor Ort, dass ihr das Portemonnaie geklaut worden war. Das Geld war futsch und die Freude auf Weihnachten ebenfalls. Meier hatte die Frau nun am Telefon. „Ich habe eine Kerze hier“, sagte er – und stimmte mit ihr ein Lied an.
Zwei Telefone stehen in der Zentrale in Duisburg. Eines ist 24 Stunden von den Ehrenamtlern besetzt, das andere zwölf. Sie bekommen eine Ausbildung, bevor sie den ersten Anruf entgegennehmen. Einmal im Monat gibt’s Supervision. „Das ist eine anspruchsvolle Arbeit. Viele sagen, dass sie auch etwas über sich selbst lernen und demütiger auf ihr eigenes Leben schauen“, berichtet Meier.
Neue Ehrenamtler werden gesucht
Über seine erfüllten Berufsjahre sagt er: „Ich fühle mich privilegiert, dass ich immer mit motivierten Menschen zusammenarbeiten durfte.“ In seiner freien Zeit möchte er sich nun mehr in der Karmelgemeinde am Innenhafen einbringen. Außerdem sich seinem Hobby widmen: Der 66-Jährige beobachtet gerne Flugzeuge – und baut sie als Modelle auch nach. „Das war so schön einfach: Man kann an etwas arbeiten und am Ende sieht man ein Ergebnis.“
Zum Ende seiner Laufbahn hat Meier aber noch ein Anliegen: Er selbst wird wohl kein Ehrenamtlicher bei der Telefonseelsorge. „Das geht nicht.“ Aber sein Nachfolger braucht dringend Unterstützung: Es werden dringend neue Helferinnen und Helfer gesucht, die gut zuhören können und wollen. Ein Infoabend für alle Interessierten findet am 11. Januar um 19 Uhr im Haus der Kirche (Burgacker 14-16) in Duisburg statt. Nähere Infos gibt es unter der Rufnummer 0203/29513331 oder online auf der Seite www.telefonseelsorge-duisburg.de.