Duisburg. Eine Duisburger Mutter muss Heiligabend ohne ihren fünfjährigen Sohn feiern, ist ganz allein. Eine Lebensgeschichte, die unter die Haut geht.

Zu Weihnachten kocht Angelika Thier Kaninchen, Rotkohl und Knödel. Ihr Lieblingsgericht, das die 41-Jährige am Fest der Liebe mutterseelenallein isst. „Das wird schwierig für mich. Ich bin es gewohnt, Heiligabend gemeinsam zu feiern. Letztes Jahr war ich schon allein. Einsamkeit ist schlimm“, weiß die Mutter. Ihr fünfjähriger Sohn Noah (Name geändert) feiert bei Vater und Oma. „Ich würde so gerne an Heiligabend mit meiner kleinen Maus am Tisch sitzen. Das versteht er doch nicht, wenn die Mutter nicht da ist.“

Wie ist es dazu gekommen? Die Geschichte geht unter die Haut. Thier erzählt von Verletzungen und Trauer, mehreren Fehlgeburten und Tod, Enttäuschungen und Wut, Krankheit und Genesung. Zu viele Schicksalsschläge für nur ein Leben.

Duisburgerin: „Ich heiratete einen Engel und ließ mich vom Teufel scheiden“

Noahs Vater lernt Thier über das Internet kennen. Sie hat gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich gelassen. Und zwar zu ihrem Ex-Mann, der sich als Drogensüchtiger entpuppte und zu guter Letzt gemeinsame Schulden in Höhe von 25.000 Euro hinterließ. „Ich heiratete einen Engel und ließ mich von einem Teufel scheiden.“ Kennen und lieben lernte sie ihren Ex am Niederrhein. Dorthin war Thier vorher als Altenbetreuerin aus der polnischen Grenzstadt Slubice eigentlich nur für kurze Zeit gekommen. Daraus wurden Jahre.

Angelika Thier erzählt ihre Lebensgeschichte, die unter die Haut geht.
Angelika Thier erzählt ihre Lebensgeschichte, die unter die Haut geht. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Die Ehe entwickelte sich zur Hölle für die junge Frau. Sie wurde Opfer häuslicher Gewalt und psychisch krank. „Ich leide unter posttraumatischer Belastungsstörung. Das kommt noch früher, als ich mich nach dem Tod meines Vaters um meine Mutter und meine Geschwister gekümmert habe.“ Diese Erkenntnis gewinnt die Wahl-Duisburgerin erst in langjähriger psychiatrischer Behandlung.

Dann trifft sie den Vater von Noah. „Wir sind am Rhein spazieren gegangen. Er war ein toller Mensch.“ Die beiden ziehen zusammen, finden eine neue Wohnung in Rheinhausen und sind „einigermaßen“ glücklich. Thier wird zweimal schwanger, davon einmal mit Zwillingen. Sie erleidet Fehlgeburten. „Ich habe zu viele männliche Hormone. Dass mein Sohn geboren wurde, gleicht einem Wunder.“

Erneuter Schicksalsschlag nach zwei Fehlgeburten: Baby stirbt in Armen der Mutter

Noah kommt mit sieben Monaten als Frühchen zur Welt. Er ist gesund, benötigt aber regelmäßig Physiotherapie. „Er läuft wie eine Ballerina auf Zehenspitzen.“ Dann wird Thier erneut schwanger. Ein Mädchen. Wieder ein Frühchen. Kaiserschnitt. „Die kleine Maus holte sich einen Krankenhauskeim und musste zweimal operiert werden. Der Arzt machte mir Hoffnung.“

Nach der OP warten gleich mehrere Mediziner mit der schmerzhaften Nachricht auf die Mutter: Ihr Kind sei nicht überlebensfähig. „Ich hielt meine Tochter vor der Brust, als die Versorgungschläuche getrennt wurden“, sagt Thier und versucht, stark zu bleiben. „Ich durfte sie noch in der Klinik taufen lassen. Mit dem Verlust bin ich nicht klargekommen.“

Die Mutter sucht Hilfe im Bertha-Krankenhaus. Dann der nächste herbe Schlag: „Mein Partner hat mich verlassen. Er sagte, ich bräuchte aus dem Krankenhaus nicht wieder zurückzukommen.“ Seitdem ist sie wieder in Behandlung, der Sohn lebt beim Vater.

Zweimal die Woche trifft die Mutter ihren Sohn zum Spielen, Tanzen und Kuscheln

Zurzeit wohnt Angelika Thier in einer Einrichtung des Diakoniewerks Duisburg für alleinstehende Frauen. Ihren Sohn Noah trifft sie zweimal in der Woche in den Räumen der Diakonie. Dann spielen, tanzen und kuscheln Mutter und Sohn. So wird es auch vor den Feiertagen sein. „Ich bereite Pfannkuchen, Reibekuchen und Curry-Wurst mit Mama-Soße vor. Wenn ich eine eigene Wohnung habe, kann ich meinen Sohn häufiger sehen.“

Aber leider nicht an Heiligabend. Den verbringt sie allein in der Wohnung, die sie mit zwei anderen Frauen teilt. Eine Bewohnerin fährt an Heiligabend zur Tochter. „Was die andere macht, weiß ich nicht.“ Die einsame Mutter wird noch mit anderen Frauen einen Tannenbaum in Räumen der Diakonie schmücken. Am Samstag essen alle Kartoffelsalat und Würstchen. „Vielleicht werde ich dann am Heiligabend mit meiner Familie in Polen und der Schweiz whatsappen. Ich weiß aber nicht, ob ich dafür nicht zu traurig bin.“

Angelika Thiel träumt von einem neuen Leben mit neuem Partner. „Ich will nicht allein sein.“ Aber eines hat sie aus zwei gescheiterten Beziehungen gelernt. Sie braucht ihre eigene Wohnung, um die Tür hinter sich schließen zu können. „Denn ich bin sehr vertrauensselig und naiv. Ich esse trockenes Brot, Hauptsache der andere bekommt Schinken.“