Duisburg. Bei der WAZ-Familienkonferenz äußern Eltern Lob, aber auch Kritik zum Offenen Ganztag an Grundschulen in Duisburg. Das sind die größten Probleme.
Der Offene Ganztag muss massiv ausgebaut werden. Ab 2026 sollen alle Erstklässler einen Rechtsanspruch haben, bis 2029 dann alle Grundschulkinder. In Duisburg gibt es an den meisten Grundschulen schon ein Betreuungsangebot, das 8800 der rund 20.000 Kinder der Primarstufe nutzen. Bei der WAZ-Familienkonferenz wurde allerdings schnell deutlich: Es gibt Schwächen bei Personal, Mensa, Räumlichkeiten, kritisieren Eltern. Ihre Sorge ist, dass der Ausbau weitere Probleme bringt.
Ganztagsbetreuung in Duisburger Grundschulen: Kritik und Lob von Eltern
Pädagogisch geschickt beginnt Klaudija Pušić, deren Tochter die KGS Grabenstraße in Neudorf besucht, mit einem Lob: Der offene Ganztag biete „reichlich AGs an, die an den Interessen der Kinder anknüpfen“. Bedauerlich seien personelle Engpässe und die damit verbundenen Ausfälle der Angebote. Wegen des „desolaten Zustands“ der Schulgebäude und der seit fast einem Jahr gesperrten Mensa sei die Essenssituation allerdings abenteuerlich: Zwischendurch gab es nur Lunchpakete.
Die Essensversorgung kritisiert auch Verena Kartz. Ihre sechs und acht Jahre alten Kinder besuchen die GGS Großenbaumer Allee. Hier werde der Offene Ganztag regelrecht überrannt, nur 19 Kinder würden hier nicht betreut. Dadurch sei es sehr eng. Und beim Mittagstisch fehle häufig der Obst- oder Gemüseanteil. „Dabei lernen die Kinder im Unterricht, wie man sich gesund ernährt.“
Massive Kritik äußert Lydia Oertel. Ihr Kind besucht die Grundschule Beethovenstraße in Rheinhausen. Hier findet die Ganztagsbetreuung in den Klassen statt. Dadurch habe ihr Sechsjähriger wenig Bewegung und noch weniger Abwechslung. „Er sitzt von 8 bis 15.30 Uhr, das tut ihm nicht gut“, bedauert die Mutter. Der Offene Ganztag, der hier vom Förderverein der Schule getragen wird, habe außerdem ein Bewertungsheft eingeführt. Die Kinder bekommen täglich Smileys, mit denen ihr Betragen bewertet wird. „Würde mein Chef das mit mir machen, wäre ich nach drei Wochen fertig“, schimpft Oertel.
Schulleiterin Heike Schoch will sich kümmern, mit dem Träger „kreative Lösungen suchen“: An der Beethovenstraße gibt es ein Ganztagsgebäude, in dem Kicker und andere Spielgeräte stehen. Es passen aber längst nicht alle Kinder rein. Würden die Gruppen rotieren, hätten die Kinder zumindest regelmäßig mehr Platz, Bewegung, Abwechslung.
Künftiger Ganztag: „Wir tappen im Dunkeln“
Die Situation an den Grundschulen ist schon jetzt sehr unterschiedlich. Wie es ausschaut, wenn ab 2026 alle Erstklässler einen Rechtsanspruch haben und dann jedes Jahr ein weiterer Jahrgang hinzukommt, ist noch völlig unklar, betont Nicole Nierth, die sich im Amt für schulische Bildung um den Ganztag kümmert. „Wir tappen im Dunkeln“, betont die Verwaltungsfrau. Das Land bestimme die Details, habe aber erst zum kommenden Jahr einen Referentenentwurf angekündigt.
Die Gesetzesänderung hat aus Sicht einiger Eltern nicht nur Vorteile. Bianca Bettels etwa schätzt zwar die Nachmittagsbetreuung. Für ihren Sohn, der die KGS Goldstraße am Dellplatz besucht, wünscht sie sich aber mehr Flexibilität. „Ich bin ein großer Freund des verlässlichen Halbtags, der jetzt eingestampft werden soll“, bedauert sie. (siehe Bericht)
Benjamin Rest sieht das ähnlich. Sein Sohn besucht die Grundschule Rahm. Um dessen Betreuung abzudecken, würde der Verlässliche Halbtag reichen. „Mir und vielen anderen Eltern ist es zu viel, die Kinder bis 15.30 Uhr in der Schule zu lassen“, berichtet der Schulpflegschaftsvorsitzende. Die Tage des Verlässlichen Halbtags sind aber gezählt (siehe Bericht).
Persönlich hat Nierth Verständnis für die Elternwünsche. Sie sei selbst Mutter, „ich würde ein flexibles Modell gut finden“. Dass die Eltern an der Grundschule Rahm sich das wünschen, versteht sie. „Aber da können sie es sich auch leisten, Rahm ist in der Hinsicht besonders“.
Wie flexibel ist der Offene Ganztag?
Aktuell gehen die Träger unterschiedlich mit der Rechtslage um. Grundsätzlich ist der Offene Ganztag ein Angebot für alle fünf Tage einer Woche. In begründeten Fällen könne ein Kind eher abgeholt werden, wenn es zum Klavierunterricht geht oder Nachhilfe bekommt beispielsweise.
Christoph Gehrt-Butry ist beim Stadtsportbund für den Offenen Ganztag zuständig. Seit 20 Jahren organisiert der Verband an inzwischen 26 Grundschulen die Nachmittagsbetreuung. Der Träger-Sprecher betont, dass das Land nur dann einen Teil der Kosten trägt, wenn die Kinder das Angebot auch vollständig nutzen. Weil einige Träger das den Eltern zuliebe sehr flexibel gestaltet hatten, mussten sie sich vor einigen Jahren wegen Subventionsbetrugs vor Gericht verantworten, erinnert er.
Der aktuelle Erlass gewähre maßvoll Flexibilität. Um soziale Ausgrenzung zu verhindern, dürften Ganztagskinder inzwischen auf Antrag früher gehen, wenn ein Kindergeburtstag ansteht. Auch der soziale Kontakt zu den Großeltern sei ein Grund, mal früher zu gehen, berichtet Gehrt-Butry vom „Omatag“.
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Rüdiger Wüllner von der GEW ist selbst Grundschullehrer und betont, dass es neben den Zeiten für feste AGs auch pädagogische Gründe für klare Abholzeiten gibt: „Das soll ja kein Taubenschlag sein.“ Heike Eckhardt, die den Offenen Ganztag an der Grundschule Mozartstraße koordiniert, betont indes, dass sie „froh ist um jedes Elternteil, das sich um sein Kind kümmern will“. Nicole Nierth sagt, dass es nicht nur ein Betreuungs-, sondern ein Bildungsangebot ist, auch in sozialer und sprachlicher Hinsicht. „Davon können die Kinder profitieren.“
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Im Verlässlichen Halbtag (VHT) werden Kinder vor und nach dem Unterricht bis maximal 13.30 Uhr betreut. Das Format ist auch als „Schule von acht bis eins“ bekannt. Es gibt kein warmes Essen und keine Hausaufgabenbetreuung.
Die meisten Grundschulen bieten den Offenen Ganztag an, der aktuell diesen Prinzipien folgt: Die Kinder werden nach dem Regelunterricht ab 11.30 Uhr bis mindestens 15 Uhr betreut, an vielen Standorten bis 16 Uhr. Es gibt ein warmes Essen und eine Hausaufgabenbetreuung. Im Anschluss werden je nach Träger AGs angeboten aus den Bereichen Kunst, Musik oder Sport. Auch Sprachkurse und Angebote mit einem sozialen Schwerpunkt sind möglich. Die Teilnahme ist freiwillig, aber wenn man sein Kind anmeldet, muss es in der Regel für ein Jahr verpflichtend an fünf Tagen pro Woche bis 15 Uhr in der Schule bleiben. Die Kosten werden nach dem Jahreseinkommen berechnet. Wer unter 25.000 Euro verdient, zahlt nichts, bis 37.500 Euro kostet die Betreuung 20 Euro monatlich. Der Beitrag steigt bis zum Höchstbeitrag von 200 Euro monatlich bei einem Einkommen ab 200.000 Euro.
In der gebundenen Ganztagsgrundschule gehören Unterricht, Förderung und Betreuung zum schulischen Gesamtkonzept. Alle Schülerinnen und Schüler nehmen verpflichtend von 8 bis 16 Uhr daran teil. In Duisburg verfährt so nur die GGS Zoppenbrückstraße in Meiderich. Hier müssen von Eltern nur die Kosten für das Mittagessen übernommen werden.
>>PERSONAL FÜR DEN GANZTAGS-AUSBAU KNAPP
- Die Stadt Duisburg hat eine Ausbildungsinitiative gestartet. Mit der neuen Praxis-Integrierten Ausbildung („Pia“) an zwei Berufskollegs sollen mehr Fachkräfte in den Kitas landen. Auch Bufdis sollen für das Arbeitsfeld begeistert werden. „Das reicht aber nicht“, weiß Nicole Nierth.
- Teil des Problems ist, dass im Offenen Ganztag nur selten 40-Stunden-Stellen vorgesehen sind. Der Stadtsportbund als Träger beschäftigt derzeit 24 Pia-Azubis, aber ob er alle halten könne, sei offen, erklärt Christoph Gehrt-Butry.