Duisburg. Durch einen Zufall hat die Polizei in Duisburg den gesuchten Mafioso Antonio S. festgenommen. Der 44-Jährige gab erstaunlich viel von sich preis.

Eigentlich war es am 27. Oktober ein eher harmloser Verkehrsunfall auf der Mühlenstraße im dörflichen Duisburger Stadtteil Baerl. Aber einer, der jetzt die italienischen Gazetten beschäftigt. Denn: Als die Polizisten die Personalien des DHL-Fahrers überprüfen, der beim Zurücksetzten das Auto einer Seniorin touchierte, erleben sie eine große Überraschung: In der gelb-roten Uniform des Express-Dienstes steht ihnen dort ein gesuchter Mafiosi gegenüber. Einer, nach dem mit einem europäischen Haftbefehl gefahndet wird.

Warum Antonio S. den Beamten an diesem Herbsttag gegen 16 Uhr seinen echten Ausweis vorlegt, bleibt wohl sein Geheimnis. Der 44-Jährige fühlte sich in Deutschland offenbar ziemlich sicher. Das belegt ein Blick auf sein Facebook-Profil, das für jeden öffentlich einsehbar ist und das er unter seinem richtigen Namen angelegt hat.

Auf Videos ist er dort unter anderem bei einer Verdi-Demo mit DHL-Kollegen in Berlin zu sehen. Andere Clips geben ganz private Eindrücke: Sie zeigen seine Kinder beim Sackhüpfen, ihn im Whirlpool und beim Pizzabacken. Er teilt auch aller Welt im Internet mit, dass er am 14. Mai beim SV Bayer 08 Uerdingen war.

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Was Antonio S. sonst noch im sozialen Netzwerk verrät: Er kommt aus der berüchtigten Mafia-Hochburg San Luca. Seine Hobbys sind Reisen, Kochen, Walking, Entspannung, Autofahren und Autorennen. Für seine Leidenschaft zu schnellen Autos ist er in seiner Heimat bekannt. „U meccanicu“ nennen ihn dort die Zeitungen – „den Mechaniker“.

Der Blechschaden im äußersten Westen Duisburgs beendet für den gebürtigen Italiener vorerst das Leben in Freiheit. „Der Mann hat sich widerstandslos festnehmen lassen, wurde in Gewahrsam gebracht und den Behörden übergeben“, fasst Polizeisprecher Jonas Tepe zusammen.

Gesuchter Mafioso in Duisburg festgenommen: Wer ist Antonio S.?

Doch wer ist Antonio S. überhaupt? Gemeinsame Recherchen der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) und des MDR legen offen: Der Mann mit dem Spitznamen „Titi“ wird dem Pelle-Vanchelli-Clan der berüchtigten ’Ndrangheta, der kala­brischen Mafia zugerechnet. Ins Ruhrgebiet kommt er nach Informationen von MDR und FAZ schon in den 1990ern, arbeitet hier als Pizzabäcker – unter anderem im Lokal „Da Bruno“ an der Mülheimer Straße.

Im Restaurant „Da Bruno“ arbeitete der 44-Jährige als Pizzabäcker. Das Lokal verließ er Stunden vor der Bluttat im August 2007.
Im Restaurant „Da Bruno“ arbeitete der 44-Jährige als Pizzabäcker. Das Lokal verließ er Stunden vor der Bluttat im August 2007. © WP | LORENZEN, Gerd

Dort ist er auch am 14. August 2007. Nach Angaben der Ermittler verlässt er das Restaurant am späten Abend. Stunden bevor dort eine Fehde zwischen zwei Familienclans eskaliert: Um kurz vor 3 Uhr werden vor dem Lokal im Silberpalais der Wirt, ein Lehrling und vier weitere junge Männer erschossen. Als die alarmierte Polizei eintrifft, finden die Einsatzkräfte die Männer blutüberströmt und von Kugeln durchsiebt auf dem Asphalt liegend.

Die „Vendetta von Duisburg“ sorgt europaweit für Schlagzeilen – und für Mammut-Ermittlungen, die zu Giovanni Strangio und seinem Schwager Guiseppe Nitra führen. Die Schützen sind mittlerweile zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Antonio S. gerät damals ebenfalls ins Visier der Ermittler. Ein italienisches Gericht verurteilt ihn als Strohmann zu einer 19-monatigen Freiheitsstrafe. Doch „Titi“ flieht vor Antritt der Haftstrafe – vermutlich nach Deutschland. Hier fällt er nach einem Bericht der FAZ wegen illegalen Waffenbesitzes auf, wird vorübergehend festgenommen, aber nicht nach Italien ausgeliefert.

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen der italienischen Justiz und Antonio S. geht weiter: Nach FAZ-Recherchen spüren die Ermittler ihn 2012 in Moers auf. Im Anschluss sitzt er die Haftstraße in seinem Heimatland ab. Kurzzeitig verliert sich in der Folge seine Spur. Aber: Sein Weg führt wieder nach Deutschland.

Mafioso kehrt immer wieder nach Deutschland zurück

2019 kommt es zur nächsten Begegnung mit den Behörden: Im Rahmen der großen Anti-Mafia-Operation „Pollino“ wird Antonio S. wieder einmal in Moers festgenommen und nach Italien ausgeliefert. Die Richter dort sind sich sicher: Der 44-Jährige hat sich am großangelegten Drogenhandel beteiligt. Allerdings: Eine Mafia-Mitgliedschaft können sie dem Mann mit der Glatze nicht nachweisen. Die Anklage wird in diesem Punkt aus Mangel an Beweisen fallen gelassen.

In San Luca in der kalabrischen Provinz sollte sich Antonio S. jeden Abend bei der Polizei melden. Schon nach kurzer Zeit aber meldete er sich hier nicht mehr, weil Duisburg sein neuer alter Lebensmittelpunkt war.
In San Luca in der kalabrischen Provinz sollte sich Antonio S. jeden Abend bei der Polizei melden. Schon nach kurzer Zeit aber meldete er sich hier nicht mehr, weil Duisburg sein neuer alter Lebensmittelpunkt war. © picture-alliance/ dpa | epa ansa Franco Cufari

Und: Antonio S. darf das Gefängnis verlassen. Die FAZ berichtet nun von der damaligen Auflage: Jeden Abend zwischen 17 und 18 Uhr muss er sich in der Polizeistation von San Luca melden. Doch dort taucht er nach kurzer Zeit schon nicht mehr auf. Statt der kalabrischen Provinz ist der Niederrhein wieder sein Lebensmittelpunkt.

Im Januar 2023 schreiben ihn die italienischen Behörden erneut zur Fahndung aus – europaweit. Ins Netz geht er ihnen dann zufällig in Duisburg-Baerl. Nach Aussagen der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wartet der 44-Jährige nun in einer JVA auf seine nächste Auslieferung.

>>Über die ’Ndrangheta

  • Die ’Ndrangheta zählt zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt. Ihre Wurzeln liegen in Kalabrien. Ihre weltweiten Machenschaften sollen ihr nach Schätzungen von Experten einen jährlichen Milliarden-Umsatz bescheren.
  • In Deutschland gelten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen als Heimat der Organisation. In Duisburg geriet die ’Ndrangheta zuletzt bei einer Razzia im Juli in den Fokus. Damals durchsuchten Einsatzkräfte eine Eisdiele und ein italienisches Restaurant.