Duisburg. Ein Experte spricht von der größten Krise in der stationären Langzeitpflege und gibt eine düstere Prognose für Duisburg ab – die wahren Probleme.

Sie will als persönlich betroffene Angehörige lieber anonym bleiben, aber ihrem Ärger Luft machen. Im Zentrum ihrer Kritik: das Malteserstift St. Nikolaus in Ruhrort. Die Situation in dem Pflegeheim sei katastrophal. Das Pflegepersonal dort sei mit den Kräften völlig am Ende und könne die Bewohner nur noch „abfertigen“.

Wie dramatisch ist die Lage im konkreten Fall und in den anderen Duisburger Einrichtungen? Wir haben die Malteser, die Stadt und Ulrich Christofczik, Sprecher der Ruhrgebietskonferenz Pflege, um eine Stellungnahme und Einordnung gebeten.

Pflegeheime in Duisburg: Werden Bewohner nur noch abgefertigt?

„Die personelle Situation im Malteserstift St. Nikolaus ist zwar angespannt, aber stabil“, sagt Malteser-Sprecherin Olga Jabs. „Es gibt derzeit einen hohen Krankenstand. Um die immer wieder kurzfristig entstehenden Lücken im Dienstplan abzudecken, ist Fremdpersonal eines Personaldienstleisters im Einsatz. Um unsere Mitarbeitenden zusätzlich zu entlasten, ist das Malteserstift St. Nikolaus Piloteinrichtung bei einem Projekt, um die Pflegedokumentation durch Digitalisierung deutlich zu vereinfachen.“

Das Malteserstift St. Nikolaus in Ruhrort hat nach Angaben einer Sprecherin aktuell mit einem hohen Krankenstand unter den Pflegekräften zu kämpfen. Die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner sei aber jederzeit sichergestellt.
Das Malteserstift St. Nikolaus in Ruhrort hat nach Angaben einer Sprecherin aktuell mit einem hohen Krankenstand unter den Pflegekräften zu kämpfen. Die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner sei aber jederzeit sichergestellt. © Zoltan Leskovar / FUNKE Foto Services

Jabs betont: „Insbesondere die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner ist und war auch in der Vergangenheit jederzeit sichergestellt.“ Dies belegen nach Angaben der Sprecherin auch Prüfungen der Aufsichtsbehörden. So habe der Medizinische Dienst nach einer Begehung im vergangenen Mai keine Qualitätsdefizite festgestellt. Und nun im Oktober sei bei einer Einzelfallprüfung der WTG-Behörde – früher Heimaufsicht – ebenfalls konstatiert worden, dass alle Vorgaben eingehalten werden.

Bei der letzten Regelprüfung der städtischen Heimaufsicht, die allerdings auch schon rund zwei Jahre her ist, gab es viel Lob. Wie Stadtsprecher Sebastian Hiedels auf Nachfrage mitteilt, ist die nächste Prüfung bereits terminiert. Es habe in der Vergangenheit nur wenige Beschwerden über das Malteserstift in Ruhrort gegeben. Die Heimaufsicht habe diese Einzelfälle „gemeinsam mit den Beschwerdeführern und den Verantwortlichen der Einrichtung konstruktiv geklärt“, so Hiedels.

„Die stationäre Langzeitpflege ist in ihrer bisher größten Krise“

Und trotzdem können diese Aussagen nicht darüber hinweg täuschen, dass es grundsätzlich immer größer werdende Probleme in den Pflegeheimen in Duisburg gibt – sagt jedenfalls Ulrich Christofczik. Er schlägt Alarm. Die stationäre Langzeitpflege ist demnach personell und wirtschaftlich in einer so nie dagewesenen Krise. „Das habe ich so noch nicht erlebt“, stellt Christofczik klar.

Ulrich Christofczik ist Sprecher der Ruhrgebietskonferenz Pflege und Vorsitzender des Evangelischen Christophoruswerkes in Duisburg. Die stationäre Langzeitpflege ist nach seinen Angaben personell und wirtschaftlich in einer so nie dagewesenen Krise.
Ulrich Christofczik ist Sprecher der Ruhrgebietskonferenz Pflege und Vorsitzender des Evangelischen Christophoruswerkes in Duisburg. Die stationäre Langzeitpflege ist nach seinen Angaben personell und wirtschaftlich in einer so nie dagewesenen Krise. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Und das will was heißen. Schließlich ist er ein erfahrener Mann in der Branche, nicht nur Sprecher der Ruhrgebietskonferenz Pflege, sondern auch langjähriger Vorsitzender des Evangelischen Christophoruswerks, des in Duisburg größten Trägers mit Angeboten in der Altenpflege.

Kosten dramatisch gestiegen – schwierige Suche nach Fachkräften

Er nennt die Hintergründe: Die Kosten seien inflationsbedingt überall dramatisch gestiegen. Dies liege auch daran, dass die Träger zunehmend auf das deutlich bis zu 50 Prozent teurere Personal von externen Dienstleistern zurückgreifen müssen – nicht nur krankheitsbedingt, wie aktuell im Malterstift in Ruhrort, sondern weil die Suche nach Fachkräften immer schwieriger werde.

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Die Arbeitsbelastung für das vorhandene Personal steigt. Einige Stellen können nicht besetzt werden. „Um den gesetzlich vorgeschriebenen Personalschlüssel einzuhalten, bleibt dann nur ein Aufnahmestopp“, erklärt Christofzik. „Eine mangelnde Auslastung der Heime verschärft aber aufgrund geringerer Einnahmen die wirtschaftliche Krise.“

Stadt: In Einzelfällen können Pflegeplätze nicht belegt werden

Eine Insolvenzwelle, die Träger in anderen Regionen und Städten Deutschland bereits erfasst hat, gebe es in Duisburg zum Glück noch nicht. Nach Angaben des Stadtsprechers Hiedels können nur in Einzelfällen Plätze nicht belegt werden, weil Personal fehlt. Er sagt aber auch, dass sich die Situation perspektivisch zuspitzen werde.

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Christofczik redet Klartext: „Ich weiß, dass sich hier mittlerweile mehrere Träger damit beschäftigen, Pflegeplätze zu reduzieren. Es ist ein Dilemma, denn angesichts voller Wartelisten und einer immer größer werdenden Zahl an pflegebedürftigen Menschen können wir uns das eigentlich gar nicht leisten. Aktuell erhöht aber jede Aufnahme das wirtschaftliche Defizit.“

Düstere Prognose für 2024

Und auch wer einen Pflegeplatz ergattert, werde in Zukunft noch stärker mit der sich immer weiter nach oben drehenden Kostenspirale konfrontiert. Christofcziks düstere Prognose: „Ich gehe davon aus, dass 2024 in Duisburg 80 Prozent der Bewohner auf Transferleistungen angewiesen sind.“

Es sei die Frage, wie viel Pflege sich eine Gesellschaft leisten wolle. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann habe eine Pflegevollversicherung ins Spiel gebracht. Christofczik: „Diesen Vorstoß unterstützen wir Träger ausdrücklich.“

>> PRÜFUNGEN UND ERGEBNISSE DER HEIMAUFSICHT IN DUISBURG

  • Nach Angaben der Stadt begehen die Mitarbeitenden der Heimaufsicht in regelmäßigen Abständen und anlassbezogen – zum Beispiel bei Beschwerden – die Pflegeheime in Duisburg.
  • Die Prüfungen in stationären Einrichtungen sollen jährlich stattfinden, bei Vorprüfungen ohne wesentliche Mängel alle zwei Jahre.
  • Die Heimaufsicht plane bei allen Einrichtungen eine jährliche Prüfung. „Dies ist aufgrund pandemiebedingter Rückstände aktuell nicht durchgängig möglich“, sagt Stadtsprecher Sebastian Hiedels. Um das Vorhaben umzusetzen, sei der Bereich aber bereits personell verstärkt worden.
  • Alle zwei Jahre veröffentlicht die Heimaufsicht einen Bericht über ihre Arbeit. Dabei werden auch die Probleme skizziert. Begehungsberichte aus den Regelprüfungen werden online auf www.duisburg.de veröffentlicht, die Ergebnisse von anlassbezogenen Einzelfall-Prüfungen dagegen nicht.
  • Der Medizinische Dienst (der Krankenkassen) veröffentlicht laut Stadt eine Zusammenfassung seiner Prüfungen – zum Beispiel online auf www.aok.de/pk/pflegenavigator.