Duisburg-Dellviertel. Das Hildegardis-Gymnasium wird 125. Zwei Redakteurinnen und Ex-Schülerinnen blicken zurück: Wie streng war es wirklich auf der Mädchenschule?

Wie lebt und lernt es sich auf einer kirchlichen Mädchenschule? Zum 125. Geburtstag des St.-Hildegardis-Gymnasiums erinnern sich Sabine Ring und Tina Halberschmidt an alte Zeiten. Die beiden WAZ-Redakteurinnen haben beide das SHG besucht (Abitur 1985 beziehungsweise 1994) und erzählen, was sie dort geprägt hat. Ein persönlicher Rückblick.

Sabine Ring: Schulstürmung und soziales Engagement

Erzählen von ihrer Zeit auf dem Hildegardis-Gymnasium: Sabine Ring (rechts) und Tina Halberschmidt.
Erzählen von ihrer Zeit auf dem Hildegardis-Gymnasium: Sabine Ring (rechts) und Tina Halberschmidt. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Sabine Ring berichtet: Dass ich aufs Hildegardis-Gymnasium gehen sollte, war gesetzt. Meine beiden älteren Cousinen waren da und kamen ganz gut klar. Besonders katholisch ist meine Familie nicht. Hildegardis 1976: Wir hatten ein eigenes Schwimmbad, eine Bibliothek und damals schon ein Sprachlabor. Mädchen im Physik- oder Chemieleistungskurs? Völlig normal und kein Grund für Diskussionen. Außerdem wurde soziales Engagement großgeschrieben. Charity Walk und Co. gehörten zum guten Ton. Soweit, so gut.

Hildegardis bedeutete aber auch: Eine ungewollt schwangere Mitschülerin sollte der Schule verwiesen werden. Eine Biologie-Lehrerin, die propagierte, dass wir als Jungfrauen in die Ehe gehen sollten. Zur berühmten Friedensdemo 1982 in Bonn fahren, an der am Ende eine halbe Million Menschen teilgenommen haben? Bloß nicht! Demonstrieren sei unchristlich, wir sollten lieber diskutieren. Das wurde uns per Lautsprecherdurchsage mitgeteilt. Ich war trotzdem da.

Eroberung durch Schüler des Steinbart-Gymnasiums radikal verhindert

Sabine Ring bei der Abi-Verleihung im Jahr 1985.
Sabine Ring bei der Abi-Verleihung im Jahr 1985. © FUNKE Foto Services | Repro: Michael Dahlke

Eines schönen Rosenmontags wurden wir eingeschlossen. Denn an dem Tag war es quasi schon Tradition, dass wir vom Steinbart-Gymnasium gestürmt wurden. Das wollte man verhindern, angeblich hatte jemand im Jahr zuvor ein Waschbecken aus der Wand gerissen. Ob’s stimmt?

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Ich habe das Hildegardis als sehr gute Schule in Erinnerung, was die Vermittlung von Wissen angeht. Unsere Lehrer waren sehr engagiert, die Ausstattung war bestens. Es war aber eben auch eine enge Welt. Kein Problem für alle, die ein modernes, aufgeschlossenes Elternhaus hatten. Meine Gegenpole waren das Eschhaus und der Welt-Laden, in dem ich mich damals sehr engagiert habe. Ein gesunder Ausgleich zur konservativen Grundhaltung meiner Schule.

Anti-Haltung zur katholischen Kirche

Eine Sache erschreckt mich allerdings immer, wenn ich in einer Kirche bin (was nur noch zu Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen der Fall ist). Ich kenne noch jeden Liedtext, weiß genau, wann ich mich hinknien muss, und kann jede Gebetszeile mitsprechen. Religiöse Rituale hat man uns offenbar erfolgreich ins Gehirn geschraubt. Ich wünschte, ich hätte die Englischvokabeln und Grammatikregeln noch so parat …

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Bei mir hat das Gymnasium im Bistum Essen jedenfalls erreicht, was sicher nicht das Ziel war: Ich habe eher eine Anti-Haltung zur katholischen Kirche entwickelt. Ein paar Wochen nach dem Abitur bin ich zum Amtsgericht und aus dieser Gemeinschaft ausgetreten. Ich weiß, dass ich nicht die einzige Hildegardis-Schülerin bin, die diesen Schritt gegangen ist.

Tina Halberschmidt: Beste Freundinnen, Jungs und eine wohlbehütete Blase

Tina Halberschmidt berichtet: Christliche „Zucht und Ordnung“ im Sinne von Goethes Wilhelm Meister war das, was ich auf dem Hildegardis endlich lernen sollte. So jedenfalls beschrieb es mein Vater, stets mit einem ironischen Lächeln im Gesicht. Er selbst war streng katholisch erzogen worden und später aus der Kirche ausgetreten, ich evangelisch getauft.

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Goethe, Ordnung und Wilhelm Meister – als Zehnjährige konnte ich damit nicht viel anfangen. Fürs Hildegardis entschied ich mich nicht wegen irgendwelcher pädagogischen Ansätze. Sondern wegen des Schwimmbads im Keller, das ich in diesem Alter noch als echten Pluspunkt empfand. (Später hasste ich wie viele pubertierende Mitschülerinnen das damals veraltete Becken, aber das ist eine andere Geschichte.)

Als Vorteil sah ich als junges Mädchen auch, dass es keine Jungen auf der Schule gab. Selbst als Oberstufenschülerin störten mich die reinen Mädchen-Jahrgänge nicht. Denn mit Jungs konnte man sich ja nachmittags umgeben (oder heimlich nachts im „Old Daddy“ an der Steinschen Gasse, im „Musik-Zirkus“ oder „Blue Moon“ in Oberhausen).

Gelebte Normalität: Viel Wert auf Fleiß und gute Noten

Feucht-fröhlich wurde 1994 das Abitur in der Mehrzweckhalle des Hildegardis-Gymnasiums gefeiert. Auf dem Foto von links: Die Freundinnen Jenny Stahn, Tina Halberschmidt, Kristina Fimel (geb. Krones) und Corinna Stephan.
Feucht-fröhlich wurde 1994 das Abitur in der Mehrzweckhalle des Hildegardis-Gymnasiums gefeiert. Auf dem Foto von links: Die Freundinnen Jenny Stahn, Tina Halberschmidt, Kristina Fimel (geb. Krones) und Corinna Stephan. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Auch dass die Lehrer am Hildegardis viel Wert auf Fleiß und gute Noten legten, teils sogar einen elitären Anspruch hatten, empfand ich als gelebte Normalität. Ich fühlte mich wohl in dem behüteten Umfeld, mit meinen besten Freundinnen, die mit mir dieselbe Klasse besuchten, und mit meiner Lieblingslehrerin (Frau Grevener, Deutsch). Sie begleitete mich bis zum Abitur und begeisterte mich für Thomas Manns Buddenbrooks und andere Literaturklassiker – eine Liebe, die bis heute anhält.

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Was mich allerdings Nerven kostete, und zwar von Anfang an, das war der Mittwochmorgen. Erste Stunde, Heilige Messe in der Kirche am Dellplatz. Auch die evangelischen Schülerinnen gingen hin. Jahrelang sahen wir zu, wie die anderen knieten, standen, beteten und wieder knieten und am Aschermittwoch ein großes schwarzes Kreuz auf die Stirn gemalt bekamen.

Die ritualisierte Strenge gab mir nichts, im Gegenteil. Sie – und das Thema Frauenfeindlichkeit in der katholischen Kirche, in der weibliche Messdiener erst seit 1992 offiziell erlaubt sind – führten dazu, dass ich religiöse Regeln immer kritischer sah. Wäre ich damals katholisch gewesen, auch ich wäre es heute nicht mehr. Andererseits prägten diese Erlebnisse mit Schule und Religion sowie unsere „Tage der religiösen Einkehr“ im Kloster aber mein Selbstverständnis und Selbstbild als Frau – im positiven Sinne. In puncto Frauenrechte war ich stets ein bisschen rebellisch.

Tochter besucht auch das Hildegardis

Ich freue mich deswegen, dass sich meine Tochter nach der Grundschule ebenfalls für das Hildegardis entschieden hat. (Freiwillig, übrigens.) Sie nimmt regelmäßig am evangelischen Gottesdienst teil. Den gibt es nämlich inzwischen. Und auch Jungs dürfen nun das Schulgelände betreten, ohne vom Hausmeister verjagt zu werden. Eines aber ist gleich geblieben. Wenn meine Tochter und ich über die Schule sprechen, dann zitiere ich Goethe: „Da lernst du wenigstens Zucht und Ordnung“, sage ich. Und lächle dabei.

>> Gründung zu Zeiten Kaiser Wilhelm II.

  • Im Jahr 1898 – in Deutschland regierte damals Kaiser Wilhelm II. – gründete der Katholische Verein in Duisburg eine Schule zur „Verbesserung der Bildungssituation der Mädchen“.
  • Mit der Gründung des St. Hildegardis-Gymnasiums 1954 setzte der Katholische Bildungsverein Duisburg eine schulische Tradition fort, die von den Nationalsozialisten 1938 durch eine zwangsweise Schließung abgebrochen worden war. Bis dahin hatten die Schwestern „Unserer Lieben Frau“ das damalige „Oberlyzeum an der Grünstraße“ mit Erfolg geleitet.
  • Das Hildegardis-Gymnasium erhielt 1960 die Anerkennung als „Vollanstalt“ und wurde 1965 „Private Ersatzschule“. Damit berechtigte das hier abgelegte Abitur zum Studium an Hochschulen und Universitäten. Ein Jahr zuvor hatte das Bistum Essen die Trägerschaft der Schule übernommen, um eine langfristige finanzielle Sicherung zu gewährleisten.
  • Seit Gründung gab es sieben Schulleiter, darunter nur einen Mann.
  • Aktuell besuchen rund 850 Schüler und Schülerinnen das Gymnasium im Dellviertel.
  • „Wir sind ein traditionsreiches Gymnasium und doch ganz modern“, erklärt Schulleiterin Dr. Sabine Kretschmann-Dulisch und verweist auf eine komplette Modernisierung der digitalen Infrastruktur. „Auf der anderen Seite liegen uns traditionelle Werte und die persönliche Entfaltung jedes Kindes am Herzen.“

>> Festtag mit Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck und buntem Programm

  • Am Samstag, 23. September, lädt das Gymnasium zu einem großen Festtag ein.
  • Den Auftakt der Feierlichkeiten bildet um 10 Uhr der Gottesdienst mit dem Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck. Daran schließt sich gegen 11.30 Uhr ein Festakt mit Reden an.
  • Am Nachmittag können Gäste dann der Breakdance-Gruppe zuschauen oder sich selber in dieser Tanzart ausprobieren. Zudem freuen sich die Streicherklasse des 6. Jahrgangs, das Unterstufentheater und die Schülerinnen und Schüler der Tanzgruppe auf zahlreiche Gäste. Gegen 17 Uhr endet das bunte Programm.
  • Weitere Informationen: shg-duisburg.schulon.org