Duisburg. Die Bundesregierung will Migrationsberatung radikal kürzen. In Duisburg sorgen sich Fachkräfte. Sie glauben, dass dubiose „Fixer“ profitieren.
Die Bundesregierung plant erhebliche Kürzungen bei der Integrationsarbeit. Warum das für Schulen eine „mittlere Katastrophe ist“, für Fixer eine neue Einnahmequelle – und worum es überhaupt geht:
24 Millionen Euro weniger bei der Migrationsberatung für Erwachsene, zehn Millionen Euro weniger bei den Jugendmigrationsdiensten, ebenso viel weniger bei den psychosozialen Zentren für Geflüchtete, 20 Millionen Einsparung bei der Asylverfahrensberatung: Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung sieht Kürzungen von rund 30 Prozent für die Arbeit mit zugewanderten Menschen vor – und das Projekt Respekt Coaches ist ab Ende Dezember gleich ganz gestrichen.
Protest gegen massive Streichung der Mittel für Beratungsdienste
Gemeinsam protestieren Caritasverband, Diakoniewerk, Awo und Grafschafter Diakonie, informierten auch in der Duisburger Fußgängerzone, ließen das „Pechrad“ drehen. Im Gegensatz zum Glücksrad „verlieren Sie hier auf jeden Fall“. Die Felder dokumentieren die Baustellen in Duisburg und landesweit: die Ausländerbehörde – nicht erreichbar. Die „Respekt Coaches“ – fallen weg. Dem Jugendmigrationsdienst – fehlen künftig zehn Millionen Euro.
Allein in Duisburg konnten 2022 rund 3500 Menschen beraten werden: „Die Migrationsberatung spielt eine zentrale Rolle bei der Integration von zugewanderten und geflüchteten Menschen - auch und gerade hier in Duisburg“, sagt Caritas-Vorständin Julia Schröder.
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Bundesregierung kürzt bei Integrationsarbeit: Arbeit mit Zugewanderten werde „massiv eingeschränkt“
Doris Stegemann vom Caritasverband sagt, dass die Kürzungen ihre Arbeit massiv einschränken würden. Sie habe dadurch ja nicht weniger Klienten. Leiden würden am Ende auch die Ämter und Behörden, „wir sind ja deren Zuarbeiter“.
Ob es um Kita- oder Ausbildungsplätze geht, um die Anerkennung von Papieren oder die bloße Existenzsicherung: In den Beratungsstellen komme viel zusammen. „Das ist ein ziemlicher Wust“, sagt Stegemann. Angesichts des Fachkräftemangels sei die Unterstützung der Zuwanderer immens wichtig. Es dauere im Schnitt drei Jahre, bis neu zugewanderte Menschen nicht nur sprachlich alleine zurechtkommen.
Stegemann glaubt, dass durch die Kürzung „das friedliche Zusammenleben gefährdet wird“. Gerade bei jungen Menschen müsse man schnell helfen, „damit sie nicht unter die Räder kommen“. Die Nachfrage steige kontinuierlich.
Profitieren „Fixer“ von den Kürzungen im Beratungsbereich?
Die große Befürchtung der Sozialarbeiter: Die Kürzung im professionellen Beratungsangebot wirkt sich an anderer Stelle aus: Es gibt inzwischen Kioske, Handy-Läden oder Versicherungsbüros, die für 20 Euro Anträge ausfüllen und den nächsten Vertrag gleich noch mit verkaufen, sagt Ali Badursah vom Jugendmigrationsdienst der Grafschafter Diakonie. „Fixer“ werden sie genannt, sie „fixen“ die Probleme derer, die sprachlich und kulturell alleine nicht dazu in der Lage sind.
Gerade erst sah Badursah die Werbung eines solchen Ladens in Oberhausen, auf dessen Schaufensterscheibe steht: „Wir bemühen uns, zu helfen.“ Badursah muss lachen, „wenigstens sind sie ehrlich, dass sie es nur versuchen. Wir dagegen helfen auch bei komplexen Problemlagen.“ Auch in Duisburg muss man nicht lange suchen, bis einem der erste Laden verspricht: „Alle Anträge hier: Hartz4, Kindergeld, Wohngeld u.v.m“.
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Badursah unterstütze seine Klienten bei Schul- und Kita-Problemen, bei finanziellen Fragen, wenn Schimmel in der Wohnung ist oder eine Kündigung ins Haus flattert. Dafür müssten „viele Institutionen zusammenarbeiten“, dafür brauche es Netzwerke, Kenntnisse des Systems. Das sei in den Kiosken vermutlich nicht vorhanden. Und was in diesen „dubiosen Läden noch alles verkauft wird, weiß eh keiner“.
Wegfall der Respekt-Coaches ist ein „herber Einschnitt“
Für die Theodor-König-Gesamtschule in Beeck wäre das Ende des Projekts „Respekt Coaches“ eine „mittlere Katastrophe, wir würden darunter leiden“, sagt Schulleiterin Ute Hoppen. Das Bundesprogramm schickte seit einigen Jahren Fachkräfte präventiv an ihre Schule, „um junge Menschen vor Extremismus in all seinen Erscheinungsformen, vor Rassismus sowie gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu schützen“, so das Bundesfamilienministerium.
Die didaktische Leiterin Beate Marker des TKG ergänzt, dass es für die Schülerschaft „elementar wichtig ist, politische Bildung auch durch nicht bewertende Lehrkräfte zu erfahren“. Die Respekt Coaches haben eine Demokratie-AG in Beeck etabliert. „Hier machen Jugendliche mit, die vorher keine Lust auf freiwillige AG’s am Nachmittag hatten“, so Marker. Sie ist Lehrerin an einem „sehr anspruchsvollen Standort“, für sie verspreche das Schulministerium Entlastung, streiche dann aber die professionelle Unterstützung dieser Mitarbeiter. „Das ist ein herber Einschnitt.“
>>KÜRZUNG DER BERATUNGSANGEBOTE BEDEUTET FÜR VIELE DAS JOB-AUS
- Die Migrationsberatung für Erwachsene wird durch das Bundes-Innenministerium gefördert. Für die Durchführung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verantwortlich. Die Kürzung um 30 Prozent würde für viele Mitarbeiter das Aus bedeuten, andererseits vielen Behörden mehr Arbeit machen.
- Das Projekt Respekt-Coaches gibt es seit 2018. Inhaltlich wird es hoch gelobt, die Existenz stand aber auch in den letzten Jahren immer wieder neu auf der Kippe, die Gelder zur Fortführung wurden immer erst kurzfristig genehmigt. Weitere Infos gibt es auf der Webseite www.lass-uns-reden.de.