Essen/Duisburg. In Essen gibt es seit Jahrzehnten einen Drogenkonsumraum – den Duisburg nun einführen möchte. Wie der Alltag für Konsumenten und Nachbarn läuft.
Die Stadt Duisburg plant einen Drogenkonsumraum. Der Beschluss ist vom Rat gefasst worden. Am Montag soll der Rat über den ersten konkreten abstimmen. Ein Standort, voraussichtlich in der Altstadt, wird noch gesucht. Mit der Einrichtung soll sich etwa die Situation im Kant-Park verbessern – Abhängige sollen die Drogen nicht mehr vor den Augen von Passanten oder gar Kindern nehmen.
Duisburg reagiert spät: Nachbarstädte haben bereits einen Drogenkonsumraum
Duisburg reagiert im Vergleich zu anderen Großstädten relativ spät auf die Situation: In den Nachbarstädten Düsseldorf, Krefeld und Essen gibt es solche Räume längst. Essen hat bereits seit zwei Jahrzehnten (gute) Erfahrungen mit der Einrichtung gesammelt. Ein Besuch an der Hoffnungstraße.
„Suchthilfe Direkt“ steht über dem Gebäude, das zu Fuß etwa sieben Minuten vom Essener Hauptbahnhof entfernt liegt – gut erreichbar für die Szene. Über eine Wendeltreppe geht’s in den ersten Stock ins Café. Unten, über einen Seiteneingang zugänglich, kommt man zum Drogenkonsumraum. Vor der Tür hängt ein umfunktionierter Zigarettenautomat. Für 50 Cent können Abhängige neue Spritzen und Besteck, aber auch Kondome ziehen.
Es ist vormittags. Im Café rauchen ein paar Typen und „Barbie“ unter einer Dunstabzugshaube ihre Zigaretten – es gibt eine Ausnahmegenehmigung, dass hier im Gebäude gequalmt werden darf. Im Hintergrund löffelt eine Besucherin an einem Pott Milchreis. Der ist günstig und macht satt. „Tachchen“, grüßt die 53-Jährige mit dem Spitznamen „Barbie“. Sie lehnt an einen Hochtisch. „Mir geht’s gut, ich bin gerad im Substitutions-Programm“, erzählt sie. Seit Jahrzehnten sei sie abhängig, angefangen habe damals alles mit dem Konsum von Cannabis. „Es ist gut, dass es den Raum hier gibt“, findet sie. Hier treffe man immer jemanden.
Rund 50 Personen besuchen täglich das Hilfsangebot in Essen
200 bis 300 Personen gehören zum harten Kern der offenen Drogenszene in Essen. Rund 50 besuchen täglich den Drogenkonsumraum, weitere 100 die angegliederten Hilfsangebote. Geöffnet ist montags bis freitags von 8 bis 20 Uhr, samstags, sonntags sowie an Feiertagen von 11 bis 16 Uhr. Frank Langer vom Betreiber „Suchthilfe direkt“ erklärt: „Wer hier ins Café kommt, sollte einen Namen oder Spitznamen angeben, damit wir einen Überblick über die Anzahl der unterschiedlichen Personen haben.“
Wer alte Spritzen oder Besteck mitbringt, kann das Zubehör eins zu eins tauschen. Für 30 Cent gibt’s außerdem etwas zu trinken. Das Mittagessen kostet einen Obolus. „Wir wollen nichts umsonst abgeben, das fliegt dann nur draußen rum. Wir begegnen den Leuten auf Augenhöhe und die sind richtig stolz, wenn sie Geld für Essen zur Seite legen und sich eine warme Mahlzeit leisten“, weiß Langer. Das Café gehört zum so genannten niederschwelligen Angebot. Wer Hilfe braucht, kann sich an einen der Mitarbeiter wenden. Eine Substitutionsambulanz ist im Gebäude ebenso angesiedelt wie eine Beratungsstelle und eine Notschlafstelle. In einem Nebenraum können die Besucher ihre Klamotten waschen. Duschen und Toiletten gibt es ebenfalls.
Wer in Essen das erste Mal den Drogenkonsumraum besucht, muss eine Nutzungsvereinbarung unterschreiben – und beispielsweise angeben, ob man substituiert ist, welcher Arzt einen behandelt und ob im Notfall Erkrankungen beachtet werden müssen. Im Drogenkonsumraum selbst sind nur Essener zugelassen, die sich auch ausweisen müssen. „Wir sind der Ort des Drogenkonsums, aber wir sind nicht der Ort, wo man den Stoff bekommt“, betont Langer.
Als rechtliche Grundlage für Räume dieser Art dient der Paragraf 10a des Betäubungsmittelgesetzes. Demnach muss beispielsweise eine „sofort einsatzfähige medizinischen Notfallversorgung“ gewährleistet sein. Auch eine „medizinische Beratung und Hilfe zum Zwecke der Risikominderung beim Verbrauch der von Abhängigen mitgeführten Betäubungsmittel“ muss es geben und eine „Vermittlung von weiterführenden und ausstiegsorientierten Angeboten der Beratung und Therapie“.
Sozialarbeiter und medizinisches Fachpersonal teilen sich die Schichten
In Essen sind sowohl Sozialarbeiter als auch medizinisches Fachpersonal vor Ort. Als die Stadt sich seinerzeit entschloss, einen solchen Raum einzurichten, waren verstärkt Sozialarbeiter auf der Straße unterwegs und informierten die Abhängigen an den einschlägigen Treffpunkten über die bevorstehenden Maßnahmen. „Im folgenden Schritt wurden alle am Hauptbahnhof bestehenden Hilfsangebote wie Arztmobil und Spritzentausch eingestellt und parallel polizeiliche und ordnungsbehördliche Maßnahmen intensiviert sowie bestehendes Hausrecht ausgeübt“, blickt Stadtsprecherin Jacqueline Riedel zurück. „Mit der Eröffnung verlagerten sich tausende Konsumvorgänge von der Öffentlichkeit in den Drogenkonsumraum. Durch das Aufzeigen entsprechender Hilfsangebote stieg auch die Nachfrage nach Substitution um ca. 20 Prozent“, beschreibt Riedel.
Auch aus Sicht der Polizei Essen hat sich der Drogenkonsumraum bewährt. „Der Raum wird von den Drogenabhängigen gut angenommen. Es gibt eine Vereinbarung mit der Behördenleitung, dass innerhalb der Räumlichkeiten keine polizeilichen Maßnahmen getroffen werden“, erklärt Matthias Werk, Sprecher der Polizei Essen. Außerhalb würden die Konsumenten allerdings kontrolliert, wenn Straftaten wie Drogenhandel festgestellt werden. Zudem gebe es eine wöchentlich stattfindende Videokonferenz mit der Stadt und dem Ordnungsamt, bei der sämtliche Themen rund um den Konsumraum angesprochen werden. „Wir haben ein gutes Verhältnis zu unseren Nachbarn und setzen auf ein so genanntes Umfeldmanagement“, betont Frank Langer. So machen sich täglich einige Besucher mit Eimer und Zange auf den Weg, um „szenetypische Müll“ zu entsorgen.
„Umfeldkonzept“ für die direkte Nachbarschaft geplant
Auch für Duisburg ist ein so genanntes „Umfeldkonzept“ geplant. „Dies gibt es bereits für die heute bestehenden Einrichtungen und wird für den zukünftigen Drogenkonsumraum erweitert“, erklärt Stadtsprecher Sebastian Hiedels. Auf die direkte Nachbarschaft, also Anwohner und Geschäftsleute, könne aber erst zugegangen werden, wenn ein Standort gefunden wurde. „Die Konzeption und die Vorgaben der Zulassungsstelle für Drogenkonsumräume sehen eine Zusammenarbeit mit der Polizei vor. Der Suchthilfeverbund nimmt regelmäßig an gemeinsamen Sitzungen teil und hat bereits Kontakte zum Polizeipräsidenten und den Ordnungsbehörden.“
Eine Zusammenlegung der Drogenberatung-Mitte, die Einrichtung von Postadressen, Ausgabe von sauberem Konsummaterial, den Streetworkern sowie der Kontakt- und Anlaufstelle mit dem Angebot für wohnungslose Drogenabhängige seien ein fester Bestandteil des Duisburger Konzeptes. So könnten Synergien genutzt und die „Durchlässigkeit der Unterstützungs- und Beratungsangebote“ erhöht werden. Das Mitarbeiter-Team in Duisburg soll ebenfalls aus Sozialarbeiterinnen, Rettungssanitätern und Sozialhelfern bestehen. Das Konzept sieht nach aktuellem Stand 13,8 Stellen vor.
13 Personen können in Essen gleichzeitig den klinisch wirkenden Konsumraum benutzen. Immer mal wieder kommt jemand, weist sich aus und bekommt desinfizierte Utensilien. Die Besucher rauchen oder spritzen sich die Drogen. Der durchschnittliche Besucher ist männlich und über 36 Jahre alt. Die Mitarbeiter achten darauf, wie der Stoff wirkt und wie es ihnen nach dem Konsum geht. Kein Ort für Moralpredigten, aber zum Zuhören. Langer: „Die Sucht ist bei den Menschen Teil des Lebens.“
>> Statistik in Duisburg muss noch eingeführt werden
Eine konkrete Anzahl, wie viele Menschen in Duisburg drogenabhängig sind, gibt es übrigens nicht. Eine entsprechende Statistik will der Suchthilfeverbund erst noch einführen. Dabei soll ebenso erhoben werden, wie viele Nutzer den Drogenkonsumraum in Anspruch nehmen.
Ein Anhaltspunkt könnte aber die Zahl der Klienten sein, die 2022 die drei Beratungsstellen des Suchthilfeverbundes aufgesucht haben. 12.806 Kontakte hat der Suchthilfeverbund gezählt. Im Rahmen der Gesundheitsprävention wurden 9008 Spritzen getauscht und 362 so genannte „Smoke-It“- und 425 Pflege-Sets ausgehändigt.
In Essen fanden im vergangenen Jahr insgesamt 25.366 Konsumvorgänge an der Hoffnungstraße statt. Mit dem Angebot wurden insgesamt 620 Personen erreicht, davon 97 Frauen und 523 Männer.