Düsseldorf. An der Hochstraße “Tausendfüßler“ im Zentrum Düsseldorfs rollen heute die Abrissbagger an. Am Sonntag konnten Fußgänger zum Abschied für ein paar Stunden über das sonst nur für Autos zugelassene Noch-Denkmal spazieren und sich mit Hämmerchen ein Stück des skurrilen Bauwerks sichern.

Die denkmalgeschützte Hochstraße "Tausendfüßler" im Zentrum von Düsseldorf wird seit Montag abgerissen. An einer Rampe der etwa 600 Meter langen Straße begannen Bauarbeiter, die Stelzenstraße mit viel Lärm abzutragen. Die Arbeiten dauern nach Angaben der Stadt acht Wochen und kosten 1,3 Millionen Euro. Anhänger der ungewöhnlichen Hochstraße, über die mehr als 50 Jahre lang Autos rollten, hatten am Sonntag die Gelegeinheit, sich zu verabschieden.

Abschied am Sonntag

Ein hundertfaches Klirren und Hämmern erfüllt die Luft, dazu gesellt sich ein großes Gemurmel, irgendwo spielt eine Band schmissige Töne – umweht von einer imposanten Klangkulisse verabschiedeten sich am Sonntag Zehntausende trotz Eiseskälte vom Tausendfüßler. Die Brücke wird ab Montag abgerissen, 51 Jahre lang war sie für die Düsseldorfer so etwas wie die schrullig-schräge Tante aus der Verwandtschaft: Wenn sie da ist, nervt sie, ohne sie fehlt aber irgendwie auch etwas. Eben weil sie immer da war und man sich an sie und ihr komisches Auftreten so schön gewöhnt hatte.

Mitten im Getümmel derer, die einen ersten und zugleich letzten Fußmarsch über die Brücke antreten, ist Dirk Elbers. Der Oberbürgermeister will eine schmissige Rede halten, doch das Mikrofon versagt. So erfüllt weiter das klirren und hämmern von hunderten „Brückenspechten“ die Luft, die sich mühevoll mit Hammer und Meißel ein letztes, steiniges Andenken aus dem widerborstigen Beton klopfen.

Irgendwann treibt ein Helferlein ein neues Mikro auf und der OB legt los. Er hat gute Laune, sagt mit Blick auf die alte „Tante“ Sätze wie „Sie hat ihren Dienst getan.“ und „Heute ist ein guter Tag für Düsseldorf.“

In ausgelassener Feierstimmung sind aber nur wenige. Irgendwie hängt mehr als nur ein Hauch Wehmut in der Luft, inmitten der umhertänzelnden Schneeflocken. Christoph Spoo stapft mit Sohn Carl-Theodor über die Brücke. Der Fünfjährige hält eine „Lott Stonn“-Fahne hoch. „Ich war schon um halb sechs morgens da. Jetzt ist es der letzte Gang“, sagt der 43-jährige Vater. Er will nicht, dass der Tausendfüßler abgerissen wird. Aber diese Entscheidung ist längst besiegelt.

Auch Penelope und Christian wollen den Abriss nicht. Sie „hoppen“ von Pfeiler zu Pfeiler und sprühen einen innige Gruß: rosa Herzen, ein „Lott Stonn“ darunter. „Man hätte einen schönen, begrünten Fahrradweg aus dem Tausendfüßler machen können. Dazu vielleicht ein nettes Café“, sagt Christian. „Klar ist es dunkel und hässlich unter ihm. Aber es liegt auch daran, was man daraus macht.“

Schutt wird nun aus der Brücke gemacht. Bevor es so weit ist, hämmert Holger Brittner noch einen Brocken aus der Fassade. „Ein Andenken für die Kinder“, sagt der 40-Jährige. „Das ist doch ein Stück Düsseldorfer Kultur.“ Seine Nichten Celine und Chantal erben es.

Hartnäckige Tante

Ein paar Meter weiter ringt auch Rafael-Michael Löbbert gemeinsam mit seinem zehnjährigen Neffen Peter Lohoff mit dem Mauerwerk. „Wir werden die Stücke in einem Dös’chen aufbewahren“, sagt Löbbert, dann hämmert er weiter. Die alte Tante ist ganz schön hartnäckig.

Irgendjemand hat einen Trauerkranz auf der Gabelung des Tausendfüßlers abgelegt, Hunderte haben schwarze Luftballons dabei. Verteilt hat sie die Bürgerinitiative „Lott Stonn“, die sich fünf Jahre lang gegen den Abriss des Bauwerkes stemmte. Vergeblich. Nun kommen die Mitglieder der Initiative zum Trauermarsch, der Verleger Michael Droste kritisiert dabei die Entscheider in der Stadtverwaltung, bezeichnet sie als „Illusionisten“. Er will ebenso wenig wie seine Mitstreiter an die schöne, neue Kö-Bogen-Welt glauben, die OB Elbers zuvor in seiner Rede gezeichnet hatte.

Inmitten des am Nachmittag immer stärker werdenden Gedränge erinnert die Baumschutzgruppe Düsseldorf mit Plakaten an die vielen Bäume, die den ganzen Bauarbeiten in der Stadt zum Opfer gefallen sind. „Wir kritisieren nicht die Baumaßnahmen an sich, sondern wir protestieren dagegen, wie mit dem Grün in der Stadt umgegangen wird“, sagt Andrea Vogelgesang.

Dann geht es zu einem letzten Marsch über den Tausendfüßler. Unterwegs stoßen kleinere Grüppchen mit Wein und Sekt an, ob auf die Vergangenheit oder die Zukunft - man weiß es nicht so genau. Dieser Tag verbindet beides. Denn nach dem Weg über den Tausendfüßler folgt ein Schwenk in den neuen, in betongrau und weiß gehaltenen Kö-Bogen-Tunnel. Hier fließt künftig der Verkehr, die alte Tante hat ihren Dienst getan.

Für viele Düsseldorfer war dieser Sonntag kein Feiertag, es war ein leiser, fast wehmütiger Abschied.

360-Grad-Panorama Abriss-Party