Düsseldorf. .

Burnout ist sein Thema: Professor Johannes Siegrist, Leiter des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, sieht eine wichtige Ursache für Burnout in der heutigen Arbeitswelt.

Der Marmeladenfleck auf der Tischdecke treibt einen zur Weißglut. Jetzt muss das blöde Ding auch noch gewaschen werden. Aber wann? Nach der Arbeit, wenn die Müdigkeit beinahe schmerzhaft ist? Wären da nicht diese verdammten Schlafstörungen. Im Bett verfolgen einen die Probleme aus dem Büro. Hat der Chef vielleicht noch eine E-Mail geschickt? Schnell das Licht einschalten, zum Smartphone auf dem Nachtisch greifen und nachgucken.

Eine Zeit lang geht das so, und dann, ganz plötzlich, schlägt sie zu, die „Erschöpfungskrise“, wie sie Professor Johannes Siegrist, Leiter des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Uni in Düsseldorf, nennt, besser bekannt als Burnout. Man fühlt sich „ausgebrannt“, die Leistungsfähigkeit sinkt gegen null. Greift man jetzt nicht ein, kann sich eine Depression entwickeln, die „im schlimmsten Fall zum Suizid führt“, beschreibt der Sozialwissenschaftler die gefährliche Abwärtsspirale.

„Sechs Prozent der Deutschen erkranken an einer Depression, mindestens doppelt so viele an einem Burnout“, schätzt Siegrist. Die Depression sei inzwischen die häufigste Ursache dafür, dass Menschen in der Bundesrepublik frühzeitig aus ihrem Beruf ausscheiden.

Doch warum ist das so? Warum erleben so viele Menschen den totalen Zusammenbruch, die völlige Erschöpfung?

Die Angst um den Job

Für den 67-jährigen Professor liegt eine wichtige Ursache in der Arbeitswelt. Durch die Globalisierung sei der Konkurrenzdruck zwischen den Unternehmen gestiegen. 13 Prozent der Menschen in der EU arbeiteten mehr als 50 Stunden die Woche. Die Unsicherheit sei groß. Viele erlebten massiven Stellenabbau an ihrem Arbeitsplatz. Neue Technologien wie Handy, Laptop oder Smartphone ließen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwinden.

Doch obwohl diese Entwicklung jeden betrifft, erkranken nicht alle an einem Burnout oder einer Depression.

Thema Burnout: Professor Johannes Siegrist in  seinem Büro im Institut für Medizinische Soziologie in der Universität Düsseldorf. Foto: Lars Heidrich / WAZ FotoPool
Thema Burnout: Professor Johannes Siegrist in seinem Büro im Institut für Medizinische Soziologie in der Universität Düsseldorf. Foto: Lars Heidrich / WAZ FotoPool

Siegrists These: Nur bestimmte Arbeitsbedingungen machen krank. Seine Forschungen zeigen, dass es in der Arbeitswelt zwei Konstellationen gibt, die ein Burnout oder sogar eine Depression begünstigen. Zum einen sind das Berufe, in denen ein hoher Zeitdruck herrscht und die Mitarbeiter gleichzeitig wenig Kontrolle über ihre eigene Arbeit haben. Fließbandarbeiter, Verkäufer und Call-Center-Mitarbeiter sind typische Beispiele.

Gefährlich ist die „Belohnungskrise“

Oder aber Arbeitsplätze, an denen es eine so genannte „Belohnungskrise“ gibt. „Ein Ungleichgewicht zwischen dem, was ich leiste und den Belohnungen, die ich dafür bekomme“, erklärt der gebürtige Schweizer. Hierbei gebe es drei Arten von Belohnungen: Geld, Aufstieg oder Arbeitsplatzsicherheit und Wertschätzung.

Diese beiden Arbeitskonstellationen erhöhen laut Siegrist die Wahrscheinlichkeit für eine Depression um 70 Prozent. Die fehlende Arbeitsplatzsicherheit ist dabei für den Medizinsoziologen eine besondere Gefahr. Und zwar nicht nur für Menschen, die ihre Stelle tatsächlich verloren haben. Im Gegenteil, gerade so genannte „survivor disease“, die Überlebenden der Krankheit, also des Stellenabbaus, stünden unter einem enormen Druck: mehr Arbeit und gleichzeitig die Angst, als nächstes an der Reihe zu sein.

Eine finnische Studie zeige, dass bei Mitarbeitern, die in ihrer Firma eine Entlassungswelle erlebt hätten, ohne selbst betroffen zu sein, die Sterblichkeit in den nachfolgenden sieben Jahren um 40 Prozent gegenüber derjenigen von Mitarbeitern an sicheren Arbeitsplätzen gestiegen sei.

Nicht unbedingt ein Problem der Chefetagen

Der weit verbreiteten Ansicht, dass Burnout eine Sorge der Chefetagen ist, widerspricht Siegrist. Die Wahrscheinlichkeit steigt, „je tiefer man in der betrieblichen Hierarchie geht“. Es gebe allerdings eine Ausnahme: Menschen, die als personenbezogene Dienstleister arbeiten, also Ärzte, Altenpfleger oder auch Lehrer. Hier mache das Burnout auch vor den höheren Gehaltsklassen nicht halt.

Siegrist appelliert an die Wirtschaft, endlich etwas gegen die krankmachenden Arbeitsbedingungen zu tun. Auf längere Sicht würde sich das für die Chefs durch geringere Fehlzeiten und eine höhere Produktivität der Mitarbeiter auszahlen.

Als Leiter des Studiengangs „Public Health“ an der Heinrich-Heine-Uni unterstützt er die Unternehmen dabei. Hier werden Gesundheitsexperten ausgebildet, die Krankheitsursachen erforschen und praktische Lösungen anbieten.