Düsseldorf. „Ich hatte die erste Panikattacke meines Lebens.“ Warum die Arbeit an diesem Film für den Düsseldorfer Schauspieler eine extreme Erfahrung war.

  • Der für fünf Oscars nominierte Film „The Zone of Interest“ ist jetzt in den deutschen Kinos angelaufen.
  • Die Hauptrolle des Lagerkommandanten Rudolf Höß spielt der Schauspieler Christian Friedel.
  • Im Interview spricht er über die außergewöhnliche Arbeit an diesem Film, über rechtsextreme Strömungen in Deutschland, über seine Liebe zum Theater und seine Band „Woods of Birnam“.
  • Im Schauspielhaus Düsseldorf wird Christian Friedel im März wieder als Hamlet und Dorian zu sehen sein.

Wenn am 10. März die Oscars 2024 verliehen werden, dann ist auch der Düsseldorfer Schauspieler Christian Friedel beim Filmspektakel in Los Angeles. Er spielt die männliche Hauptrolle in „The Zone of Interest“. Der britische Film von Jonathan Glazer hat den Großen Preis von Cannes gewonnen und ist für fünf Oscars nominiert. Friedel spielt Rudolf Höß, der als Lagerkommandant von Auschwitz mit seiner Familie direkt neben dem Konzentrationslager gelebt hat.

Kurz vor dem Oscar-Spektakel spricht der Schauspieler über das Filmprojekt, das sich dem Nazi Höß auf eine außergewöhnliche Weise nähert und zu einem Zeitpunkt in die Kinos kommt, wo Hunderttausende in Deutschland gegen Faschisten auf die Straße gehen.

Ich spreche mit dem Hauptdarsteller eines Films, der gerade für fünf Oscars nominiert wurde. Muss ich jetzt wieder „Sie“ zu dir sagen?

Haha, nein, du darfst mich nach wie vor duzen. Ich bin jetzt mit 44 in einem Alter, in dem man berufliche Erfolge sehr genießen kann, ohne gleich abzuheben.

Erinnerst du dich an den Wunsch, den du bei unserem Interview vor ungefähr einem Jahr ausgesprochen hast?

(Er überlegt einen Moment) Meinst du das mit den internationalen Projekten?

Genau! Du hast gesagt, dass du dir wünschst, mehr in internationalen Filmen zu spielen. Ich würde sagen, das ist ziemlich schnell in Erfüllung gegangen.

Allerdings! Ich freue mich riesig. Diese Nominierung für den wichtigsten Preis der Filmbranche bedeutet eine totale Wertschätzung für einen sehr experimentellen und vor allem enorm wichtigen Film. Das macht mich stolz und glücklich für alle, also für das gesamte Team.

Du bist zwar nicht als Darsteller für einen Oscar nominiert, wie deine Kollegin Sandra Hüller für ihre Rolle in „Anatomie eines Falls“, aber was bedeutet dir persönlich diese Hauptrolle in „The Zone of Interest“, wo du ja gemeinsam mit Sandra spielst?

Christian Friedel mit dem Team von „The Zone of Interest“ im Mai 2023 auf dem roten Teppich in Cannes.
Christian Friedel mit dem Team von „The Zone of Interest“ im Mai 2023 auf dem roten Teppich in Cannes. © Invision/AP | Joel C Ryan

Also erstmal möchte ich sagen, wie sehr ich mich für Sandra freue. Sie ist nicht nur eine tolle Kollegin, sondern auch eine sehr gute Freundin und sie hat das absolut verdient. Aber mich berührt auch sehr, wie meine Leistung in diesem Projekt wahrgenommen und geschätzt wird. Der Film ist in aller Munde.

Und er hat dir zu einer weiteren internationalen Rolle in der dritten Staffel der preisgekrönten Serie „The White Lotus“ verholfen, die du demnächst in Thailand drehst.

Ja, da gab es auch ein klassisches Casting, aber es ist natürlich so, dass Mike White, der Regisseur von White Lotus, durch einen so viel beachteten Film mitbekommt, wer ich bin. Mein erster für einen Oscar nominierter Film „Das weiße Band“ hat mir bis heute Türen geöffnet. Ich bin gespannt, was jetzt noch kommt und freue mich, die nächsten Schritte zu gehen.

In Deutschland ist „The Zone of Interest“ jetzt angelaufen. Regisseur Jonathan Glazer hat das Konzept seines Films mit „Big Brother im Nazihaus“ umschrieben. Kannst du das kurz erklären?

Der Film erzählt keine Geschichte, sondern er blickt durch die Fenster des Hauses der Familie Höß, die direkt neben dem Konzentrationslager in Auschwitz lebt. Jonathan Glazer hat mit zehn Kameras gearbeitet, die den Alltag der Familie observieren. Vati geht jeden Tag zur Arbeit und bringt Menschen um. Der Film ist eine Warnung, wozu Menschen fähig sind. Und wie sie es schaffen, die Schuld zu ignorieren. Dass wir alle dazu fähig sein könnten, das ist für mich die persönlichste Botschaft des Films.

Der Film scheint genau zum richtigen Zeitpunkt in die deutschen Kinos zu kommen.

Das ist Wahnsinn, dass der Film genau jetzt herauskommt, wo so viele Menschen auf die Straße gehen. So etwas kann man ja gar nicht planen. Wir leben in einem Land, in dem es mit der AfD eine Partei gibt, die sich als Alternative darstellt, aber sich nicht zu ihren rechtsradikalen Strömungen bekennt. Wenn man diese Partei wählt und akzeptiert, dass da auch Nazis drin sind, hat man schon eine Grenze überschritten.

Bei den aktuellen Prognosen für die Landtagswahlen in Thüringen kommt die AfD auf 33 Prozent. Im November 1932 wählten 33 Prozent die NSDAP.

Es muss etwas passieren. Jetzt! Meine Hoffnung ist, dass wir aus unserer Vergangenheit doch gelernt haben. Man kann diese Dynamik nur aufhalten, indem man sich die Geschichte immer wieder bewusst macht. In „The Zone of Interest“ ist Höß nicht der Klischee-Nazi, von dem man sich als Zuschauer distanzieren kann. Er ist ein Mensch wie du und ich.

Das Ehepaar Höß im Film „The Zone of Interest“: Rudolf (Christian Friedel) und Hedwig (Sandra Hüller).
Das Ehepaar Höß im Film „The Zone of Interest“: Rudolf (Christian Friedel) und Hedwig (Sandra Hüller). © dpa | LEONINE

Wie kann der Film dazu beitragen, Augen zu öffnen?

Wenn man sich auf diesen Film einlässt und genau hinschaut, fühlt und hört, dann wird man etwas sehr Tiefes erleben. Ich selber hatte in manchen Momenten die erschreckende Erkenntnis: Das hätte auch ich sein können. Unser Film ist nicht belehrend, sondern er wirft Fragen auf, die jeder für sich beantworten muss. Nicht alle, die aus Frust die AfD wählen, sind Nazis. Aber die Leute müssen aufwachen und merken, dass sie eine Partei unterstützen, in der nachweislich Nazis sind.

Wie nah ist dir der Film und die Figur Rudolf Höß gekommen?

Es war eine Erfahrung, die ich so noch nie gemacht habe. Wir waren als Schauspieler allein am Set, nur mit den Kameras. Dabei hatten wir alle Zeit der Welt, uns in die Situation einzufühlen. Wir haben die Realität der Familie Höß gespürt. Das war sehr intensiv.

Ihr habt in Auschwitz gedreht.

Wir waren drei Monate ganz in der Nähe des Konzentrationslagers. Du fühlst die Geschichte und die Verantwortung, die du hast, jeden Tag. Ich bin sehr froh über das, was ich als Mensch gelernt habe. Dass auch mir bewusst wurde, wozu wir fähig sein können. Das hat mich sehr zum Nachdenken angeregt.

Du hast erzählt, dass der Film für dich auch körperlich herausfordernd war.

Ich musste für die Rolle mehrfach Gewicht zunehmen und wieder abnehmen. Das war die eine Sache. Aber ich hatte auch eine beängstigende körperliche Erfahrung: Als ich an einem freien Tag in Krakau in einem Café saß, hatte ich die erste Panikattacke meines Lebens. Ich erkläre mir das so: Ich bin eigentlich ein Kontrollfreak und bei diesem Projekt musste ich jegliche Kontrolle abgeben. Die körperliche Reaktion hat mir deutlich gemacht, wie intensiv diese Arbeit für mich persönlich war.

Aber mittlerweile hast du Rudolf Höß wieder aus deinen Knochen herausgeschüttelt?

Ja, klar! (Er lacht). Ich habe den Film ein halbes Jahr lang in den USA vorgestellt und therapeutische Interviews geführt. Mir geht’s gut.

Na, dann wird es ja Zeit für einen neuen Wunsch. Was soll als nächstes kommen?

Christian Friedel mit seiner Band „Woods of Birnam“ im Proberaum.
Christian Friedel mit seiner Band „Woods of Birnam“ im Proberaum. © dpa | Sebastian Kahnert

Also der Wunsch mit der internationalen Karriere bleibt natürlich bestehen. Aber ich würde mir auch wünschen, dass meine Musik den Sprung über die Grenzen Deutschlands schafft.

Du hast seit elf Jahren eine eigene Band, die „Woods of Birnam“, die viel in deine Theaterprojekte eingebunden sind.

Genau. Und da würde ich mir wünschen, dass wir mit den Woods vielleicht auch mal ein Gastspiel in Städten wie London, Paris oder New York haben. Ich bin gerne Teil von Filmprojekten, aber meine Bühnenarbeiten und die Arbeiten mit meiner Band haben ja nochmal eine ganz andere Kraft und Energie. Auch das würde ich gerne mal in der Welt präsentieren.

Christian Friedel auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses: als Nathanael in Robert Wilsons „Der Sandmann“.
Christian Friedel auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses: als Nathanael in Robert Wilsons „Der Sandmann“. © Lucie Jansch

Ist notiert! Mal schauen, ob auch das bis zum nächsten Interview in Erfüllung geht. Letzte Frage: Deine Theaterfans machen sich in den sozialen Netzwerken Sorgen, dass sie dich wegen der Filmkarriere bald weniger auf der Bühne sehen. Kannst du sie beruhigen?

Da braucht man sich keine Sorgen machen. Ich genieße das so sehr, Theater zu spielen. Das ist für mich meine Heimat. Und deshalb stehe ich auch sofort nach der Oscarverleihung wieder auf der Bühne: am 14. März als Dorian in Düsseldorf, am 16. mit Macbeth in Dresden und am 18. bin ich wieder Hamlet in Düsseldorf.