Düsseldorf. 2021 brach die Decke in der Wohnung des Düsseldorfers Burhan Kandemir ein. Seitdem zofft er sich mit dem Vermieter. Experten vermuten ein System.

Elf Jahre lang wohnte Burhan Kandemir schon in seiner Mietwohnung am Kennedydamm, als am 18. November 2021 buchstäblich die Decke runter kam. „Ein großes Stück Deckenputz fiel im Wohnzimmer auf meinen Esstisch“, erinnert er sich. „Durch das Loch konnte ich plötzlich in die Wohnung über mir sehen.“ In der Etage darüber fanden im Rahmen einer Sanierung Bauarbeiten statt. Kandemir meldete das Loch sofort seinem Vermieter, seinem Rechtsanwalt und auch der Düsseldorfer Bauaufsicht, die noch am selben Tag zur Besichtigung kam. Dann ging alles ganz schnell: Der Mieter musste schnell einige Sachen zusammenpacken, die Bauaufsicht versiegelte aus Sicherheitsgründen das Gebäude. Dass er bis dato nie wieder in seine langjährige Wohnung einziehen würde, hätte er damals nicht zu träumen gewagt.

Bauaufsicht stellte „erhebliche Gefahr“ fest

Das Loch sei in Folge von Bauarbeiten entstanden, heißt es in einem Schreiben der Bauaufsicht, das unserer Redaktion vorliegt. Diese Arbeiten waren noch dazu gar nicht genehmigt, was eigentlich nötig gewesen wäre. „Es besteht eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit aller Personen, die sich im Gebäude aufhalten“, heißt es im Schreiben weiter. Kandemir zog zunächst in ein Appartement ein – sein Vermieter kam vorerst für die Kosten auf. Doch bald begann ein Streit, der sich nach vielem Hin und Her bis heute hinzieht.

So wurde ihm etwa die Entsiegelung des Gebäudes im Mai 2022 erst Anfang Dezember 2022 mitgeteilt, berichtet Kandemir. Ins Haus kam er erst im folgenden Januar, weil das Haustürschloss ohne sein Wissen ausgetauscht worden sei. Zwischenzeitlich habe seine Wohnung offen gestanden, sagt er, da die Wohnungstür ausgehangen wurde. Später habe der Vermieter ohne sein Einverständnis die Wohnung aufbrechen und das Schloss austauschen lassen.

Gericht bestätigte fristlose Kündigung

Seine Einrichtungsgegenstände seien teils verschwunden, sagt er. Viel sei außerdem verschimmelt, da es der Vermieter erst nach mehr als einem Jahr von einer Spedition aus der unbeheizten Wohnung habe holen lassen. Bewohnbar war die Wohnung außerdem die ganze Zeit nicht, meint Kandemir: Bis Dezember 2023 sei die Heizung nicht angeschlossen gewesen und im Wohnzimmer hätten die Steckdosen nicht funktioniert. Der zuständige Immobilienverwalter hat sich auf Anfrage der NRZ (Dezember 2023) bis heute nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Burhan Kandemir ist vor Gericht gezogen.
Burhan Kandemir ist vor Gericht gezogen. © NRZ | privat

Im Oktober 2023 bekam Kandemir eine fristlose Kündigung, da er die Miete für die Wohnung nicht gezahlt hatte, aber seit Mai 2023 dort wohnen hätte können. Am 6. Dezember kam es zum Verfahren vor dem Amtsgericht. Ein Urteil steht aus, doch was in einem Hinweisbeschluss mitgeteilt wurde, kann der Düsseldorfer nicht verstehen: Die Kündigung sei rechtens und er müsse die ausgesetzte Miete nachzahlen. Außerdem sei nicht klar, dass das mittlerweile reparierte Loch in der Decke durch die Bauarbeiten passiert sei. Dies müsse, wie auch eine psychische Belastung Kandemirs durch die Umstände, mittels Gutachten belegt werden. Letzteres Gutachten habe er erstellen lassen, doch bezüglich der Entstehung des Lochs ist er ratlos: „Wie soll ich das zwei Jahre später belegen?“ fragt er verständnislos. Kandemir verweist dazu auf das Schreiben des Bauaufsichtsamtes.

Der Urteilsspruch zieht sich hin: Seit Anfang Dezember könne er seine Anwältin nicht mehr erreichen, erklärt Kandemir. Das Gericht hat das Urteil deswegen verschoben. Am 25. Januar soll es so weit sein. Kandemir selbst lehnte einen außergerichtlichen Vergleich mit dem Vermieter ab, bei dem er 20.000 Euro erhalten hätte. „Ich bin in der ganzen Sache im Recht“, ist er sicher. Von seiner langjährigen Wohnung hat er sich aber mittlerweile wohl verabschiedet: Aktuell sei er auf der Suche nach einer Dreizimmerwohnung, teilt er mit.

Mieter erstattet Anzeige wegen „Herausmodernisierens“

Auch an den Mieterverein Düsseldorf hatte sich Kandemir zwischenzeitlich gewandt. „Wir haben mit ihm auf seine Bitte eine Anzeige nach Paragraf sechs des Wirtschaftsstrafgesetzes besprochen“, sagt Geschäftsführer Claus Nesemann. Dieser Paragraf behandelt das, was manchmal als „Herausmodernisieren“ benannt wird: Baumaßnahmen, die in einer Art durchgeführt werden, die zu unnötigen Belastungen des Mieters führen – mit dem Ziel, diesen zur Kündigung zu bewegen. Kandemir stellte eine Anzeige, die mittlerweile durch die Oberstaatsanwältin geprüft werde, berichtet er selbst. Er habe bemerkt, dass gleich große Wohnungen im Haus mittlerweile für ein Vielfaches seiner alten Miete angeboten wurden. Dass der Vorwurf zutrifft, sei „naheliegend“, urteilt Nesemann. Es wäre dann „kein Einzelfall“, fügt der Vereinsvorsitzende Hans-Jochem Witzke hinzu, der entsprechende Fälle in Düsseldorf mitbekommen habe. Witzke selbst hatte sich damals ein Bild von Kandemirs Wohnung machen können.

„Spätestens dieser Gerichtsbeschluss lässt mich an meinem Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden zweifeln“, sagt die Düsseldorfer SPD-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Zanda Martens, die den Fall lange verfolgt hat. Wie der Mieter heute belegen soll, dass die Decke wegen der Bauarbeiten herunterkam, das kann sie nicht nachvollziehen: „Mir fehlt womöglich die fachliche Kompetenz, um zu verstehen, wie das nach dem Abschluss der Bauarbeiten noch nachträglich möglich sein sollte.“ Das Urteil in diesem Streit sei noch nicht gefällt, doch das Vertrauen in Behörden, Gerichte und Rechtsstaat habe schon sehr gelitten. „Ich bleibe dran, obwohl oder gerade weil ich mich so sehr darüber ärgere, dass unser Rechtsstaat in diesem und vielen anderen ähnlichen Fällen zeigt, dass die Mieter von ihm nichts zu erwarten und die Vermieter nichts zu befürchten haben“, resümiert die Politikerin.