Düsseldorf. Auch in Düsseldorf fehlt es an Fachkräften in den Kitas. Mit Anfang diesen Jahres wird die Situation aber zusehend schlimmer. Ein Teufelskreis?

Am gestrigen Dienstag begann das neue Kindergartenjahr in Düsseldorf. 28.000 Plätze stehen in der Landeshauptstadt zur Verfügung, bei über 36.000 Kindern bis sechs Jahren sind das aber zu wenig. Laut Jugendamt könnten es in diesem Jahr „800 bis 1000 Kinder sein, für die das Angebot in der Tagespflege noch offensteht“. Rein rechnerisch stehe für 50,5 Prozent der unter Dreijährigen ein Betreuungsplatz zur Verfügung. Laut Jugendamt liege der Bedarf in einigen Stadtteilen aber bei 60 Prozent.

Gesetzlich hat jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr einen Anspruch auf frühkindliche Förderung Mit vollendetem dritten Lebensjahr kommt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz hinzu. Laut der Stadt stehe „für die Hälfte der Kinder unter drei Jahren und für alle Kinder über drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung“. Rechnerisch liege die Quote für Über-Dreijährige bei 101,7 Prozent.

Rechnerisch super – praktisch prekär

Gleichzeitig weist die Stadt aber darauf hin, dass „es auch im neuen Kitajahr zu Einschränkungen des Betreuungsangebotes kommen“ werde. „Nicht zu jedem Zeitpunkt werden alle Betreuungsplätze tatsächlich angeboten werden können.“

Alex Liefermann, Vater von zwei Kindern, ist unmittelbar davon betroffen. Sein jüngster Sohn, der dreijährige Liam-Luca, wird seit letztem Jahr in einer Kita der Arbeiterwohlfahrt (AWO) betreut – zumindest theoretisch. Denn seit Beginn diesen Jahres häufen sich die Ausfälle. Mittlerweile sei es die Regel, dass Liam zwei bis vier Tage die Woche entweder früher nach Hause kommen oder direkt zuhause bleiben müsse. Als echtes Erfolgserlebnis verbucht es der Vater, wenn einmal zwei Wochen am Stück der Bildungsauftrag erfüllt werden könne.

Ein Problem und kein Schuldiger

Dabei will Liefermann dezidiert nicht die Erzieher verantwortlich machen: „Die machen einen wichtigen, wunderbaren Job.“ Diesen könnten aber auch die Kräfte, die es gibt, nur dann erfüllen, wenn das Zahlenverhältnis zwischen Betreuern und Kindern stimmt. Von drei Gruppen in der Kita seines Sohnes sei wegen Personalmangels oftmals nur eine geöffnet.

„Ich habe mittlerweile Zukunftsängste“, so Liefermann. Nicht nur weil den Kindern die nötige Bildung nicht vermittelt werden könne, sondern auch weil sich bei den zunehmenden Ausfällen jemand um das daheimgebliebene Kind kümmern müsse. „Es geht mir nicht darum, meinen Sohn abzuschieben.“ In der Kita würden die Kinder ja nicht nur beaufsichtigt. Vielmehr erfüllen die Tagesstätten einen wichtigen Bildungsauftrag. „Die Kinder werden selbstständiger, lernen auch, dass sie Sachen ohne Mama und Papa schaffen können.“

Wenn morgens aber der Anruf kommt, dass Liam-Luca heute wieder zuhause bleiben muss, gehe der Ärger erst los. „Meine Lebensgefährtin und ich teilen uns auf.“ Bei der Arbeit anrufen und für Ersatz sorgen sei zwar möglich, wie lange sich das Arbeitgeber gefallen lassen, stehe aber auf einem anderen Blatt.

Dabei geht es Liefermann nicht nur um ihn selbst und seine Situation. „Ich will aktiv werden, damit wir gemeinsam etwas schaffen. Als Gesellschaft“, so der Mörsenbroicher weiter. Und tatsächlich handelt es sich um ein bundesweites Problem. So geht eine Studie der Bertelsmann-Stiftung davon aus, dass in der Bundesrepublik etwa 384.000 Kitaplätze fehlen. Hauptverantwortlich dafür sei der Fachkräftemangel. Allein in NRW fehlten in diesem Jahr mehr als 65.000 Fachkräfte.

Laut Stadt Düsseldorf sind 138 Stellen in städtischen Einrichtungen unbesetzt. Über die Situation bei den zahlreichen privaten Trägern lässt sich nur spekulieren. Dabei erscheinen die Arbeitsbedingungen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Mit einem tariflichen Einstiegsgehalt von knapp 3000 Euro brutto bewegen sich Erzieher etwa im Bundesdurchschnitt der Arbeitnehmer. Dennoch mangele es am Nachwuchs.

Ein Problem mit Ansage

Stefanie Walther von der Diakonie: „Düsseldorf ist kein attraktives Pflaster für Erzieherinnen. Tatsächlich erleben wir Kündigungen wegen fehlender Wohnortnähe.“ 2023 liegt der Mietspiegel in Düsseldorf bei 12,63 Euro pro Quadratmeter und damit beinahe vier Euro über dem Landesdurchschnitt. Auch wenn das Gehalt nicht schlecht ist, lässt sich in anderen Kommunen damit deutlich mehr anfangen. So entsteht eine Konkurrenz um die wenigen verfügbaren Fachkräfte. Dabei sei das Problem nicht plötzlich aufgetreten. „Jeder wusste, dass der Fachkräftemangel auf uns zukommt“, so Walther weiter.

Zwar seien durchaus Maßnahmen ergriffen worden, etwa indem die Berufsgruppen, die in den Kitas arbeiten dürfen, erweitert wurden. Auch das Alltagshelfer-Programm, das die Pädagogen von Tätigkeiten außerhalb ihres Berufsfeldes entlasten soll, sei eine gute Idee. Dennoch hapere es an der Umsetzung.

Krankenstand um 2,6% gestiegen

Ein weiteres Problem besteht darin, dass der Kitanotstand kein Thema sei, das nur Fachleuten bekannt ist: „Wer will schon in einem Mangelberuf arbeiten?“, gibt Walther zu bedenken. In letzter Zeit träten zudem „massive Krankenwellen“ auf. In den städtischen Einrichtungen belief sich die Krankenquote im Vorjahr auf 13,26 Prozent. Dieses Jahr liege die Quote bereits bei 15,86 Prozent.

Genau diese Erfahrung macht auch Liefermann. Er appelliert an die Politik, habe sich mit dem Träger, der Stadt und der Bezirksregierung in Verbindung gesetzt. „Außer warmen Worten ist da aber nicht viel gekommen.“ Er spräche ihnen aus der Seele, hieß es in einem Schreiben. Davon habe Liam-Luca aber leider nichts.

Stadtdirektor Burkhardt Hintzsche verweist darauf, dass Düsseldorf im Vergleich zu anderen Kommunen gut dastehe. Die Stadt habe „in den letzten Jahren sehr stark in den Ausbau unserer Betreuungsinfrastruktur investiert“. Der Personalbedarf sei „in den letzten Jahren durch den Bau neuer Kitas, aber auch aufgrund zusätzlicher Aufgaben stark gestiegen.“ Dass nun noch die Babyboomer in Rente gingen, verschärfe das Problem. Hintzsche sieht dabei „vor allem auch Land und Bund“ in der Verantwortung. „Wir tun alles erdenklich Mögliche, um die Betreuungssituation für Kinder bis zum Schuleintritt kontinuierlich zu verbessern“,so Hintzsche.

Liefermann hingegen weiß, wie es nach dem Schuleintritt weitergeht. Sein zweiter Sohn, Finn (13), ist bereits auf einer weiterführenden Schule. Und da gehe es mit den Ausfällen munter weiter.