Düsseldorf. Der Gutenachtbus unterstützt Bedürftige in Düsseldorf – und bietet auch Gelegenheit zu guten Gesprächen.

Es herrschen Minusgrade, als in dieser Freitagnacht vor dem vierten Advent ein kleiner Sprinter-Van seine Türen gegenüber dem Kommödchen öffnet. Es ist 22 Uhr. Schnell bauen einige, mehrheitlich junge Leute Klapptische auf, stellen Suppe und kleine Schnitzel bereit. Und ebenso schnell haben sie eine ganze Menge Publikum, das vor den Tischen Schlange steht. Der Gutenachtbus ist montags bis freitags nachts im Einsatz, um jenen, die es brauchen – einige davon in Obdachlosigkeit, andere nicht – Essen und Bedarfsgegenstände auszuteilen.

Immer wieder neue Gesichter

Los geht es in der Altstadt. Das Freitagsteam ist schon nach kurzer Zeit höchst beschäftigt, holt seitlich und aus der Hecktür des Wagens Teebecher, Masken oder Taschentücher – ganz orientiert an den Nachfragen der Bedürftigen. „Fast jeder, der zu uns kommt, fragt nach einer Packung Taschentücher“, sagt Leon. Der 24-Jährige ist an diesem Wochentag Teamleiter. Während die meisten Menschen Taschentücher kaum wertschätzen, sind sie für Menschen auf der Straße oft der einzige Weg, sich hygienisch abzuwischen, erklärt er.

Der Student ist seit bald drei Jahren ehrenamtlich für den Gutenachtbus im Einsatz. „Wegen Corona hatten sich damals einige ältere Ehrenamtler zurückgezogen“, berichtet er. „Ich habe mich beim Gutenachtbus gemeldet und man fragte mich sofort: ‘Hast du morgen Zeit? Übermorgen?’“ Leon kam und blieb.

Viele seiner Helfer-Kollegen haben noch nicht so lange Erfahrung. Und doch kennen sie schon viele der „Stammgäste“, die es zu später Stunde zum Bus zieht. Da ist etwa René. Der Fiftyfifty-Verkäufer, der von Rente und Grundsicherung lebt, ist Vielleser -- er erzählt von einem neuen antiquarischen Bücherfund. Zum Gutenachtbus kommt er häufig: „Das ist eine Hilfe. Alles zählt“, sagt er. Beim Bus freut er sich nicht nur über warmes Essen, sondern auch darüber, immer wieder neue Gesichter zu treffen. Viele der Düsseldorfer, die zum Bus kommen, kennen sich, halten Plausch und tauschen sich aus. Und zu sagen hat René viel: „Ich finde es so schlimm, dass es in so einem reichen Land wie Deutschland so viel Armut gibt.“ Auf der anderen Seite gebe es Menschen, die große Profite machen, sagt er. Der zum neuen Jahr wirksam werdenden Bürgergeld-Reform kann er wenig abgewinnen. „53 Euro Erhöhung, das ist nichts. Das hat die Inflation doch längst aufgefressen!“ Um Geld zu sparen, habe er sogar schon seinen Kühlschrank abgestellt. Er wirft Staat und Stadt vor, sich beim Thema Armut einfach auf Tafeln, Wärmebusse und andere ehrenamtliche Projekte zu verlassen, statt politisch etwas wirksames dagegen zu setzen. „Das kotzt so viele an!“

Rettung in eiskalten Nächten

Immer mal wieder kommen zwischendurch Menschen an den Bus, die Sachspenden abgeben. Doch auch immer wieder klingelt zwischendurch das „Kältehandy“, Leon nimmt die Anrufe entgegen. „Was die Temperatur angeht, sind wir gerade an der Grenze“, sagt er. Bei Temperaturen unter Null ist auch ein Sprinter im aufsuchenden Einsatz – am Wochenende und wenn möglich und nötig auch unter der Woche. Werden Menschen in kritischem Zustand in den frostigen Straßenecken gefunden, muss alles ganz schnell gehen, um das Schlimmste zu verhindern.

Nach nur einer Stunde in der Kälte, ohne viel Bewegung, wird klar, wie sehr die Temperaturen an den Energiereserven zehren. Heiße Getränke helfen – doch früher oder später setzt sich das bitterkalte Wetter gegen den inneren Ofen durch. Nicht die angenehmste Bedingungen für ein Ehrenamt, doch die Freiwilligen sind guter Stimmung.

Auch Andrea (54) engagiert sich beim Gutenachtbus, seit Oktober. „Wir Ehrenamtler kennen uns eigentlich kaum, aber wir arbeiten hier zusammen, und es klappt gut“, sagt sie. Die Arbeit des Gutenachtbus denkt sie zusammen mit dem Housing-First-Projekt. Der Bus hilft akut, während Housing First eine langfristige Perspektive gibt. „Es ist schön, einen Beitrag leisten zu können. Schöner wäre es, wenn wir es nicht müssten.“

Heiße Suppe und nette Gespräche

Ab 23 Uhr geht es noch für eine Stunde an die Ecke Friedrich-Ebert-Straße/Karlstraße, einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt. Dort angekommen, erkennt man sich schon: Eine Frau winkt Leon freudig. Sharon heißt sie, ist 70 und Rentnerin. Seit sie den Gutenachtbus 2018 zufällig durch einen Bekannten entdeckte, kommt sie sehr oft her. „Wenn es das nicht gäbe, könnte ich trockenes Brot essen!“ Sie lässt sich die Suppe als Mittagessen für den nächsten Tag einpacken, auch ein paar Hygieneprodukte nimmt sie mit. Und die aufgeweckt-freundliche Frau spricht am Bus mit vielen Menschen, man kennt sich. Sie redet gern über die Fußball-WM, ein paar Tage vor dem Finale fiebert sie mit Argentinien mit.

Auch Jo entdeckte den Gutenachtbus vor einem halben Jahr zufällig. Er fragte damals nach einem heißen Kaffee – und kommt seitdem häufig. „Ich freue mich jedes Mal über eine leckere Suppe und die netten Leute“ sagt er. Auch er hat klare Meinungen: „Wir leben in einem reichen Land. Es ist doch ein Skandal, dass so viele Leute obdachlos sein müssen.“ Dass Hartz IV jetzt anders heiße, ändere daran nichts.

Zwei Stunden in der Kälte machen sich bemerkbar. Einige Zehen scheinen den Winterschlaf angetreten zu haben, auch der Kreislauf fühlt sich nicht mehr so frisch an. Doch die Ehrenamtler führen ihre Schicht zu Ende, ohne mit der Wimper zu zucken. Während die meisten sich vor den Temperaturen in eine Wohnung flüchten können – wenn das Heizen auch schmerzhaft teuer geworden ist – haben viele auch in NRWs Lebensqualitätsprimus Düsseldorf diese Möglichkeit nicht. Doch es gibt Menschen, die nicht davor zurückschrecken, hinzuschauen und zu helfen – genau da, wo es uns als Gesellschaft aber auch als Einzelnen wehtut.