Düsseldorf. Die Düsseldorfer DGB-Vorsitzende Sigrid Wolf über den Sinn von Gewerkschaften, Wikipedia-Einträge, die SPD und komplizierte Gendersprache.
Treffen mit Sigrid Wolf am Restaurant „A Tavalo“ in der Altstadt. Sie mag das Beschauliche an Düsseldorf, sagt sie. Und diese Terrasse in der schmalen Wallstraße ist so ein beschaulicher Ort. Das Interview mit der Regionsgeschäftsführerin der DGB-Region Düsseldorf/Bergisch Land und der Vorsitzenden des DGB in Düsseldorf führt uns zu Wikipedia-Einträgen, zur SPD, zu den Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zu Corona und schwierigen Kundgebungen, aber die 60-Jährige erzählt auch über Privates. Darüber, dass sie eigentlich zwei Leben lebt, das aber ganz gut hinbekommt: Tagsüber verdient sie ihr Geld als Gewerkschaftssekretärin, und zu Hause erwartet sie dann ein Mann, der von Beruf Gutsverwalter ist und einen landwirtschaftlichen Betrieb hat. Eine Kuh melken kann Sigrid Wolf nicht, denn auf ihrem Bauernhof gibt es keine Tiere. Dafür kann sie Rasenmäher-Traktor fahren.
Frau Wolf, bei diesem Interview kommt die erste Frage traditionell von meiner Tochter. Sie spielt Fußball und möchte von Ihnen wissen: Finden Sie auch, dass Frauen in diesem Sport genau so viel verdienen müssten wie Männer?
Nicht nur, weil Olaf Scholz damit vorgeprescht ist, sind wir beim DGB schon lang der Meinung, dass Fußballspielerinnen das Gleiche verdienen müssen wie die Männer. Ich finde es toll, dass immer mehr Frauen und Mädchen diesen Sport betreiben. Wir sind auch sehr da hinterher, dass die Vereine das anbieten. Es ist ein toller Mannschaftssport oder Frauschaftssport, diese Gleichberechtigung bei der Bezahlung fordern wir woanders ja auch.
Jetzt kommen Erwachsenenfragen.
Gut.
Bekommen Sie oft Postsendungen oder E-Mails, die an Siegfried Wolf adressiert sind?
(Der Kellner bringt das Mittagessen. Es gibt zweimal Nudeln. Sigrid Wolf hat gesagt, Nudeln machen glücklich.)
Oft wäre zu viel gesagt, aber es kommt vor, weil einige Leute sich einen Geschäftsführer wohl eher vorstellen können als eine Geschäftsführerin. Aber es kam früher häufiger vor, es hat nachgelassen.
Würden Sie sich denn mehr Frauen in Führungspositionen wünschen?
Auf jeden Fall, weil es den gesunden Mix ausmacht. Frauen denken oft anders als Männer, auch in Führungsfragen, das kann nicht schaden. Das war auch schon immer die gewerkschaftliche Position, dass in Vorständen und Führungsebenen möglichst pari pari zugehen sollte. Das ist nicht immer umsetzbar, aber die Forderung ist wichtig.
Von einer Quotenregelung halten Sie demnach nichts?
Persönlich nicht so viel, weil ich glaube, diese Regelung ist etwas Übergestülptes. Aber es ist eben wichtig, dass es ins Bewusstsein der Menschen gelangt, dass es Hälfte-Hälfte sein müsste. Wir sind da als Frauen ja ohnehin noch weit drunter.
Apropos Übergestülptes: Was halten Sie von Gendersprache und -schrift?
(lacht leise in sich hinein)
Also wir gendern beim DGB, machen das auch bei Veröffentlichung so. Bei mir selbst merke ich, dass ich oft noch in den alten Duktus zurückfalle. Aber grundsätzlich verkompliziert das Gendern auch unsere Sprache.
Sternchen und Doppelpünktchen sind doch Instrumente, die von einer akademischen Elite erdacht sind, Otto-Normalverbraucher:innen aber überfordern, oder?
Ja, aber es wird erwartet. Von unseren KollegInnen, und wir sprechen auch so. Ob das schöner ist, steht auf einem anderen Blatt.
(Zwischendurch essen wir Nudeln. Schmeckt gut.)
Anderes Thema: Ich habe Sie gegoogelt.
Ich Sie nicht.
Och.
Mach’ ich nicht. Grundsätzlich nicht. Da macht man sich ein Bild von einem Menschen, das vielleicht gar nicht stimmt. Ich lasse mich lieber überraschen.
Ich war hingegen überrascht, als ich den Wikipedia-Eintrag von Sigrid Wolf gelesen habe: eine ehemalige Ex-Skirennfahrerin aus Österreich. Das sind Sie nicht. Sie haben keinen eigenen Eintrag bei Wikipedia. Sind Sie nicht wichtig genug?
Na ja, ich wurde auch schon mit Sigrid Wolff, also die mit zwei ff, verwechselt, die war früher einmal Bundespressesprecherin. Was mich selbst betrifft: Ich will nicht über meine Person definiert werden, sondern über die Themen, die ich behandele.
Ist Gewerkschaftssekretärin denn Ihr Traumberuf?
Ursprünglich wollte ich Krankengymnastin werden. Ich dachte damals, als ich mein Abitur machte, dass man diesen Job später einmal gut mit der Familie vereinbaren kann. Ich habe mich auch an allen Schulen in Deutschland beworben, aber keinen Ausbildungsplatz bekommen. Dann habe ich mich umorientiert, hatte aber immer das Soziale im Hinterkopf und war auch stets politisch unterwegs. An Journalismus war ich auch interessiert, da mein Vater Journalist war. In den Bereich bin ich dann gegangen, war in den 1990er Jahren lange SPD-Pressesprecherin in der Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt.
Dort hatte es meinen Mann zuvor aus beruflichen Gründen hingezogen. Zurück im Rheinland bin ich dann über Umwege zum DGB gekommen. Das war 1997, als ich für den späteren Verkehrsminister Kurt Bodewig Wahlkampf gemacht habe.
Sind Gewerkschaften noch modern? Man denkt da immer an den typischen Industriearbeiter, der mit schmutzigen Klamotten nach Hause kommt. Im Zuge der Digitalisierung gibt es den doch kaum noch.
Na gut. Aber allein im öffentlichen Dienst haben wir doch eine riesige Bandbreite – vom Verwaltungsangestellten bis zur Straßenbahnfahrerin oder der Polizei, die noch einmal eine eigene Gewerkschaft hat. Und: Wir stellen immer wieder fest, dass dort, wo es keinen Betriebsrat oder Personalrat gibt, die Gewinne rein auf der Unternehmensseite in der Regel niedriger ausfallen, da gibt es Studien drüber. Wir fordern immer Mitbestimmung, das ist in Krisenzeiten wie diesen noch einmal besonders wichtig. Wir erleben ja auch immer wieder, was es für schlechte Arbeitsbedingungen gibt, wenn du die Leute nicht schützt. Wie etwa bei den GebäudereinigerInnen. Die sind in der IG Bau organisiert, in der Regel, und deshalb sind sie ganz stark. Wenn es da die Gewerkschaften nicht gäbe, würden viele sogar ohne Leiter losgeschickt werden.
Das heißt, die Art der Arbeit hat sich geändert, aber die schlechten Bedingungen oder der Grad der Ausbeutung eben nicht?
Ja. Und die Gewerkschaften setzen sich ja auch autark in den Tarifverhandlungen für ihre Leute ein, das darf der DGB als Dachverband gar nicht. Aber nehmen wir mal den Mindestlohn: Ohne den DGB gäbe es den nicht. Wir wollten es nicht mehr hinnehmen, dass die Leute in gewissen Branchen für 3,50 Euro die Stunde arbeiten mussten. Unsere Forderung hat die Politik irgendwann übernommen. Andererseits müssen wir aber auch immer auf die ArbeitnehmerInnen zugehen. Wir müssen für uns werben. Denn viele vergessen, was wir alles schon erreicht haben: Urlaubstage, Arbeitsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, und und und. Das ist nicht gottgegeben. Da haben wir lange für gekämpft. Wir müssen als Gewerkschaft etwas für die Bildungspolitik tun, ja, aber wir müssen auch in die Schulen gehen, um unsere Interessen weiter zu geben und für sie zu werben.
(Jetzt hat sich Sigrid Wolf in Form geredet. Sie hat vergessen, ihre Penne zu essen.)
Der DGB ist ja häufig dabei, wenn zum Streik aufgerufen wird. Hatten Sie jemals ein schlechtes Gewissen, weil es ja auch oft Unbeteiligte trifft, auf deren Rücken ein Arbeitskampf ausgetragen wird?
Nein. Wir hatten ja in der aktuell angespannten Situation an den Flughäfen Warnstreiks bei der Lufthansa. Wir sind nur dann durchsetzungsstark, wenn es alle spüren. Unter uns gesagt: Für denjenigen, der fünf Stunden in der Warteschlange steht, tut es mir natürlich Leid. Aber zum Glück hat der Warnstreik bei Lufthansa ja schnell gewirkt.
Hat Sie schon jemand „die böse Wolf“ genannt?
(legt Gabel und Löffel weg und macht plötzlich ein ernstes Gesicht.)
Ja. 1. Mai 2022, Kundgebung hier in Düsseldorf, als ich mit Olaf Scholz auf der Bühne war. Da bin ich so und noch ganz anders beschimpft worden. Das war hasserfüllt.
Themawechsel: Eine rote Jacke zieht Sigrid Wolf an, wenn...
...1. Mai ist. Aber auch, wenn ich mich schick machen will. Denn Rot ist meine Farbe. Und wir haben natürlich auch beim DGB rote Jacken. (lacht)
Haben Sie jemals die SPD nicht gewählt?
Ja. Einmal.
Wann war das?
Hartz IV.
Und heute: Wie schlägt sich Olaf Scholz so als Krisenkanzler?
Gut, wie ich finde. Ich bewundere seine Ruhe. Ich finde es manchmal besser, abzuwarten, anstatt einen Schnellschuss nach dem anderen zu machen bei solch komplexen Themen, wie wir sie im Moment haben. Ich mag die Politik der ruhigen Hand. Das hat man von Merkel zwar auch gesagt, aber ich finde das politische Gefühl von Scholz besser. Er wird ja in den eigenen Reihen kritisch gesehen. Aber ich persönlich bin froh, dass er gerade Bundeskanzler ist. Unter Merkel wurde das Land lange nur verwaltet, auf gewisse Weise sind wir kaputt gespart worden. Es gibt zurzeit einen großen Investitionsstau. Der DGB fordert schon lange, dass mehr in Infrastruktur investiert werden muss, das bringt ja auch volkswirtschaftlich etwas. Allein am Wohnungsmarkt sieht es zurzeit aber wirklich düster aus.
(Sigrid Wolf schafft ihre Nudeln nicht. Sie bestellt einen Espresso.)
Was mögen Sie an Düsseldorf?
Das internationale Flair, teilweise das Beschauliche wie in dieser Gasse hier.
Was stört Sie an Düsseldorf?
Dinge, wie sie gerade bei Vallourec passiert sind. Wir dürfen in Düsseldorf nicht nur auf Schickimicki machen, wir müssen auch den Industriestandort erhalten. Wir sind in NRW nach Köln der zweitgrößte Industriestandort. Wir könnten, finde ich, mehr tun, um hier die Arbeitsplätze zu erhalten.
Was mögen Sie an sich selbst?
Meine Ehrlichkeit.
Okay, dann sagen Sie mal, wie Sie das Interview bisher fanden.
Spannend. Man denkt viel über sich selbst nach.
Was mögen Sie nicht an sich?
Meine Ungeduld.
Was tun Sie, wenn Sie komplett abschalten wollen?
Dann gehe ich mit meinen beiden Rauhaardackeln Oskar und Henry im Wald spazieren.
Welche Eigenschaft ist Ihnen zuwider?
Unehrlichkeit.
Zum Schluss noch ein Entweder-Oder-Spielchen?
Gerne.
Karl Marx oder Rosa Luxemburg?
Rosa Luxemburg.
Süßer: Katzen- oder Hundebabys?
Hundebabys.
Barfuß oder Lackschuh?
Barfuß.
Seife: flüssig oder fest?
Flüssig.
Streiken oder Trecker fahren?
Streiken.
Wolf oder die sieben Geißlein?
Wolf!
INFO:
Sigrid Wolf ist in Bonn aufgewachsen, in der früheren Bundeshauptstadt war sie bei den Jusos politisch aktiv und studierte Soziologie und politische Wissenschaft in Bonn und Göttingen. Nach dem Mauerfall zog es die Familie beruflich nach Sachsen-Anhalt, im dortigen Landtag arbeitete Wolf unter anderem als Sprecherin für die SPD, als Pressesprecherin des Landwirtschaftsministeriums und als Wirtschaftsförderin in einer Kommune. Seit der Rückkehr nach NRW Ende der Neunziger liegt der Lebensmittelpunkt in Grevenbroich. Wolf ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und einen erwachsenen Sohn, die beide Agrar-Wissenschaft studiert haben. Die Hobbys der 60-Jährigen sind Lesen und Verreisen, am liebsten mit dem Camper nach Italien.