Düsseldorf. Caritas-Chef Henric Peeters spricht im Interview über Klischees, sozialen Sprengstoff und den Umgang mit Düsseldorfs Stadtdechant Ulrich Hennes.
Caritas-Chef Henric Peeters spricht im Interview über Klischees, sozialen Sprengstoff und den Umgang mit Stadtdechant Ulrich Hennes.
Fall Hennes: „Eine beschämende Sache für alle Beteiligten“
Frage: Herr Peeters, Ihr Wohlfahrtsverband ist Teil der katholischen Kirche. Der Vorsitzende des Caritas-Aufsichtsrats ist der Stadtdechant. Doch Ulrich Hennes ist seit nunmehr fünf Monaten beurlaubt. Bedrückt Sie das?
Peeters: Das tut es. Denn wir waren und sind als Verband direkt betroffen. Um es klar zu sagen: Bei der Handhabung dieses Falls hat sich unsere Kirche nicht mit Ruhm bekleckert. Meiner Einschätzung nach ist man zu früh an die Öffentlichkeit gegangen. Und warum man die innerkirchlichen Prüfungen nicht schon parallel zu den inzwischen eingestellten Untersuchungen der Staatsanwaltschaft vorantreiben konnte, erschließt sich mir auch nicht. Das ist eine beschämende Sache für alle Beteiligten.
Was würden Sie dem Kölner Kardinal sagen?
Würde ich ihm in diesen Tagen begegnen, würde ich ihm sagen, dass er rasch, ganz rasch für Klarheit sorgen soll.
Sie sind ja überzeugter Niederrheiner, der täglich von Xanten nach Unterbilk pendelt. Düsseldorf ist reich und ein bisschen snobistisch, lautet ein sich hartnäckig haltendes Vorurteil. Sie kamen vor zweieinhalb Jahren hierher. Wie ist Ihr persönlicher Eindruck? Stimmt das so?
Das kommt ganz darauf an, von welchem Düsseldorf wir sprechen. Rund um die Kö springt einem schon jede Menge Wohlstand und Extravaganz ins Auge. Aber man wird dieser Stadt in keiner Weise gerecht, wenn man sie darauf reduziert. Düsseldorf ist eben auch eine Stadt der Arbeiter und Normalverdiener. In Vierteln, in die sich Shopping-Touristen oder Messegäste nur selten begeben, begreift man das sofort. Die Attraktivität ist Fluch und Segen zugleich, denn sie verschärft bestimmte Probleme.
Wo drückt denn der Schuh?
Als Caritas fehlen uns schon jetzt in einigen Bereichen qualifizierte Mitarbeitende. Der Fachkräftemangel ist längst konkret. Mit Blick auf die Düsseldorfer Bürgerinnen und Bürger würde ich sagen: Fehlende Wohnungen und fehlende Pflegeplätze sind sozialer Sprengstoff.
Tatsächlich fehlen in Düsseldorf mindestens 1000 stationäre Pflegeplätze. Was sind die Folgen?
Das wir als Caritas kaum mehr Wartelisten mehr führen. Eine solche Liste legt doch nahe, dass derjenige, der lange genug wartet, irgendwann auch an der Reihe ist.
Und wer hat noch eine Chance?
Zugespitzt formuliert können wir nur noch die Senioren nehmen, die so schwer krank sind, dass sie seit Monaten ihre Wohnung in der dritten Etage nicht mehr verlassen können und seit zudem auch noch an Demenz erkrankt sind. Anders ausgedrückt: Die knappen Plätze stehen fast nur noch jenen offen, die sich am Ende ihres Lebens befinden. Dabei täte es den Einrichtungen gut, wenn es mehr Bewohner gäbe, die beispielsweise aktiv an der Gymnastikgruppe teilnehmen. Im Moment ist es leider so, dass viele Ältere länger in der eigenen Wohnung bleiben müssen als es ihnen oder ihren Angehörigen gut tut.
Ist eine Lösung in Sicht?
Nein, in dieser Stadt fehlt es vor allem an Grundstücken, auf denen neue Altenzentren entstehen könnten. Wer wie Düsseldorf 1000 zusätzliche Plätze braucht und wegen der Vorgaben des Landes in Neubauten nur noch 80 Betten anbieten darf, müsste bereits jetzt zwölf oder 13 neue Einrichtungen bauen. Wo in Düsseldorf soll das geschehen?
Müssen Vorgaben und Gesetze geändert werden?
Ja, denn sie sind zu statisch, lassen keine örtlichen oder regionalen Spielräume zu.
Nennen Sie ein Beispiel.
Die Vorgabe des Landes NRW, in allen Neubauten nur noch Einzelzimmer sowie maximal 80 Plätze zu gestatten, mag am Niederrhein oder im Hochsauerland unproblematisch sein. Aber für Düsseldorf passt es eben nicht. Wir haben in unserem Altenzentrum Herz-Jesu in Flingern 183 Plätze – verteilt auf einen Vorderbau sowie weitere Gebäude im Innenhof. Niemand würde diese Einrichtung, die als Bestandsbau ihre Größe behalten darf, als „Pflegefabrik“ brandmarken. Für die aktuelle Deckelung auf 80 Plätze gibt es keine schlüssige, wissenschaftlich fundierte Begründung.
Macht Ihnen die Konkurrenz gewerblicher Anbieter zu schaffen?
In bestimmten Bereichen wie der Jugendhilfe schon. Wir zahlen nach Tarif auf einem hohen Niveau, bieten zahlreiche Fort- und Weiterbildungen und gewähren eine zusätzliche Altersversorgung. Dadurch liegen unsere Kosten höher als bei einem privaten Anbieter, der das alles nicht berücksichtigen muss. Aber mein Credo ist, dass zufriedene Mitarbeitende eine qualifiziertere Arbeit abliefern. Und dass sich Qualität am Ende durchsetzt.
Wie erreicht die Caritas das Thema Wohnungsmangel?
Zum einen über unsere sozialen Dienste, die sich u. a. um Wohnungslose kümmern. Zum anderen wird es für uns immer schwieriger, qualifizierte und engagierte Mitarbeitende zu gewinnen. Denn bei Bewerbern hat sich längst herumgesprochen, dass Düsseldorf eine tolle Stadt ist, aber eben auch eine, in der es kaum noch bezahlbare Wohnungen gibt. Und in der der Dauerstau auf den Straßen und im öffentlichen Nahverkehr zum Alltag gehört. Ein Makel, den die nun ins Auge gefasste Umweltspur auf der Hauptpendlerachse noch verstärken wird. Anders gesagt: Wer in Willich wohnt und deshalb eh ein Auto hat, fährt doch lieber nach Mönchengladbach oder Krefeld, wo er staufrei bis unmittelbar vor die Einrichtung fahren kann.
Könnten Sie als als Wohlfahrtsverband nicht selbst Sozialwohnungen bauen und so am angespannten Markt für Entlastung sorgen?
Wir haben das in einem Fall ernsthaft erwogen. Es ging um ein Objekt, das wir von einer Kirchengemeinde hätten übernehmen können. Aber am Ende wäre das für uns im sozialen Wohnungsbau ein reines Zuschussgeschäft geworden.
Warum?
Weil jede Mehrzimmer-Wohnung einen Balkon haben muss. Und weil die energetischen Auflagen so sind, dass man Fenster nicht mehr öffnen darf, damit die in den Räumen entstehende Warmluft für die Energieversorgung genutzt werden kann. Um nur zwei Beispiele zu nennen.
Also kapitulieren wir in den Ballungsräumen vor den Gesetzen des Marktes?
Nein. Gefordert ist zum einen die Politik im Land und in Berlin. Sie muss die Weichen so stellen, dass der soziale Wohnungsbau wieder einen anderen Stellenwert bekommt. Und im Kleinen kann jeder sich fragen, was er tun kann. Als Caritas haben wir beispielsweise im Ludgeriquartier eine fünfte Etage zusätzlich gebaut, um dort Auszubildende günstig unterzubringen. Das ging auch deshalb, weil für Ein-Raum-Wohnungen kein Balkon vorgeschrieben ist.
Stichwort Fachkräftemangel. Können Migranten helfen, das Problem zu lösen?
Ja. Wenn wir nicht nur auf die Geflüchteten schauen. Denken Sie nur an die Baby-Boomer, die demnächst in Rente gehen. Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, dass den Zuzug qualifizierter Menschen ermöglicht und steuert – etwa nach dem Vorbild Kanadas oder vergleichbarer Länder.
Die Säkularisierung scheint – besonders in den Großstädten – unaufhaltsam. Was bedeutet das für die Caritas, die im katholischen Glauben wurzelt.
Als Arbeitgeber sagen wir: Für uns zählt, dass Mitarbeitende unsere christlichen Werte teilen. Ich bin zudem der Überzeugung, dass wir mit der frohen Botschaft, die wir durch das Evangelium haben, pro-aktiver auf die Menschen zugehen müssen. Es reicht halt nicht mehr, einmal pro Woche am Sonntagvormittag ein Gottesdienst-Angebot zu machen. Das Bedürfnis nach Spiritualität und geistlicher Begleitung ist da, wir müssen die Menschen noch stärker dort abholen, wo sie sind.