Düsseldorf. . Der weltberühmte Wagenbauer Jacques Tilly öffnete gemeinsam mit der NRZ die Türchen seines ganz eigenen Adventskalenders
Jacques Tilly ist Satiriker, Wagenbauer, Buchautor, Menschenfreund. Durch seine bissigen Rosenmontags-Beiträge in Pappmaché mittlerweile auch weltberühmt. Der 53-Jährige macht als bekennender Ungläubiger keinen Hehl daraus, dass er es nicht so hat mit dem Christentum und der Gottesfürchtigkeit. „Weihnachten ist Folklore“, sagt der Düsseldorfer. „Und trotzdem sitze ich mit meiner Familie an Heiligabend vor dem Tannenbaum.“
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Gemeinsam mit der NRZ hat der Star unter den Wagenbauern besinnliche und weniger besinnliche Gedanken im „Tilly-Adventskalender“ festgehalten. Wir gaben die Stichworte, der Künstler musste spontan antworten:
1 TOUR DE FRANCE: Eigentlich bin ich ein Sportmuffel. Aber wenn ein Sportereignis an meiner Haustüre vorbei rollt, werde ich zumindest als Zuschauer daran teilnehmen.
2 ADVENTSKRANZ: Weihnachtsrituale mache ich gerne mit, sie haben für mich aber keine tieferen Sinn.
3 BRATEN: Muss sein. Das Privileg meines Vaters Thomas, an Heiligabend die Weihnachtsgans im Römertopf zuzubereiten.
4 WEIHNACHTEN: Da könnte ich drei Tage drüber reden. Es ist ein uraltes Menschheitsfest, dass auch bei uns Tillys gefeiert wird, obwohl wir ja eher agnostisch-atheistisch orientiert sind. Weihnachten ist älter als das Christentum. Es geht ja eigentlich darum, dass die Sonne wieder stärker wird, religiöse Bezüge sind für mich irrelevant. Dazu kommt, dass Weihnachten immer wieder von totalitären Regimen missbraucht wurde. Zuallererst von den Nazis, die das Julfest wiederbeleben wollten. Ich habe auch gesehen, wie die DDR das Fest säkularisieren wollte – alles Quatsch. Weihnachten ist ein schönes Fest mit schöner Dekoration, nicht mehr, nicht weniger. Folklore halt. Die Rituale mochte ich als Kind, die mögen auch meine Kinder. Bei uns gibt es einen Weihnachtsbaum, Bescherung. Wir haben aber keine Krippe, hatten wir noch nie. Mir wurde schon in der Schule vorgeworfen, dass ich nicht richtig Weihnachten feiere. Da gab es viele Diskussionen.
5 JESUS: Ist natürlich nicht am 25. Dezember geboren. Jeder, der historisch bewandert ist, weiß, dass das der Geburtstag des römischen Gottes Sol Invictus (unbesiegbare Sonne) ist. Diese Vorstellung gehörte zum Mithras-Kult, und das Christentum wollte unter anderem mit der Jesu-Geburt-Geschichte dem Mithras-Kult das Wasser abgraben. Zwei Konkurrenz-Religionen, wie Pepsi gegen Cola.
6 GOTT: (überlegt lange) Eine manchmal harmlose, manchmal gefährliche Wahnvorstellung.
7 NÄCHSTENLIEBE: Ein positives Ideal, welches aber nicht die Christen nicht allein für sich in Anspruch nehmen dürfen. Der Mensch ist ein geselliges Wesen und von Natur aus zur Empathie fähig.
8 FLÜCHTLINGE: (überlegt sehr lange) Menschen in Not muss geholfen werden, doch die Schattenseiten dürfen nicht verschwiegen werden. Helfen ist alternativlos, unsere Pflicht, wir dürfen dabei aber nicht naiv sein und müssen die Probleme ganz klar benennen.
9 FRAUKE PETRY: (lacht) Eiskalter Engel. Sie will das Wort „völkisch“ reanimieren und im Grunde genommen exhumieren. Wer versucht, Gedankengut wieder zu beleben, das im Dritten Reich virulent war und zum Massenmord geführt hat, der ist mein erklärter politischer Gegner.
10 DONALD TRUMP: (wie aus der Pistole geschossen) Katastrophe auf zwei Beinen.
11 ANGELA MERKEL: Das ist schwer mit wenigen Sätzen, denn zu ihr müsste man eigentlich ganz viel sagen. Im Grunde genommen wissen viele gar nicht, wie gut wir es mit ihr haben. Sie hat sehr sympathische Züge, eine sehr überlegene, rationale Art, an die Dinge heran zu gehen. Sie ist emotionslos, das wird ihr ja oft vorgeworfen, aber damit ist sie auch sehr erfolgreich. Als Naturwissenschaftlerin ist sie mir auf jeden Fall näher als manch anderer.
12 THOMAS GEISEL: Der Guteste. Ich kannte ihn schon, bevor er „Bundeskanzler in Düsseldorf“ wurde. Im persönlichen Umgang finde ich ihn offen, kommunikativ, nicht beratungsresistent. Politisch meckern zwar gerade viele, Rotstift im Kulturbereich, und so weiter. Als Mensch: gewinnend.
13 JAN BÖHMERMANN: (es kommt ein dicker Seufzer). Soll ich das in einem Wort sagen? Enttäuschung! Nein, ich sag’ noch mehr: Er hat einen Skandal losgetreten und dann gezeigt, dass er für diesen Skandal viel zu klein war. Die Art der Satire kann man so oder so sehen, aber dass er dann abgetaucht war und an den entscheidenden Stellen nicht noch einen drauf gesetzt hat, wie man das als Satiriker eigentlich machen muss, das zeigte dann doch, dass er eigentlich nur ein Kasper ist. Ist ja auch nicht schlimm, man sollte die Leute nur nicht überschätzen. Mir ist Christian Ehring da viel lieber.
14 SCHMERZGRENZE: Wenn man die Satire nimmt, die kann Schmerzen bereiten, Humor auch. Wenn es um Wahrheiten geht, um politische Inhalte, dann muss man das auch einsetzen, selbst wenn es den Menschen weh tut. Provokation darf aber kein Selbstzweck sein. Es muss immer darum gehen, die Welt vielleicht doch ein bischen besser zu machen.
15 BESTER MOTTOWAGEN ALLER ZEITEN: (lacht) Da bin ich mal ganz uneitel und nenne einen Wagen aus – vorsicht – Köln! Toll fand ich damals Gerhard Schröder, wie er an seiner dicken Zigarre zog, auf der ein kleiner, nackter Lafontaine stand und ihm auf die Glut pisst. Super!
16 SCHLIMMSTER MOTTOWAGEN ALLER ZEITEN: (lacht noch lauter) Ooohhh, es widerstrebt mir, die Arbeit der Kölner Kollegen schlecht zu machen.
17 ZENSUR: Der Satiriker hat von Natur aus ein kritisches Verhältnis zu jeglicher Art von Zensur und Denkverboten. Zum Beispiel der Gotteslästerungsparagraf 166, das ist natürlich ein Anachronismus, der abgeschafft werden muss, ganz klar. Andererseits gibt es berechtigte Grenzen, wenn Persönlichkeitsrechte angegriffen werden, wenn es in den strafrechtlichen Bereich geht. Es darf keinen Freibrief geben, man steht als Satiriker nicht von Natur aus auf der Seite des Guten und Wahren. Bösartige Satire hat es etwa im Dritten Reich gegeben, mit antisemitischen Karnevalswagen.
18 ANERKENNUNG: Man darf sein Selbstwertgefühl nicht von öffentlicher Anerkennung abhängig machen. Man muss sein Ding machen und nicht nach allen Seiten nach Beifall schielen.
19 TILLYS TEAM: Karnevalswagenbau ist eine Mannschaftssportart und ohne Mannschaft oder Frauschaft bist du aufgeschmissen, da gäbe es keinen Rosenmontagszug.
20 SMALL-TALK: Da bin ich völlig unfähig, total untalentiert. Ich bin introvertiert, stehe lieber herum und schweige doof. Ich weiß, dass das eine gesellschaftliche Konvention ist, der Rheinländer schwätzt ja gerne. Ich mit meinen auch ostpreußischen Genen falle nicht so gerne mit der Tür ins Haus. Ich brauche Substanz im Gespräch. Wenn die nicht da ist, bekomme ich Phantomschmerzen. Kommunikation heißt Ping-Pong, hin und her. Wenn ich merke, dass ich nicht gefordert werde, schieße ich den Ball einfach nicht zurück.
21 GLÜCK: Ist machbar, weil es – mit wenigen Ausnahmen – von der Beschaffenheit des Denkens abhängt und nicht von irgendwelchen äußeren Umständen.
22 BÖLLERVERBOT BURGPLATZ: Ich denke, die Polizei wird schon ihren Grund haben. Ich habe Kinder, ich selbst würde da auch nicht hingehen. Es war, denke ich, an der Zeit, ein Zeichen zu setzen und zu sagen: Hey Leute, so geht das nicht, das ist in letzter Zeit echt aus dem Ruder gelaufen! Da würde ich der Stadtführung oder der Polizei nicht in den Rücken fallen.
23 2017: Ich hoffe immer, dass das nächste Jahr mein schönstes Jahr wird, und manchmal ist dieser Wunsch auch in Erfüllung gegangen.
24 BESCHEIDENHEIT: (dieses letzte Stichwort durfte sich Tilly selbst geben): Ich wünsche mir für die Zukunft mehr weltanschauliche Bescheidenheit von den Menschen, weil wir alle von den letzten Wahrheiten abgeschnitten sind. Ich wünsche mir, dass die Großmäuligkeit nach dem Motto „Gott will dies – Gott will das“ – aufhört.