Düsseldorf. Gunter Demnig, Erfinder der "Stolpersteine" zur Erinnerung an Opfer des Naziterrors, erhält heute die Josef-Neuberger-Medaille der jüdischen Gemeinde. Seine Stolpersteine sind, körperlich gesehen, nicht gefährlich. Aber sie überragen in ihrer Sinngebung und Harmlosigkeit andere Denkmale.

Es gibt Stolpersteine, bei denen man sich den Hals brechen kann - real oder im übertragenen Sinne. Gunter Demnigs Stolpersteine sind, körperlich gesehen, überhaupt nicht gefährlich. Sie ragen noch nicht einmal aus dem Pflaster hervor. Aber sie überragen in ihrer tiefen Sinngebung und zugleich scheinbaren Harmlosigkeit viele andere, vor allem pompöse Denkmäler. Sie sind so leicht übersehbar, zehn mal zehn mal zehn Zentimeter.

In einer Reihe mit Johannes Rau und Angela Merkel

Unübersehbar ist die Ehrung, die dem Schöpfer der Stolpersteine heute von der jüdischen Gemeinde Düsseldorf zuteil wird: Gunter Demnig erhält die Josef-Neuberger-Medaille. Die außergewöhnliche Reihe seiner Vorgänger reicht von Johannes Rau bis Angela Merkel im letzten Jahr. Der Kölner Künstler ist für seine Idee schon vielfach geehrt worden. „Es ist mein Lebenswerk geworden”, sagt er heute. Es erzählt von den Toten des Naziterrors, Steinchen für Steinchen, über halb Europa verteilt.

Man kann Demnig kaum erreichen. Sein Anrufbeantworter sagt: „Ich bin gerade irgendwo unterwegs. Ahoi!” Immer mit dem roten Auto, von Stadt zu Stadt, wo Stolpersteine gefragt sind. Warburg in Westfalen wurde soeben der 488. deutsche Ort mit Demnigs Kunst. Auch in Polen, Österreich und den Niederlanden sind seine Gedenksteine in Bürgersteige eingelassen. Überall geht der Künstler selbst zu Werk. Hammer, Kelle, Schaufel, Eimer und Beton hat er immer dabei.

Vor der Ehrung verlegt der Geehrte Stolpersteine in Altstadt und Derendorf

Auch heute. Bevor er am Abend die Medaille annimmt, verlegt er im Halbstunden-Rhythmus neue Messingplatten, die auf Wohnungen deportierter Juden während des Zweiten Weltkriegs hinweisen: Jahnstraße 3, Kölner Straße 280, Schönaustraße 1, Tiergartenstraße 3 und 8, dann geht es über Derendorf in die Altstadt, letzte Station am Stadtmuseum, Berger Allee 3.

Jeder Stolperstein hat einen eigenen Paten, 197 in Düsseldorf, manchmal sind es Gruppen und Schulklassen. „Das ist eine der stärksten Seiten dieses Kunstprojekts,” urteilt Bastian Fleermann von der städtischen Mahn- und Gedenkstätte, „dass sich Jugendliche so stark engagieren.” Vergangenheit, wenn auch schreckliche, wird fassbar. Der Stolperstein bekommt ein Gesicht, wenn man über die dürren eingeprägten Daten der Geburt, der Deportation und des Todes hinaus die Fotos und Biographien der Gedenkstätte zu Hilfe nimmt. Diese Form des Gedenkens, die Gunter Demnig geweckt hat, sei nach wie vor „sehr sehr populär”. Stadtrundgänge werden angeboten.

Dass die jüdische Gemeinde sich zu der Klein-Kunst bekennt, ist auch für Demnig eine hohe, nicht selbstverständliche Ehre. Manche Rabbinate und auch die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, lehnen die Stolpersteine ab: So werde auf dem Ersatzgrab der Juden herumgetrampelt, ihr Andenken mit Füßen getreten. In Düsseldorf sieht man es anders.

Drei bis vier Jahre Wartezeit

So anders, dass Gunter Demnig mit dem Beschriften und Verlegen neuer Messingplatten nicht nachkommt. Er ist ja ständig irgendwo unterwegs. Bastian Fleermann: „Wir haben leider drei bis vier Jahre Wartezeit für Patenschaften für neue Stolpersteine. Das ist für manchen Älteren unbefriedigend, aber nicht zu ändern.” Die Gedenksteine können nicht zu Fließbandproduktion entwertet werden.

Der Mann mit Hut und Maurerkelle ist in den letzten zwei Jahren zweimal um die Welt gefahren, um die Erinnerung an NS-Mordopfer wachzuhalten. 20 400 Stolpersteine hat er gelegt. Heute kommen acht in Düsseldorf hinzu. epd