Einen „Nestbeschmutzer“ haben einige den Kollegen in Uniform genannt, der vor rund 20 Jahren im Polizeipräsidium eher zufällig über einen Stapel verstaubter Akten gestolpert war und dann einfach nicht mehr locker lassen konnte. „Ich wollte wissen, welche Rolle Düsseldorfer Polizisten im Dritten Reich gespielt haben“, sagt Klaus Dönecke.
Seitdem sucht er nicht nur in den Archivalien des Polizeipräsidiums nach Antworten. Was er in Akten und Briefwechseln fand, fasst ihn bis heute an. „Ich habe Bilder gesehen, die mir böse Träume machen“, sagt der Polizeihauptkommissar und zeigt in seinem neuen Arbeitszimmer in der Jüdischen Gemeinde auf verschwommene Schwarz-Weiß-Fotos. „Leichenberge“, sagt der 61-Jährige. Beteiligt an diesem Grauen: In den Osten abgeordnete Berufspolizisten sowie Angehörige des Reservepolizeibataillons 67. „Ghettoräumung, Deportationen, Einzel- und Massenerschießungen. Die waren an allem, was furchtbar war, beteiligt“, sagt der Vorsitzende des Vereins „Geschichte am Jürgensplatz“, der mehrfach nach Polen reiste, um dort zusätzliche Quellen aufzutun.
Den ungeheuren Zivilisationsbruch dieser Jahre ein wenig fassbarer zu machen, das war auch das Ziel von Angela Genger. Von 1988 bis zu ihrer Pensionierung vor sechs Jahren leitete die 69-Jährige die Mahn- und Gedenkstätte an der Mühlenstraße. Ein Steckenpferd der studierten Historikerin und Politikwissenschaftlerin: die damals gerade erst etablierte „Oral history“, also die wissenschaftlich begleitete Auswertung von Zeitzeugenberichten. Bereits als Leiterin der Alten Synagoge Essen hatte sie 120 Interviews mit Holocaust-Überlebenden geführt. Das setzte sie in Düsseldorf fort, reiste zu Gesprächspartnern rund um den Globus. Mehrfach arbeitete sie mit Dönecke und seinem heute rund 70 Mitglieder zählenden Verein zusammen.
Grund genug für die Jüdische Gemeinde, beide mit der Josef-Neuberger-Medaille auszuzeichnen. Der Preis erinnert an den Düsseldorfer Anwalt und späteren NRW-Justizminister Josef Neuberger. Der war während der Novemberpogrome 1938 vor den Nazis geflohen, hatte vor seiner Rückkehr an den Rhein zwölf Jahre in Palästina gelebt. Gekommen war er, um Nachkriegsdeutschland politisch mit zu gestalten. Seine Frau Ilse wurde später von Angela Genger interviewt. „Einiges von dem, was sie damals sagte, war selbst für ihre Kinder neu“, erinnert sich Genger. Überrascht hat die Historikerin das nicht. „Die vom Regime Gedemütigten neigten nicht dazu, über die Umstände ihrer Demütigung allzu viel zu sprechen“, meint sie. Noch schweigsamer waren die meisten Täter. „Polizisten, die an der Verbrennung von zuvor geflohenen Juden in einer Scheune beteiligt waren, erinnerten sich plötzlich nicht daran, wer auf die vor dem Feuer nach draußen Flüchtenden geschossen hatte. Immer hatten sie auf der anderen Seite der Scheune gestanden“, sagt Dönecke.
Früh haben sich die beiden Ausgezeichneten für die jüngere Vergangenheit interessiert. „Wir hatten einen tollen Geschichtslehrer“, erinnert sich Dönecke. Gegen einen Rechtsaußen in seiner Klasse, der Hefte mitbrachte, die den Völkermord leugneten, begehrte er gemeinsam mit einem Freund auf. „Bei mir löste eine angeheiratete Tante mit jüdischer Herkunft, deren Vater in Auschwitz umgekommen war, das Interesse aus“, sagt Genger.
Sorgen machen sich die beiden Preisträger, die am 10. November die Medaille verliehen bekommen, um das europaweite Erstarken von Nationalismus und Rechtspopulismus. Die Aussagen von AfD-Chefin Frauke Petry zum Begriff des Völkischen seien schlicht geschichtsvergessen. An junge Menschen appellieren die Forscher: „Seid aufmerksam und engagiert euch für Demokratie und Menschenrechte..“