Voerde. Nach großangelegten Fällungen in einem Waldstück an der B8 äußert Bürger Kritik am Umfang der Maßnahme. Was seine Vermutung über den Grund ist.
Die großangelegte Fällaktion auf einem Waldstück entlang der B8 auf dem Abschnitt zwischen Bahnhofstraße und Langenhorster Leitgraben stößt in der Bevölkerung auf scharfe Kritik und wirft dort Fragen nach der Verhältnismäßigkeit auf. Nach dem früheren Voerder Stadtplaner Hans Martin Seydel äußert nun auch Ulrich Neßbach Zweifel an der Notwendigkeit der Maßnahme in diesem Umfang. Das Waldstück, das an die viel befahrene Bundesstraße angrenzt, wurde auf einem breiten Streifen massiv ausgedünnt. Direkt am Fahrbahnrand sind nur einige wenige Bäume stehen geblieben.
Das für den Bereich zuständige Regionalforstamt Niederrhein (Wald und Holz NRW) begründet die Fällungen auf der Fläche, die sich in Privatbesitz befindet, mit der Verkehrssicherung. Der Großteil der Bäume auf dem besagten Abschnitt an der B8 sei durch die vergangenen Dürrejahre/Trockenjahre „stark geschädigt und bereits zum Teil gänzlich abgestorben“. Dadurch habe sich „eine erhebliche Gefährdung“ für die Verkehrsteilnehmer ergeben. Deshalb seien in einer durchschnittlichen Tiefe von etwa 15 bis 20 Metern „alle verkehrsrelevanten Bäume“ entnommen worden, hieß es vor einigen Tagen auf Anfrage der NRZ.
Mit „Bestürzung und Unverständnis“ zur Kenntnis genommen
Ulrich Neßbach, der für die SPD im Voerder Stadtrat sitzt und Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses ist, seine Kritik aber ausdrücklich auch als „normaler“ Bürger äußert, nimmt die Fällungen an der B8 mit „Bestürzung und Unverständnis“ zur Kenntnis. Gleiches gilt für die Maßnahme im Wohnungswald im Herbst 2023 und die bereits länger zurückliegende an der B8 in Friedrichsfeld. Dort machte der Eigentümer der zwischen Feuerwehrgerätehaus und Kleingartenverein „Tannenbusch“ gelegenen Fläche im Frühjahr 2020 seine Ankündigung wahr und ließ bis auf die zu erhaltenden Schutzstreifen die dort stehenden Bäume abholzen.
Neßbach spricht von einer Tiefe von bis zu 30 Metern, in der jetzt an der B8 „nahezu alle Bäume gefällt“ worden seien, und erklärt zur Begründung des Regionalforstamtes: „Sicherlich hat die Verkehrssicherungspflicht an den Straßen, hier sogar an einer Bundesstraße, zur Fällung eine entscheidende Rolle gespielt, aber in dieser Konsequenz erscheint mir dies weit über das Ziel hinausgeschossen zu sein.“ Neßbach verweist auf seine Kenntnisse in dem Bereich. Er selbst habe die Fachrichtung „Landschaftsplanung“ studiert, habe seinerzeit „ein Praktikum beim Forstamt Wesel absolviert und war in leitender Stellung bei der Stadt Oberhausen auch mit dem Thema Forst betraut“. Hier und „besonders auch bis in jüngerer Zeit“ sei bei Forstarbeiten ein schonender Umgang mit den Bäumen „oberstes Gebot“ gewesen.
Bürger: Es wurden hauptsächlich Eichen gefällt
Nach Einschätzung von Neßbach wäre es sicherlich auch eine tragbare Lösung gewesen, „verkehrsunsichere Bäume“ selektiv zu entnehmen. Der Voerder hat sich an Ort und Stelle umgesehen. Beim Blick auf die gefällten Bäume habe er festgestellt, dass neben unter anderem Akazien und Kiefern hauptsächlich Eichen gefällt worden seien – „bis zur Fällstärke 6 (über 60 Zentimeter Durchmesser)“ und bis Qualitätsklassen von „mindestens“ B. A sei die höchste Wertigkeit. Die Eichen hätten hauptsächlich auf einem Wall entlang der Straße gestanden und „waren um die 100 Jahre alt“.
All dies lässt Neßbach vermuten, dass wahrscheinlich der Holzverkauf „eine wesentliche Rolle“ gespielt habe. Ähnlich sieht dies Hans Martin Seydel, der sich angesichts der zeitlichen Nähe und des Umfangs der Maßnahmen im Wohnungswald und jetzt auf der Fläche an der B8 fragt, ob der Holzpreis aktuell „besonders hoch“ sei oder ob man sich der „Verkehrssicherungspflicht entlang der Straße auf lange Sicht entledigen“ wolle. Das Regionalforstamt wiederum sieht die Notwendigkeit der Fällungen in dem erfolgten Umfang nach dem Blick auf die Baumstümpfe bestätigt. Viele Bäume hätten eine Verkehrsgefährdung dargestellt. Sie seien von innen hohl gewesen. Auch ist von „Holz zersetzenden“ Pilzen die Rede.
Dazu erklärt Ulrich Neßbach: „Natürlich waren bei meiner Ortsbesichtigung auch Bäume mit Höhlungen zu sehen, aber an durchaus wenigen Stämmen und Starkästen. In vielen Forstflächen werden diese Bäume mit Höhlungen auch als Habitatbäume mit Brutmöglichkeiten bezeichnet und geschont.“ Aus seiner Sicht ist der Waldbesitzer in Abstimmung mit dem Straßenbaulastträger (hier Straßen.NRW) grundsätzlich verpflichtet, „je nach Klassifizierung der Straßen, Baumkontrollen mit Dokumentationen vorzunehmen. Anhand dieser Dokumentationen ist eine Notwendigkeit ablesbar“.
Die Ankündigung, sowohl an der Dinslakener Straße (Wohnungswald) als auch an der B8 zwischen dem Verkehrsraum und dem heutigen Baumbestand etwas Neues zu schaffen, hält Neßbach wie auch Hans Martin Seydel grundsätzlich für gut. Geplant ist, dort durch Anpflanzen heimischer Baum- und Straucharten einen „strukturreichen Waldrand“ entstehen zu lassen. Dafür hätte nach Meinung von Neßbach „aber auch ein weniger brutaler Eingriff in den Wald genügt“. Der Voerder zeigt sich von der Forstbehörde enttäuscht. Für die Zukunft wünsche er sich „neben einer frühzeitigen Information auch eine ökologischere Herangehensweise, wie dies in der Vergangenheit der Fall“ gewesen sei. Das Regionalforstamt ließ eine am frühen Donnerstagnachmittag gestellte Anfrage der NRZ zu Neßbachs Kritikpunkten bislang unbeantwortet.
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