Voerde. Im Herbst wurden im Wohnungswald hunderte Bäume beseitigt. Nun folgte Fällaktion auf Privatfläche an der B8. Regionalforstamt erklärt den Grund.
Es ist erst wenige Monate her, da sorgte der Kahlschlag entlang der Dinslakener Straße im Voerder Wohnungswald für einen Aufschrei. Der bis unmittelbar an den beidseitigen Fahrradweg angrenzende dichte Baumbestand wurde in weiten Teilen auf einem mehrere Meter breiten Streifen beseitigt. Der Wohnungswald befindet sich im Besitz des Landes NRW – das zuständige Regionalforstamt begründete die Aktion mit dem Erfordernis der Verkehrssicherung. Ein ähnliches Bild bietet sich seit kurzem einige Kilometer weiter nordöstlich erneut auf Voerder Stadtgebiet. Die Rede ist von der B8 auf dem Abschnitt zwischen Bahnhofstraße und Langenhorster Leitgraben. Das in Fahrtrichtung Friedrichsfeld rechts liegende Waldstück, das sich in Privatbesitz befindet, wurde ebenfalls auf einem mehrere Meter breiten Streifen massiv ausgedünnt. Direkt am Straßenrand ist nach der großangelegten Fällaktion nur hier und da ein Baum stehengeblieben.
Früherer Voerder Stadtplaner stellt kritische Fragen
Angesichts der zeitlichen Nähe und des Umfangs beider Maßnahmen in Voerde, das als sehr waldarm gilt, fragt sich Hans Martin Seydel, ob der Holzpreis aktuell „besonders hoch“ sei oder ob man sich der „Verkehrssicherungspflicht entlang der Straße auf lange Sicht entledigen“ wolle. Natürlich müssten „Bäume in Straßennähe regelmäßig auf Bruchgefahr untersucht“ werden. „Dazu wird eine Dokumentation erstellt und einzelne gefährdete Bäume werden entnommen“, erläutert der frühere Voerder Stadtplaner, der seit dem Sommer 2017 im Ruhestand ist, und fragt weiter: „Warum wird von diesem bewährten Verfahren abgewichen? Möchte der Waldbesitzer ,ein für allemal Ruhe‘ haben?“
Für eine solche Denkweise seien „Bäume mit ihrer hohen Wohlfahrtswirkung zu wertvoll“. Seydel treibt die Sorge um, dass in Zukunft womöglich auch Straßen- und Alleebäume entfernt werden könnten – „um sich der lästigen Pflicht der Kontrolle und Dokumentation zu entziehen? Hoffentlich nicht“.
Das betreffende Waldgrundstück liegt in einem Landschaftsschutzgebiet. Aus Verkehrssicherungsgründen seien beispielsweise Pflege-/Rückschnittmaßnahmen auch in diesem Bereich möglich, erläutert Voerdes Stadtpressesprecherin Miriam Lütjann auf NRZ-Anfrage. Die Kommune wurde nach eigenen Angaben im Vorfeld nicht über die Maßnahme informiert.
Eine „erhebliche Gefährdung“ für die Verkehrsteilnehmer
Hintergrund der Fällung an der B8 ist eine Verkehrssicherungsmaßnahme. Jeder Waldeigentümer und jede Waldeigentümerin sei dazu verpflichtet, die Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer sicherzustellen, erklärt Ansgar Föcker, Fachgebietsleiter Privat- und Körperschaftswald beim Regionalforstamt Niederrhein von Wald und Holz NRW in Wesel. Der Großteil der Bäume auf dem Abschnitt an der B8 sei durch die vergangenen Dürrejahre/Trockenjahre „stark geschädigt und bereits zum Teil gänzlich abgestorben“. Dadurch habe sich „eine erhebliche Gefährdung“ für die Verkehrsteilnehmer ergeben und es seien in einer durchschnittlichen Tiefe von etwa 15 bis 20 Metern „alle verkehrsrelevanten Bäume“ entnommen worden.
Viele Baumstümpfe bestätigten jetzt nach der Maßnahme, dass die Bäume eine Verkehrsgefährdung dargestellt hätten. Sie seien von innen hohl gewesen. Auch spricht Ansgar Föcker von „Holz zersetzenden“ Pilzen. Die Bäume seien gefällt und nicht gerodet worden. Bei Letzterem würden der Stumpf und die Wurzeln ebenfalls entfernt werden, wie Föcker weiter ausführt.
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Im Regelfall bedürfe das Fällen von Bäumen im Wald keiner Genehmigung oder Anzeige. Allerdings seien Kahlschläge größer als zwei Hektar nach dem Landesforstgesetz NRW verboten. Die Fläche an der B 8 in Voerde sei „deutlich kleiner“. Gemäß dem Landesforstgesetz müssen „Kahlflächen und stark verlichtete Waldbestände innerhalb von zwei Jahren wieder aufgeforstet oder ergänzt werden, sollte sich keine Naturverjüngung auf den Flächen einstellen. An der B8 wird nun zunächst abgewartet, inwieweit sich die natürliche Sukzession ansamt. Anschließend sollen Lücken ausgebessert werden“, kündigt Föcker an und trifft folgende grundsätzliche Feststellung: Ihm sei es ein Anliegen, „nochmals darauf aufmerksam zu machen, dass im Wald Bäume gefällt werden dürfen. Denn die nachhaltige Holzproduktion ist neben den Schutz- und Erholungsfunktionen eine ganz wesentliche Funktion, die der Wald erfüllt“.
„Beurteilung steht Stadt nicht zu“
Bei der Stadt, die vorher nicht über die Baumfällungen an der B8 in Kenntnis gesetzt worden war, sind laut Stadtpressesprecherin Miriam Lütjann „vereinzelte Bürgernachfragen“ eingegangen. Deshalb habe die Verwaltung die zuständige Forstrevier-Behörde und auch die Untere Naturschutzbehörde kontaktiert und um Information gebeten. „Es wurde uns mitgeteilt, dass dort aktuell Maßnahmen der Verkehrssicherheit durchgeführt werden“, sagt Lütjann.
Anders war die Sachlage beim Wohnungswald, wo beidseits des Radweges mehr als 500 Bäume gefällt wurden. „Hier wurde die Stadt immerhin kurzfristig informiert. Jedoch ohne Angabe von Details beziehungsweise Umfang“, erklärt Lütjann. Eine Kommentierung aus dem Rathaus blieb seinerzeit allerdings aus: „Eine Beurteilung, ob diese Maßnahme in diesem Umfang notwendig und begründet war, steht der Stadt Voerde nicht zu“, erklärt die Pressesprecherin gegenüber der NRZ.
Wie im Fall des Wohnungswaldes ist auch an der viel befahrenen Bundesstraße vorgesehen, zwischen dem Verkehrsraum und dem heutigen Baumbestand etwas Neues entstehen zu lassen. Derweil an der Dinslakener Straße von einem „artenreichen Waldrand“ die Rede ist, wählt Ansgar Föcker einen anderen Begriff. Entstehen soll ein „strukturreicher Waldrand“ – und zwar dadurch, dass heimische Baum- und Straucharten gepflanzt werden.
Dies führe zu einer „Stabilisierung der Bestände, da durch einen stufigen Waldrand ein natürlicher Schutz vor starken Winden entsteht“. Darüber hinaus trage ein Waldrand dazu bei, dass sich die Artenvielfalt erhöht, und stelle „einen wichtigen Lebensraum für viele Insekten, Vögel, andere Wildtiere sowie Pflanzenarten“ dar, sagt Föcker.
Idealtypischer Waldrand hat drei Zonen
Ihm zufolge können je nach Nährstoffhaushalt und Wasserversorgung auf dem jeweiligen Standort verschiedene Baum- und Straucharten verwendet werden. „Ein idealtypischer Waldrand beginnt mit einer Krautzone aus verschiedenen Gräsern und Kräutern. Darauf folgen eine Strauchzone mit heimischen Sträuchern wie der Hasel, Weißdorn, Schwarzdorn oder Gemeine Schneeball und eine Traufzone mit heimischen Bäumen der sogenannten zweiten Ordnung. Darunter sind beispielsweise Wildobstarten, die Winterlinde oder der Feldahorn zu verstehen“, erläutert Föcker.
Für den früheren Voerder Stadtplaner Hans Martin Seydel ist der Aufbau eines „neuen natürlichen Waldrandes“ besser als nichts, wie er selbst sagt. Allerdings fragt er sich: „Wann wird das geschehen? Und ist das auch sichergestellt?“