Hünxe/Dinslaken/Voerde. Der SPD-Generalsekretär sprach vor dem Ehrenamtsempfang mit den Bauern aus der Region. Welchem Parteischef er die Gummistiefel schenken will.
Etwa 90 Trecker stehen an der Gahlener Straße Spalier, als der Wagen mit Kevin Kühnert am Schützenheim Gartrop-Bühl vorfährt. Der SPD-Generalsekretär ist Gast beim Ehrenamtsempfang der SPD Hünxe - und die Bauern aus Dinslaken, Voerde und Hünxe nutzen die Gelegenheit, auf ihre Sorgen aufmerksam zu machen. „Jungbauer sucht Zukunft“, steht auf Plakaten an den Schaufeln oder „Wir machen Euch satt“. Einer fährt ein großes Holzkreuz mit einer Warnweste vor sich her. Keine Blockaden, keine Straßensperren – das haben die Landwirte versprochen: „Wir begrüßen Kevin Kühnert“ - darum soll es bei der Demo gehen.
Und so kann der Politiker aus Berlin unbehelligt die Parade passieren. In schwarzer Jacke, Pulli und Jeans springt Kühnert vor dem Schützenhaus aus dem Auto, nimmt sich noch vor der eigentlichen SPD-Veranstaltung Zeit für ein Gespräch mit den Landwirten.
Das dritte Gespräch mit Landwirten in 24 Stunden
Der SPD-Generalsekretär ist „Großstädter“, wie er sagt. In seinem Wahlkreis in Berlin-Tempelhof-Schöneberg „gibt es nicht einen landwirtschaftlichen Betrieb“. Nun steht er gemeinsam mit dem Moerser Bundestagsabgeordneten Jan Dieren in einem Nebenraum des Schützenhauses Gartrop-Bühl vor einer vierköpfigen Delegation der Bauern und hat seine Tasche auf eines Stapel Biertische gelegt. Das dritte Gespräch mit Landwirten innerhalb von 24 Stunden, wie er sagt: Ostfriesland, Münsterland, Hünxe.
Carolin Walbrodt ist Landwirtin aus Hünxe. Sie führt die Abordnung der Bauern - Thorsten Fengels und Jörg Sprengnetter aus Hünxe und Bäcker Johannes Ernsting aus Voerde - an und ist und nur ein klein wenig nervös, als sie die Anliegen der Landwirte vorträgt. Den Zettel, den sie vorbereitet hat, braucht sie nicht. Die jüngsten Sparmaßnahmen hätten „das Fass zum Überlaufen“ gebracht, sagt sie. Die Landwirte würden gerne wieder „besser und qualifizierter“ arbeiten können und brauchen „Planungssicherheit für die Zukunft“, erklärt sie Kevin Kühnert. Dazu gehöre, dass Fördermaßnahmen nicht zurückgenommen werden wie etwa beim Diesel.
Der SPD-Generalsekretär hört aufmerksam zu. Verspricht, dass bis zum Sommer offene Fragen geklärt werden sollen: zur Bodenpreisentwicklung in den vergangenen Jahren, zur Konkurrenz in der EU, dazu, wie eine Tierwohlkennzeichnung auch im Wettbewerb funktionieren könne, zum Bürokratieabbau. Dann solle eine Gesetzespaket dazu verschiedet werden. „Ich kann heute nicht versprechen, was da drin sein wird. Das ist Demokratie.“ Die Koalition bestehe aus drei Parteien, auch mit den Verbänden müsse noch gesprochen werden.
„Nicht erst in solche Gespräche reinzugehen, wenn die Kacke am Dampfen ist“
Und er spricht Klartext: „Was wir daraus lernen, ist nicht erst in solche Gespräche reinzugehen, wenn die Kacke am Dampfen ist“. Zwar habe es immer Kommissionen und Gespräche gegeben. Aber es sei „keine gute Politik“, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vier Wochen lang ein Sparpaket zu verhandeln und am Ende müssen verschiedene Gruppen „wie Kai aus der Kiste“ feststellen, dass sie betroffen sind, aber gar nicht gewarnt wurden. Oder dass noch Änderungen möglich gewesen wären, wie Carolin Walbrodt ergänzt. Sie appelliert an die Bundesregierung sich „zusammenzuraufen“, um „Radikalisierung in Deutschland zu vermeiden.“
„Es sind nicht nur die Landwirte. Wir anderen haben nur keinen Trecker“ - auch das ist Motto der Demo an diesem Tag. Und so berichtet auch Bäcker Johannes Ernsting davon, wie sein Betrieb aufgrund von Corona 100 von 160 Mitarbeitern eingebüßt hat, wie er bis auf den letzte Drücker auf Hilfe vom Staat warten musste, wie der Ukrainekrieg kam, die Energie- und Rohstoffkosten stiegen, die Wehrwertsteuer wieder stieg: „Den nächsten Crash schaffe ich nicht mehr“.
„Wir würden gerne den Krieg wegbeschließen“
„Wir würden gerne den Krieg wegbeschließen“, sagt Kühnert. Verlässlichkeit sei wichtig, Beschlüsse müssten auch nach Regierungswechseln Bestand haben, damit zu den aufeinanderfolgenden Weltkrisen nicht noch „zusätzlich politisch verursachte Unsicherheiten“ kämen. Deutschland stünden „riesige Investitionsaufgaben“ bevor, die FDP habe aber klebe „an der Schuldenbremse“. Es brauche Argumente und gesellschaftlichen Druck, an der Stelle weiterzukommen. „Und deswegen spiele ich den Ball ein bisschen zurück: Wir müssen unseren Job in Berlin machen.“ Aber man brauche den „Druck von hinten“.
Als Gedächtnisstütze überreichte Thorsten Fengels dem SPD-Generalsekretär die Forderungen der Landwirte - verpackt in ein Paar Kindergummistiefel. „Nicht ganz meine Größe“, sagt Kühnert - und verspricht, die Stiefel FDP-Chef Christian Lindner zu geben, „wenn er das nächste Mal den Pferdestall ausmisten muss.“
Ein weiterer Bericht zum Ehrenamtsempfang folgt