Dinslaken. Dinslakener Theaterinteressierte zeigten mit „Zukünfte passieren“ Möglichkeiten und Gefahren für die Stadt in den kommenden Jahrzehnten auf.
Ein Titel, zwei Bedeutungen. „Zukünfte passieren“ einerseits, weil es die Eigenschaft einer jeden Zukunft ist, zu geschehen – transformiert zur Gegenwart und im nächsten Moment zur Vergangenheit werdend. Wer sich am späten Montagnachmittag allerdings auf das interaktive, partizipatorische Theaterprojekt von Nadja Sühnel und Marleen Wolter von der Künstler:innengruppe Syndikat Gefährliche Liebschaften einließ, passierte „Zukünfte“ ganz im Wortsinn spazierend in der Dinslakener Innenstadt.
Vorbereitungen für das Stück laufen bereits seit Pfingsten
Seit Pfingsten haben Dinslakenerinnen und Dinslakener mit den beiden Künstlerinnen das Projekt erarbeitet und geprobt, nun führen sie das szenische Mitmachstück an acht verschiedenen Spielorten auf. Gemein ist allen Szenen, dass sie sich mit der Zukunft beschäftigen bzw. in Dinslakens Zukunft spielen. Die Theatergäste passieren die acht Orte – und werden für Momente selbst Teil dieser fiktiven Zukunftsvisionen.
Zwei typische Eigenschaften ist fast allen Zukunftsszenarien in Kunst und Kultur gemein: Sie verraten vor allem etwas über die Gegenwart und die Träume und Ängste der jetzigen Menschen und sie sind selten positiv. Gleich an der ersten Station des Rundgangs im Stadtpark fordern Doreen Gerkemeier vom Crossclub der Burghofbühne und der Klimamanager Ulrich Kemmerling ihr Publikum auf, sich ein Dinslaken in 50 Jahren vorzustellen, in der eine Klimakatastrophe die Innenstadt erneut zur Sumpflandschaft werden ließ. Die Zuschauer werden zum Teil der Inszenierung: Pflücken Aloe Vera von vergifteten Bäumen oder markieren zu dritt mit Schwimmnudeln ein riesiges, mutiertes Insekt.
Ein Blick ins Jahr 2053 – mit Kulturstars und einem Drogendealer
Was ist schiefgelaufen? Eine Antwort geben die Jugendlichen im „Zukünfte passieren“-Team. Zwar sind Leyla Badamassi und Anouk Heck im Jahr 2053 Spitzenstars in der deutschen Kulturszene, doch erinnern sie sich in der Kellerdisco des ND-Jugendzentrums an ihre Jugendtage, an den Druck, als Heranwachsende nicht nur perfekt sein zu müssen, sondern auch die Verantwortung zu tragen, die Welt zu retten, bleibt ihnen nur noch eins: Schreien. Schreien zum Instrumentalteil „Happier than ever“, in dessen Video Billie Eilish von Wasserfluten eingeschlossen wird.
Alleingelassen fühlt sich auch Tarik Kilinc. Auf dem Altmarkt der Zukunft verkündet er seinen desillusionierten Rückzug aus der Politik, denn die hat seine Straße, die Talstraße, vergessen. Nur dass dort halt in den Kellern der Reichtum lagert. Gefährlicher, zerstörerischer Reichtum: Kokain. Besser Drogendealer sein, als Politiker, wenn es einem Zuhause gut gehen soll. Noch ein Rap-Song, dann geht’s zu den Kunden im Stadtpark.
Boxkurs und Blick in die Sterne – aus der Gegenwart die Zukunft retten
Wo also ist die Gegenwart, um die Zukunft zu retten? Wo brennt es jetzt schon? Wo lässt sich heute die Zukunft von morgen gestalten? Gisela Marzin sammelt vor dem Stadtarchiv Fundstücke aus den Taschen des Publikums, die als das, was man in Dinslaken nicht mehr sehen möchte, in einer Zeitkapsel weggesperrt werden. Michael Stange und Dirk Sichelschmidt von den Dinslakener Amateurastronomen sprechen nicht nur übers Ende des Sonnensystems, sondern auch darüber, dass ihr Planetarium im ND-Jugendzentrum jetzt repariert werden muss.
Bärbel Kisielowski und Boxtherapeutin Eva Meiser vom Box- und Sportverein Dinslaken geben dem Publikum einen Crashkurs im Boxen, um die Achtsamkeit zu schulen. Und an der letzten Station, der Trabrennbahn Dinslaken, entwerfen Reinhard Claves und alle Beteiligten ein sozial gerechtes Dinslaken als Lebensraum für alle.
Stärkste Szenen auf der Dinslakener Trabrennbahn
Die Szenen auf der Trabrennbahn sind die stärksten des Rundgangs, den hier entsteht das, was Theater ausmacht: die Dichte des Erlebens auf engstem Raum. Die Trabrennbahn wird zum Lost Place, zum archäologischen Relikt, zum Ort der persönlichen Erinnerungen und einer fantastischen Zukunft. Zu einem Ort, der genau jetzt in der Gegenwart für die Zukunft gestaltet wird und der auch dank des herrlichen Szenarios von Sabine Lauderbach als Mahnmal gegen die Fehlinterpretationen der Vergangenheit herhält.
Welche Religion wurde auf der Trabrennbahn praktiziert, wenn auf einer hoch hängenden Schüssel der Schriftzug „SatAn“ prangt? Es sind solche Momente des neuen Blicks auf Altbekanntes, die „Zukünfte passieren“ zum Vergnügen machen.
Der Rundgang findet an drei aufeinanderfolgenden Spätnachmittagen statt, der letzte startet am Mittwoch, 23. August, 18 Uhr, am Platz d’Agen und endet gegen 20.15 Uhr. Tickets können vor Ort erworben werden.