Dinslaken. Musikalisch vielseitig und dabei immer mit einem offenen Ohr für seine Fans: Mit diesen Aktionen begeisterte Johannes Oerding im Burgtheater.
Johannes Oerding schaut sich im restlos ausverkauften Burgtheater Dinslaken um: „Ich kenn wahrscheinlich jeden von euch“, überlegt er, „ich hab euch bestimmt alle schon mal im E3 in Geldern gesehen“. Nun, alle bestimmt nicht, ein Teil seiner Fans ist in einem Alter, in dem man noch einige Jahre auf den ersten Disco-Besuch warten muss. Aber für Oerdings generationsübergreifende Konzerte wie das am Freitag im Fantastival ist man nicht zu klein. Im Gegenteil: Wer da hin kommt, hat sogar die Chance wie Noah, sich ein Lied aussuchen zu dürfen, oder wie Timmy und Paul, mit ihren aufblasbaren Gitarren auf der großen Fantastival-Bühne zu stehen und zum Liveplayback von Gitarrist Moritz Stahl richtig abzurocken.
Rock, Pop und sogar Funk
Zweieinhalb Stunden bot Oerding mit seiner Band deutschsprachigen Rock, Pop und sogar Funk vom Feinsten. Aber mindestens so hoch sind seine Qualitäten als Entertainer. Er gibt jedem Einzelnen das Gefühl, Teil einer Community zu sein. „Der Friede sei mit dir“, kommentiert er seine Aufforderung, dass sich alle im Burgtheater ihren Sitznachbarn vorstellen, Oerding war Pfadfinder, wie Gemeinschaft funktioniert hat er verinnerlicht und macht damit seine Konzerte zu etwas ganz besonderen.
Und außerdem ist der Auftritt in Dinslaken eine Art Heimspiel auf der falschen Rheinseite. Der Sänger aus Geldern-Kapellen entdeckt sogar einen Jungen im Publikum, der seine alte Schule besucht.
„Nie wieder Alkohol“ im Stil von Prince
Heute beweist der 41-Jährige, dass er nicht nur Rock alter Schule spielen kann: Titel wie der Opener „Noch immer nicht genug“ oder „Nie wieder Alkohol“ könnten als vom jungen Marius Müller Westernhagen durchgehen. Deshalb interpretiert er mit seiner Band das „O bitte bitte bitte sei mir nicht mehr böse“ im waschechten Prince-Stil mit der typischen Funk-Gitarre, Fistelstimmen-Gesang - und Tastensolo auf Dieter Bohlens Modern-Talking-Keytar („Endlich wird das auch mal in echt gespielt“).
Mit dem Fanschild zum Auftritt vor ausverkauftem Haus
Dazu natürlich die Hits, die man aus dem Radio kennt, „Kreise“ oder „Alles brennt“. Im Schnelldurchlauf geht es durch alle Alben, die Auswahl ist groß und am liebsten würde Oerding alle spielen. Und dann gibt es ja noch die Fans. Die möchten nicht nur „kein Kind, sondern ein Foto“ von ihm, wie es auf einem Schild zu lesen ist. „Du hast versprochen, mit mir zu singen“ steht auf der Pappe, die Alina in die Höhe hält. Oerding wundert sich „Hab ich? Wann denn?“ - „In Bochum“ - „???“ Aber Oerding wäre nicht Oerding, wenn er nicht merken würde, was hier gerade passiert.
Alina möchte „Heimat“ singen“, er lässt sich eine Gitarre geben. Alina singt gut, Oerding gibt ihr das Forum des ausverkauften Burgtheaters, diesen einmaligen Fan-Moment. Er habe gespürt, dass sie etwas gezittert habe, sagte er anschließend. Und zeigt sich zugleich beeindruckt: „Erst das Schild und dann auch noch die Sache durchziehen: Ich finde deinen Mut toll.“ Klar, dass er später auch ausführlich die Freilicht AG würdigt, die vor seinem Auftritt auf der Bühne von Bürgermeisterin Michael Eislöffel den Heimatpreis NRW offiziell überreicht bekam.
Support-Act Sera stellte neue Single vorab vor
Zuvor eröffnete Sera als Support den Abend. Und weil Johannes Oerdings Konzerte immer etwas länger dauern, startete die Vorband bereits in der Einlassphase um 19.30 Uhr. Das machte es für die Sängerin mit guter Liveband etwas schwieriger, weil noch viele aus dem Publikum sich mit Getränken und den beliebten Spießbratenbrötchen versorgten. Nichtsdestotrotz hatte die Niederländerin, die über TikTok bekannt wurde, Fans vor der Bühne, die Songs wie „Head held high“ abfeierten. Für diese hatte sie eine besondere Überraschung parat: Sie stellte ihre neue Single, eine R’n’B-Ballade mit wuchtigen Beats im Refrain, vor, die erst nächste woche veröffentlicht wird.
Soul-Nummer improvisiert
Empathisch zeigt sich Oerding auch innerhalb seiner Band. Als Moritz Stahl nach einem spitzenmäßigen E-Gitarren-Solo wohl vom Verfolgerscheinwerfer geblendet über seine Monitorbox stolpert und sich auf den Hosenboden setzt, ist Oerding da, legt seinen Arm um ihn und improvisiert eine Soul-Nummer über das Missgeschick, das es eine wahre Freude ist. Und in der Zeit hat sich Stahl wieder gesammelt und kann mit der gewohnten Qualität weiter rocken.
So musikalisch und dabei so bodenständig, so als „einer von uns“ kommt Oerding rüber, dass er einfach auf die Bühne gehört. Hut auf, Mikro an, Gitarre um und dann Menschen zusammenbringen. Diese Mission hat er im Burgtheater erfüllt.