Dinslaken. Nein, das war kein Abend der Jazz Initiative wie gewohnt im Ledigenheim. Flügel, Kontrabass und Schlagzeug warteten vor der Bühne auf die Jazzer. Links und rechts wurden Fernsehkameras in Position geschoben.

Auf der Bühne dagegen plauderten Knappen in ihren Uniformen, ihre Hüte standen in langer Reihe am Bühnenrand. Jazz? Chorkonzert? Oder gar beides? Thomas Termath hat der Jazz Initiative Dinslaken das Motto der Kulturhaupstadt, „Kultur durch Wandel, Wandel durch Kultur”, aufs Veranstaltungsplakat geschrieben und die Kölner Freejazzerin Angelika Niescier mit dem Lohberger MGV Concordia zusammen gebracht. „Glückauf Jazz”.

Es war das große Experiment in der Local-Hero-Woche. Angelika Niescier hat ihren Stil, ihre künstlerischen Vorstellungen und so viel natürlichen Charme, dass sie die „Männers”, wie sie sie liebevoll nannte, in sechs Proben dazu bewegen konnte, sich auf Arrangements von Umdeutung bis zur Verfremdung einzulassen. Ein Kunstexperiment, konsequent durchgeführt. Tim Isfort sorgte für den richtigen Sound, die Fernsehkameras wurden von Studenten der Kunsthochschule Köln bedient, die das Konzert für eine zur Veröffentlichung bestimmten DVD aufzeichneten.

Doch erst einmal vernehmen die Jazz-Freunde im restlos ausverkauften Saal ungewohnte Klänge. Unter dem Dirigat von Norbert Grundhöfer besang der MGV Concordia a capella „Musik, die heilige Kunst”. Der klassische Chorgesang des Männergesangvereins wird sich durch das gesamte Konzert ziehen. Bergmannslieder, „Oh Herr, welch ein Abend”, „Menschen der Erde” mit der Melodie des ersten Marsches aus Edward Elgars „Pomp and Circumstance”. Lieder, die nicht nur ohne jegliche instrumentale Stütze das technische Können des Chores beweisen, sondern auch denen im Publikum authentische Knappenchortradition zeigen, die sonst nicht in Dinslaken Chorveranstaltungen besuchen.

Mit Schmackes

Auf der anderen Seite das Quartett „Sublime”. Angelika Niescier (Saxophon, Komposition, Arrangement), Florian Weber (Klavier), Christoph Hillmann (Schlagzeug), Sebastian Räther (Bass) spielen Free Jazz. Ungeheuer energiegeladen, wuchtig. „Mit Schmackes”, würde man im Kohlenpott sagen. Und wenn es ruhige Klänge gibt, wie bei Niesciers Bearbeitung des Barbaraliedes, so ist das ein Graben in die Tiefe des Liedmaterials. Ein Schürfen im Dunkeln, dem das Fördern der gefundenen Schätze mit aller sprudelnden Überschwänglichkeit folgt.

Fünf Stücke hat Angelika Niescier mit dem MGV Concordia einstudiert. Wie ein Musiksample mischt sich der Bergmannsgesang in von freier Improvisation bestimmten Arrangements, im Vordergrund steht die eigene, neue Interpretation der Komponistin. Sie hat sich Gedanken gemacht, diese bringt sie zu Gehör. Das „Lohberg-Lied”? Eine Hymne. Sicherlich. Aber ist die Arbeit unter Tage nicht auch voller Gefahr? Niescier ändert die Harmonien ins Getragene, Spannungsreiche. „Probleme haben die”, sagt sie angesichts der folgenden Ballade, die „traurig, aber richtig traurig” sei. Es geht um „Warum bist du gekommen, wenn du schon wieder gehst”. Ein Lied in Dur, was die Sänger auch so singen. „Sublime” dagegen unterlegt es mit Mollklängen voller Dissonanzen.

Es rumpelt in Bass, Flügel, Schlagzeug und auch im Saxophon, wenn Angelika Niescier als hervorragende Technikerin ihr Spiel nicht gerade so leise ausklingen lässt, dass das Schlagen der Klappen und ihr Atem die Töne überlagern. Eine jazzende Freiheit, von der sich auch die „Männers” anstecken lassen. Das heitere „Die Bergleut' sind die schönsten Leut'” wird zum fröhlichen, kakophonischen Geplauder, in das munterer Gesang einfällt. Der Spaß, der das Jazzquartett und den Chor bei den Proben und nun bei dem Konzert zusammenwachsen ließ, überträgt sich auf die Zuschauerreihen. Zum Schluss das Steigerlied. Die Strophen sind behutsam arrangiert, dafür stellt das Solo nach „fahren wir ins Bergwerk ein” umso plastischer Bewegung. Die fünfte Strophe wird da capo gesungen. Norbert Grundhöfer fordert das Publikum auf, mit in den Mix aus Tradition und Freejazz einzustimmen. Stehende Ovationen.