Dinslaken. Wie ältere Menschen mit internationaler Familiengeschichte besser unterstützt werden können und welche Angebote es in Dinslaken schon gibt.
Ältere Menschen mit internationaler Familiengeschichte benötigen oft besondere Unterstützung, um ihr Leben in Deutschland in Würde und Selbstbestimmung gestalten zu können. Was können Kommunen gerade für diese älteren und alten Menschen tun? Mit dieser Frage beschäftigten sich jetzt bei einer Podiumsdiskussion im Dachstudio der Stadtbibliothek Dinslakens Sozialdezernentin und Beigeordnete Dr. Tagrid Yousef, Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan, Professor für Moderne Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen und Yasimin Zorlu, Geschäftsführerin der Kultura Pflegedienste. Durch den Nachmittag führte Karin Haist, Programmleiterin Demografische Zukunftschancen der Körber Stiftung, die diese Diskussionsrunde im Rahmen ihres „Stadtlabors“ gefördert hatte.
Pflegedienste, Altenheime, Demenzstationen – all diese Institutionen seien in erster Linie auf die Mehrheitsgesellschaft aufgestellt. Das musste auch die Dinslakens Beigeordnete kürzlich erfahren, als ihre Mutter ins Krankenhaus kam und sie später eine Pflegeeinrichtung für sie suchte. Das sei gar nicht so einfach, meinte Yousef.
Dabei leben allein 2,75 Millionen Türken in der BRD, hinzu kommen 2,18 Mio. Polen, 1,3 Mio. Russen, auch Syrer, Marokkaner und Iraker nehmen einen nicht geringen Anteil ein. Ist die erste Generation der Menschen mit internationaler Familiengeschichte im Alter vielfach noch ins Ursprungsland zurückgekehrt, werde ab der zweiten Generation der zentrale Lebens- und vor allem Altersruhepunkt in Deutschland sein, mutmaßt Prof. Dr. Uslucan. Lediglich 24 Prozent aller Migranten werden es bis 2030 sein, ein zeitversetzter Altersprozess zur Mehrheitsgesellschaft für die Seniorenheime also, „doch wir müssen darauf vorbereitet sein“, so Uslucan.
„Muslime sagen oft ‘Meine Leber brennt’“
Um diese älteren und alten Menschen mit internationaler Familiengeschichte besser unterstützen zu können, sei eine gezielte Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit und vor allem der Entscheidungsträger wichtig. Dazu gehöre auch die Schaffung von Angeboten, die auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe zugeschnitten sind.
Das fange schon bei den Begrifflichkeiten an, so Uslucan. „Deshalb sprechen wir bewusst nicht von Menschen mit Migrationshintergrund, internationale Familiengeschichte klingt doch gleich viel positiver“, erklärt Prof. Uslucan. Aber auch die Art und Weise wie Krankheiten wahrgenommen und ausgedrückt werden, sei unterschiedlich: „Muslime sagen oft ‘Meine Leber brennt’, aber der ältere Mensch hat mitnichten etwas an der Leber. Deutsche würden dazu sagen ‘Mein Herz ist gebrochen’“, erklärt Uslucan sprachliche Unterschiede.
Kulturelle Unterschiede müssen also in Medizin und Pflege beachtet werden. Auch fehlten Menschen mit internationaler Familiengeschichte oft die Zugänge zu Informationen bei der Gesundheitsaufklärung. Zudem beschäftigten sich ältere Menschen mit der Frage, ob sich ihre Migration eigentlich wirklich gelohnt hätte. Oft fühlten sich gerade Migranten im Alter nutzlos, zumal „hier das Altern weniger positiv besetzt ist als in anderen Ländern“, so der Professor.
Rückkehr zur Muttersprache
Des Weiteren tauchten Probleme im Krankenhaus und anderen Einrichtungen auf – vor allem Frauen, aber auch alte Männer wünschten sich gleichgeschlechtliche Pflege. Wichtig sei laut Uslucan auch muttersprachliche Betreuungsangebote gerade bei an Demenz erkrankten Menschen. Man habe festgestellt, dass diese Menschen oft in ihre Muttersprache zurückfallen auch wenn sie sonst ein perfektes Deutsch gesprochen hätten. Kliniken und Heime nur für Muslime – für Prof. Uslucan keine Alternative. Interkulturelles und Diversität seien in Kliniken und Pflegeheimen gefragt. Eine Ethnisierung sei zu vermeiden. Aber eine Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen in diesen Fragen sei förderlich. „Nicht etwas für Migranten machen sondern mit ihnen“, fordert der Professor. Und fordert eine interkulturelle Ausbildung für Mediziner und Pflegepersonal. Die würde es im Rahmen der Generalisierung des Pflegeberufes jetzt geben, wirft Yasimin Zorlu ein. „Kulturaspekte sind nun ein Teil der Ausbildung von Pflegekräften“, weiß die Leiterin eines Pflegedienstes, die Pflegekräfte aus verschiedenen Nationalitäten beschäftigt. Auch sie wirbt, wie auch Dinslakens Sozialdezernentin Dr. Tagrid Yousef für mehr Sensibilität im Umgang mit älteren Migranten, fordert eine stärkere Vernetzung.
Was es in Dinslaken schon gibt
Auch auf das Thema Tod kam Prof. Uslucan zu sprechen. „Die erste Generation will noch in der früheren Heimat beerdigt werden. Spätere Generationen nicht mehr.“ Im Islam muss der Verstorbene innerhalb von 48 Stunden beerdigt werden, sein Grab ausgerichtet nach Mekka sein. Auch Totenwaschungen seien vorgeschrieben. Das gäbe es vielerorts noch nicht. Kemal Inan, früherer Vorsitzender des Integrationsrates, konnte die Diskutierenden beruhigen: „Totenwaschungen können wir in der Ditib-Moschee vornehmen und seit 20 Jahren wird auf Dinslakens Friedhöfen auch nach islamischen Regeln beerdigt. Das erste Gräberfeld ist nun besetzt, ein neues wurde geschaffen. Das ist hier in Dinslaken kein Problem.“ Auch eine Begegnungsstätte für Ruheständler mit zahlreichen Aktivitäten sei vorhanden, fügt Özkan Yildiz von der Ditib-Moschee hinzu. Zentrale Bausteine also, auf die man in Dinslaken aufbauen könnte. „Wir müssen uns alle nur fragen, wie möchte ich selber ein würdevolles Leben leben, in Würde altern und sterben und dies dann auch umsetzen“ – eine Frage, die Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan allen Teilnehmern mit auf den Weg gibt.