Dinslaken. Niedeckens BAP begeisterten beim Fantastival in Dinslaken mit Altem, Neuem, Hits und faustdicken Überraschungen aus der Zeit vor 40 Jahren.
Niedeckens BAP im Burgtheater Dinslaken: „Gar nicht so lange her“, erinnert Wolfgang Niedecken an seinen musikalischen Leseabend vor einem Jahr in der kleinen Sonderedition des Fantastival. Damals hat es in Strömen geregnet und deshalb erkundigt sich Niedecken auch nach dem Wohlbefinden derer, die am Samstag mit ihm ins Burgtheater zurückkehrten: „Sind die vom letzten Jahr wieder trocken?“
Natürlich. Alles vergeht irgendwann. Fast alles. Der Fantastival-Abend am Samstag führte deutlich vor Augen, was alles bleibt. Gutes und Schlechtes, Erinnerungen und beinahe Vergessenes, Musik, die sich tief in die Herzen gebrannt hat und menschliche Beziehungen. „Wie nach Hause zu kommen“, beschreibt Wolfgang Niedecken inzwischen seine Auftritte im Burgtheater. Für wie viele unter den über 2000 Zuschauern auf den Rängen die Musik von BAP ein Stück Zuhause seit ihren Teenager-Zeiten ist, lässt sich nur erahnen.
BAP prägte Jugend der Bürgermeisterin
Michaela Eislöffel sprach wohl stellvertretend für sie alle, als sie in ihrer Rede als Bürgermeisterin vor dem Konzert darüber sprach, wie die Lieder von BAP gegen Rechts sie als 16-Jährige prägten. „Kristallnaach“ bleibt ein zentraler Song eines jeden Konzerts, so auch am Samstag und dies nicht nur, weil dann ein Ruck durchs Publikum geht und die Smartphones-Displays in der Farbe der Bühne leuchten. Es geht um Inhalte. Dem Hit von 1982 stellen BAP das ungemein starke, in einem Dreierhythmus stampfende „Ruhe vor’m Sturm“ (2020) voran. „Kristallnaach 2.0“ nennt Niedecken dieses hochaktuelle Stück gegen (Rechts-)Populismus und die antidemokratischen Kräfte in der Welt.
„Arsch huh“: Diese Aufforderung bleibt. Ebenso wie dieses Coronavirus. Niedecken selbst blieb bislang verschont, ist als Mensch jenseits der 70 – das muss er betonen, denn der Rock ‘n’ Roll hat ihn konserviert wie die Stones – bereits vierfach geimpft. Die anderen in der Band hat es nach und nach erwischt. Und deshalb fehlte am Samstag auch Anne de Wolff.
Niedecken war so bewegt, dass er selbst vergaß, was er eigentlich singen wollte
Eine Violine in Quarantäne. Doch wenn eine Band wie BAP heutzutage Bläser zur Verstärkung mit ins Boot holt, dann handelt es sich dabei um top ausgebildete Musiker, die noch einige Überraschungen parat haben. Im Akustik-Teil des Abends, dem „bewährten Liebeslieder-im-Sitzen-Block“ spielte Johannes Goltz Cello. Niedecken war so bewegt, dass der als Posaunist engagierte Profi es hinkriegte, dass er selbst vergaß, was er eigentlich singen wollte. Und nach dem Song verlieh er ihm in Anlehnung an einem Insider-Gag der Band einen „Heinz plus“ am Band.
Niedeckens BAP. Die Band und die musikalische Bandbreite. Den Blues haben sie, die kölschen Stones mit Statement. Wenn Uli Rohde seine Telecaster hochfährt, Michael Nass die Hammond rotieren lässt und Axel Müller das Sax bläst, sind BAP so zeitlos, unverwüstlich und gut wie Jagger und Richards. Aber da ist auch musikalisch noch so viel mehr. Die zarten Balladen, Liebeslieder, aber auch ein ganz persönlicher Singer-Songwriter-Titel an „Josie, sorry, inzwischen Josephine“, Niedeckens jüngste Tochter, die inzwischen erwachsen als letztes der Kinder das Haus verlassen hat.
Es geht Schlag auf Schlag
Und dann sind da noch die Titel, die stilistisch eine eigene Gruppe bilden: Reggaes. „Hoch die Gläser“ auf die „Coolsten im Land“, die Menschen in den Pflegeberufen und die Ehrenamtlichen, ohne die es nicht laufen würde – auch das Team der Freilicht AG gehört dazu. Reggae, auf diesen entspannten Off-beat verschiebt sich der sonst konsequent nach vorne rockende Akzent, wenn’s dem Kölner gut geht und „Aff un zo jeht et uns jar nit schlääsch“.
So wie an diesem Sommerabend im Fantastival. Die ersten 20 Minuten rocken BAP einfach los, steigern Tempo und Druck. Covern „Wild Thing“, bringen „im Waschsalon“ das Konzert mit purem Rock ‘n’ Roll auf Touren. Erst dann findet Niedecken die Zeit, das Publikum zu begrüßen. Dann geht es Schlag auf Schlag weiter – oder soll man besser sagen „Alles fließt“? So heißt das aktuelle Album, dessen Songs natürlich gespielt werden. Aber es gibt auch faustdicke Überraschungen aus der Zeit vor 40 Jahren, als BAP ihren Durchbruch hatten. Die Rückkehr des „Müsli-Man“ im Burgtheater – wer hätte damit noch einmal gerechnet. Vergessen hat ihn indes keiner: „da steht der Müsli-Man“ singt Niedecken und Zweitausend antworten „als Punk“.
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„Jupp“ spricht über alles in seinem Leben außer Stalingrad, Niedecken über den Tod des Vaters („Verdammp lang her“). „Verdammp lang hin“ haben sich vielleicht am Samstag Anwohner in der Altstadt gedacht. Denn Niedecken und seine Band sind halt echte Rock ‘n’ Roller vom alten Schlag und die kriegt nichts kaputt. Erste Pause (keine fünf Minuten) nach 140 Minuten, wer glaubt, nach besagtem „Verdammp lang her“ um 22.30 sei Schluss, kennt Niedecken nicht. gegen 23 Uhr spielt Michael Nass noch ein langes Klaviersolo, es folgt die letzte Ballade, das letzte E-Gitarren, das letzte Bläser-Solo.
Das Burgtheater ist halt wie „zuhause“. Da fühlt man sich wohl, da bleibt man, da hält man es aus. Schon eine Stunde zuvor zog Niedecken sein Fazit: „Es war ein Fest“.