Voerde. Am Samstag, 2. Juli, ist die Metzgerei zum letzten Mal geöffnet. Warum die Engelbrechts nicht wollten, dass ihre Kinder das Geschäft übernehmen.

Mehr als vier Jahrzehnte lang haben Anneliese und Hans-Ludwig Engelbrecht die Menschen in Friedrichsfeld mit Selbstgemachtem verwöhnt. Seit einigen Tagen aber kommen die Kunden nicht nur mit Leckerem aus der Metzgerei – sondern sie gehen schon mit Selbstgemachtem hinein: Reichen Marmelade oder Pralinen über die Theke, während Anneliese Engelbrecht tapfer die Tränchen wegschluckt: Die Metzgerei Engelbrecht am Markt in Friedrichfeld schließt nach 43 Jahren. Samstag, 2. Juli, ist der letzte Verkaufstag.

Fürs Pressefoto zupft Anneliese ihrem Ludwig noch einmal den Kragen unterm Sonntagskittel zurecht. 76 Jahre wird er bald, hat 60 Jahre lang von morgens 3.30 bis abends 19 Uhr in der Metzgerei gestanden. „Es geht einfach nicht mehr,“ sagt Anneliese Engelbrecht (70). Die Metzgerei läuft gut – „aber man muss es ja auch schaffen“, sagt die Chefin. Sie hätten sich das reiflich überlegt und ihr Mann habe zuerst noch nicht aufhören wollen. „Dann nimmt Dir einen schwarzen Anzug mit, das weiße Hemd, die guten Schuhe und spring in die Kiste“, habe sie ihm da gesagt.

Die Metzgerei Engelbrecht ist am Samstag, 2. Juli, zum letzten Mal geöffnet.
Die Metzgerei Engelbrecht ist am Samstag, 2. Juli, zum letzten Mal geöffnet. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Nachfolger? „Kriegen sie nicht“

Einen Nachfolger? „Kriegen sie nicht“, sagt Anneliese Engelbrecht. „Die Leute wollen nicht mehr so hart arbeiten.“ Und schon gar nicht von 3.30 bis 19 Uhr, ohne Pause. „Work-Life-Balance“ und so. Dabei war der Job vor 1979, als Schwiegervater Engelbrecht beschloss, dass Ludwig und Anneliese einen eigenen Laden in Friedrichsfeld bekommen sollen, noch härter. „Jetzt haben wir Wagen“, sagt Anneliese Engelbrecht – früher musste das Fleisch von Hand getragen und auch ausgelöst werden. Und das Hacken von Hand übernimmt heute auch eine Maschine. Trotzdem – die 70-Jährige hält ihre Hände hoch: „Man kriegt keine schönen Hände. Wir müssen ständig spülen und putzen. Die Hände sind ständig im Wasser.“

Tochter Ellen schaut herein. Warum die Kinder das Geschäft nicht übernommen haben? „Meine Eltern wollten wie alle Eltern, dass es uns mal ein bisschen besser geht“, sagt sie. „Und immer, wenn mein Bruder oder ich Ambitionen in die Richtung entwickelt haben, haben sie ein bisschen gegengearbeitet.“ Die Metzgerei – das sei ein „Knochenjob“ und eine große Verantwortung, nicht nur für die Kunden und Qualität, sondern auch für die Mitarbeiter. Und das an sieben Tagen in der Woche – das müsse auch der jeweilige Partner mittragen. Beide Kinder haben Berufe im sozialen Bereich, Ellen ist zudem selbst Mutter. In der elterlichen Metzgerei sind sie dennoch ständig präsent. Die Tochter hilft stundenweise aus, wenn es voll ist, springen Sohn oder Schwiegersohn an der Kasse ein. Die Familie trage das Geschäft, sagt Anneliese Engelbrecht stolz.

Und die Angestellten gehören auch irgendwie zur Familie. Christa Werner hat die Metzgerei damals mit eröffnet. Denn Schwiegervater Engelbrecht sei zwar „der beste Schwiegervater der Welt“ gewesen – aber als er die Idee mit der Metzgerei hatte, war Anneliese hochschwanger. Und Christa Werner hat gearbeitet, als wäre es ihr eigenes Geschäft. Auch als der Chef Corona hatte, hat die langjährige Angestellte gemeinsam mit den anderen den Laden geschmissen. Eigentlich sei sie auch schon in Rente, helfe aber noch aus. „Und ich dachte, Christa muss den Laden mit zumachen“, fand Anneliese Engelbrecht. Christa und ihr Mann haben „immer geholfen“, Michaela Malberg nimmt dem Chef immer gerne alle Wege ab. „Ohne unsere Angestellten wären wir nicht, wo wir heute sind“, sagt Anneliese Engelbrecht.

In 43 Jahren habe sich auch das Kaufverhalten der Kunden verändert. Die Kunden seien heute anspruchsvoller, berichtet Anneliese Engelbrecht. Es muss immer schneller gehen, immer alles vorrätig sein. Und einfacher. „Es geht immer mehr Halb-Convenience“, weiß Anneliese Engelbrecht.

Verändertes Kaufverhalten

Der Braten, erklärt ihr Mann, der kurz den Kopf ins Büro steckt, soll „in der Schale mit Thermometer fix und fertig vorbereitet sein“, so dass der Kunde ihn nur noch in den Ofen schieben muss. Auch die Geschmäcker haben sich geändert. Viele Bürger können und wollen nicht mehr kochen wie Großmutter. Eisbein geht nicht mehr so wie früher, oder Bauchfleisch im Winter – „alles dieses Kernige“, sagt Anneliese Engelbrecht. Auch Suppenfleisch wird nicht mehr so gekauft wie ehedem, Produkte eben, „die früher die älteren Herrschaften gegessen haben, wenn sie Eintopf gemacht haben“, sagt der Chef. Auch die Mengen haben sich geändert. Früher wurde ein halbes oder ein Pfund verlangt“, „heute zwei oder drei Scheiben“, berichtet Christa Werner, während sie Brötchen schmiert.

„Leider werden wir älter“, so informiert ein Handzettel die Kunden seit geraumer Zeit über die bevorstehende Schließung. Am letzten Samstag ist die ganze Familie noch einmal da. Danach wird die Metzgerei ausgeräumt. Ihren Kunden empfehlen die Engelbrechts den Weg nach Dinslaken, zur Augustastraße – zur dortigen Hauptstelle der Metzgerei Engelbrecht, die von Hans-Ludwigs Bruder und seiner Schwägerin betrieben wird. Sie übernimmt die Mitarbeiter aus Voerde. Und in den ersten Wochen nach der Schließung ist dort auch Anneliese Engelbrecht anzutreffen – als Urlaubsvertretung.