Dinslaken. Bei den Betuwe-Arbeiten am Bahnhof Dinslaken wurden der alte Bahnsteig und zwei Tunnel freigelegt – und ein Keller entdeckt.

Wie lange ist es wohl her, dass eine Packung Zigaretten 2,70 Mark gekostet hat? Seit dieser Zeit liegt das Werbeplakat für eine Packung Stuyvesant im ehemaligen Personentunnel, der einst zu einem zweiten Bahnsteig des Dinslakener Bahnhofs führte. „Aromatisch wie keine“ ist noch unter dem Staub der Jahrzehnte zu lesen. Nun hat die Deutsche Bahn den alten Tunnel – samt Werbung – wieder freigelegt. Denn für das zusätzliche Gleis der Betuwe-Strecke bekommt der Bahnhof wieder einen zweiten Bahnsteig – und einen neuen Personentunnel. Jan Niklas Swart, Abschnittsmanager bei der DB Netz AG, hat der NRZ exklusiv die Großbaustelle gezeigt.

Das frühere Güterbahnhofsgelände ist eigentlich eine No-Go-Area. Das Grundstück gehört der Bahn, Betreten ist verboten. Was Urbex-Fotografen umso neugieriger machte: Im Internet gibt es einen Beitrag, der sich mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei alten Betonplatten auf dem Grundstück um geheime Keller oder gar Bunkeranlagen handeln könnte.

Ein Gepäcktunnel beförderte die Koffer zum Bahngleis

Jan Niklas Swart rollt ein vergilbtes Papier aus dem Archiv von Station und Service auf: einen handgezeichneten Lageplan aus den 1960er Jahren, der die Lage des zweiten Bahnsteigs zeigt. In den Bauwerksbüchern der Bahn wird der Personentunnel erstmals um 1909 erwähnt. Um das Jahr 1920 habe der Bahnhof Dinslaken nachweislich aus zwei Bahnsteigen bestanden – mit einem langen Personentunnel und einem separaten Gepäcktunnel. „Damals gab es in Dinslaken ja viel Fernverkehr“, berichtet Swart. Durch den Gepäcktunnel seien die Koffer der Reisenden unabhängig von den Fahrgästen zum Zug gebracht worden – Aufzüge beförderten das Gepäck zu den Bahnsteigen.

Am 23. März 1945 wurde der Bahnhof fast komplett zerstört – und der Personentunnel teilweise zugeschüttet. Eine provisorische Holztreppe führte in den Jahren danach zum Bahnsteig 2, wo die Züge in Richtung Wesel hielten.

Was manche für einen Bunker halten ist der Deckel des alten Gepäcktunnels.
Was manche für einen Bunker halten ist der Deckel des alten Gepäcktunnels. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Zwischen 1950 und 1960 wurde der Bahnhof Dinslaken erneuert. Der vordere Teil des Personentunnels wurde erneuert und zugemauert. Die Decke des dahinter liegenden zweiten Teils des Tunnels wurde irgendwann nach 1960 zurückgebaut, der Tunnel im Bereich unter den Gleisen verfüllt. Die Zigarettenreklame blieb damals wohl an Ort und Stelle. Der Gepäcktunnel wurde nicht zugemauert – aber „auch nur noch bis zum Bahnsteig 1 genutzt“, so Swart. Den Tunnel gibt es sogar noch“, sagt Swart – ebenso wie den alten, defekten Aufzug, der hinter einer Stahltür an Bahnsteig 1 versteckt seit vielen Jahren stillsteht.

Der Betondeckel, den manche für einen Bunker halten – das ist der alte Zugang zum Gepäcktunnel am Bahnsteig 2. Im Zuge der Arbeiten „haben wir die restlichen Bereiche des alten Personentunnels bereits zurückgebaut.“ Am noch bestehenden Teil sind noch Fragmente der alten Treppe zu erkennen.

Teile des alten Bahnsteigs 2 wurden freigelegt

Auch Teile des alten Bahnsteigs 2 sind unter Gestrüpp während der Arbeiten zu Tage getreten. „Er liegt genau in dem Bereich, wo wir den neuen Bahnsteig bauen“, so der Projektleiter. Es habe auch Überlegungen gegeben, das bestehende Fundament zu nutzen – was aber aus statischen Gründen nicht möglich gewesen sei. Der Bahnsteig wurde abgerissen – und liegt nun als Geröllhaufen auf der Baustelle.

Im September wird die Bahnstrecke für zwei Wochen gesperrt und der nur wenige Meter lange Rest des alten Tunnels zurückgebaut. Bis dahin wird die neue, 24 Meter lange Unterführung in der großen Baugrube neben den Gleisen fertiggestellt und dann „eingeschoben“, so Swart.

Einen geheimen Keller haben die Arbeiter der Bahn doch noch entdeckt: im Bereich des Waldes in Richtung Gerhard-Malina-Straße. Dort hätten früher größere Gebäude gestanden, die Keller hätten sich recht weit unter das Waldstück gezogen. Auch bei der Bahn dachte man zuerst an Bunker – aber dafür sei die Decke nicht stabil genug gewesen, so Swart. Die Keller sind nun zugeschüttet. Wer weiß, ob irgendjemand sie in ein paar Jahrzehnten wieder öffnet und dort eine alte Zigarettenschachtel aus dem Jahr 2022 findet – die dann den Preis 7,20 Euro tragen dürfte.

>>Hintergrund

Für die Betuwe-Güterstreckenverbindung zwischen Genua und Rotterdam wird die bestehende Bahnstrecke um ein Gleis ergänzt. Weil der Bahnhof Dinslaken ohnehin ein zusätzliches Rangiergleis hat, wird es hier dann vier Bahngleise geben. Im Zuge der Arbeiten wird auch die Überführung auf der B8 erneuert – und erhöht.

Weitere Bilder der Baustelle und des alten Personentunnels am Bahnhof finden Sie in einer eigenen Fotostrecke auf nrz.de/dinslaken.