Die Spaziergänge in Dinslaken werden nicht angemeldet, die Ziele nicht definiert. Einigen ist möglicherweise nicht klar, was dahinter steht.

Wofür oder wogegen sie eigentlich auf die Straße gehen, fragte ein Mitglied der Telegram-Gruppe, in der die Spaziergänge in Dinslaken organisiert werden. Das Gruppenmotto hilft bei der Frage nicht wirklich weiter: „Dinslaken steht auf und zeigt mit dem Montagsspaziergang, dass es reicht“. Aber was ist „es“?

In den wenigen Antworten auf die Frage geht es um „Abtreibungsmord“, totalitäre Maßnahmen, Diskriminierung, Widerstand gegen das „Regime“ oder „Establishment“. Jeder habe eben seine eigenen Gründe, mitzumachen, meint einer.

Gründer der Telegram-Gruppe ist einer der beiden Kreisvorsitzenden der Partei „die Basis“. Eine Partei, die vor der Wahl auch mit ihrer Gegnerschaft gegen Coronamaßnahmen Politik gemacht, es aber nicht in den Bundestag geschafft hat. Eine Partei, die von „Impf-Apartheid“ spricht, deren Kanzlerkandidat die Impfung nach Medienangaben als „organisierte Massentötung“, Corona-Maßnahmen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet hat und der mit Wolfgang Wodarg (ebenfalls Basis) einen Blog namens „Stiftung Corona-Ausschuss“ betreibt, in dem nach Medienberichten Gäste erklären, im Impfstoff befände sich so etwas wie „lebendige Kraken“.

Ob alle Teilnehmenden der Spaziergänge diese Aussagen so unterschreiben würden? Und ob allen klar ist, dass die Spaziergänge viel mehr sind als nur das? Ob allen, vor allem Spaziergängern mit Kindern, bewusst ist, dass die Versammlungen, solange sie nicht angemeldet sind, bei Zusammenstößen mit Gegendemonstranten von der Polizei schlechter geschützt werden können?

Das könnten die Organisatoren natürlich offen kommunizieren. Ebenso wie sie die Spaziergänge ordnungsgemäß anmelden und deren Ziele im Titel der Veranstaltung benennen könnten. Aber ein diffuses Dagegen-Sein eignet sich vielleicht besser als kleinster gemeinsamer Nenner. Darunter lassen sich nicht nur Querdenker versammeln, sondern auch Menschen, die aus verschiedenen Gründen mit ihrer Situation unzufrieden sind, die in Sozialen Medien wie Facebook anecken und im unregulierten Messengerdienst Telegram eine Heimat gefunden haben, oder Familien, die die Rundgänge mit Kerzen, Kind und Kegel einfach stimmungsvoll finden – und mitunter nicht hinterfragen, wer oder was dahinter steht.

Durch die zahlreichen Spaziergänge dieser Art auch in kleinen Kommunen wird der Eindruck erweckt, eine Mehrheit der Bevölkerung blase zum Umbruch. Das ist aber nicht der Fall. In Dinslaken waren rund 300 Menschen beim Spaziergang. Von etwa 70.000 Einwohnern Dinslakens sahen 69.700 überhaupt keinen Grund, auf die Straße zu gehen.