Dinslaken. Eine Feier im St.-Benedikt-Haus Dinslaken nutzten Fachkräfte, um auf die weiter widriger werdenden Bedingungen in Pflege aufmerksam zu machen.
Weniger Dokumentation = mehr Zeit für die Pflege. Mehr Zeit für die Pflege = eine Aufwertung des Pflegeberufes. Eine Aufwertung des Pflegeberufes = mehr Bewerber im Pflegebereich. Mehr Bewerber im Pflegebereich = weniger Pflegekrise? Der Lösungsansatz, den die fünf Caritas-Pflegefachkräfte und ihr Direktor Michael van Meerbeck während des rund anderthalbstündigen Pressegesprächs präsentieren, klingt so simpel. Und doch nachvollziehbar.
„Wenn der Staat unseren Pflegefachkräften vertrauen würde und wir weniger dokumentieren müssten, dann würden wir auch unsere Arbeit besser schaffen“, sagt Michael van Meerbeck. Und er kritisiert: „Aber der deutsche Kontrollapparat wird scheinbar immer größer.“ Gerade während der Pandemie – als immer und immer wieder neue Vorgaben für die Pflege kamen – habe sich das noch mal zusätzlich bemerkbar gemacht.
Ein Drittel oder die Hälfte der Arbeitszeit geht für Dokumentationen drauf
Von einem Drittel Arbeitszeit, das bei den 39 Wochenstunden einer Pflegefachkraft für die Dokumentation draufgeht, ist die Rede in dem Gespräch. Dieses fand im Rahmen der nachgeholten Feier zum fünfjährigen Bestehen des St.-Benedikt-Hauses an der Trabrennbahn in Dinslaken statt (siehe Bild oben). Manches Mal beanspruche das Dokumentieren sogar die Hälfte der Arbeitszeit. „Ich muss wirklich alles ganz genau dokumentieren und festhalten, was ich wann, wo und wie genau gemacht habe“, sagt Michaela Hertrampf, die Leiterin der Caritas-Sozialstation in Wesel ist und Pflegebedürftige in ihrem häuslichen Umfeld besucht und unterstützt. „Das ist nicht nur sehr umfangreich und nimmt unglaublich viel Zeit in Anspruch, sondern es zeugt auch nicht von Vertrauen und Wertschätzung unserer Arbeit“, bedauert sie. Andrea Hüsken, die Leiterin der Ambulanten Dienste in der Sozialstation Hamminkeln ist, rechnet ergänzend vor: „Wenn ich an einem Tag so durchschnittlich 20 Patientinnen und Patienten habe, muss ich 20 Dokumentationen machen. Das bedeutet am Ende viel Zeit, die mir für die Patienten fehlt.“
Auch interessant
Den fünf Pflegefachkräften ist es wichtig, auf die Bedingungen bei ihrer Arbeit aufmerksam zu machen. Denn diese Rahmenbedingungen, so sagt Hüsken stellvertretend für alle fünf, „die zermürben uns mehr und mehr“. Und da die Dokumentationen und auch die Kontrollen der Behörden immer weiter nur ausführlicher und intensiver würden, würden auch die Arbeitsbedingungen Jahr für Jahr schlechter. Da müsse politisch entgegengewirkt werden, fordern sie. Denn, so sagt Petra van Meerbeck, Fachbereichsleiterin für Pflege und Beratung bei der Caritas: „Pflege ist kompetent genug, um sich aus eigenem Ansatz heraus weiter zu entwickeln.“ In der Schweiz habe das beispielsweise gut funktioniert. Dort trat 2004 ein neues Berufsbildungsgesetz in Kraft, das die berufliche Grundbildung, die höhere Berufsbildung und die berufsorientierte Weiterbildung für sämtliche Berufsbereiche außerhalb der Hochschulen regelt. So entstanden nicht nur zwei neue Berufe im Pflegebereich, sondern es bewirkte auch eine nachhaltige Stabilisierung der Personalsituation in der Pflege.
Pandemie hat die Lage in der Pflege weiter verschärft
Die Coronapandemie habe die Situation in der Pflege in mehrerlei Hinsicht weiter verschärft, berichten die Caritas-Mitarbeiterinnen und der Direktor. „Gerade am Anfang der Pandemie sind wir da relativ allein gelassen worden“, bedauert Petra van Meerbeck. „Es gibt so viele Sachen, die dadurch noch für uns dazugekommen sind“, ergänzt Sarah Olle, Pflegedienstleiterin im St.-Benedikt-Haus.
So seien nicht nur die Hygienemaßnahmen deutlich arbeitsintensiver geworden, weil man beispielsweise täglich die Temperatur bei allen – Bewohnern wie Besuchern – messen oder regelmäßig Corona-Testungen vornehmen müsse. „Wir mussten auch immer wieder unsere Besuchskonzepte an die geltenden Vorgaben anpassen, wir müssen nach wie vor die Kontaktnachverfolgung garantieren und deswegen dokumentieren. Wir hatten alle Hände voll damit zu tun, die Coronaschutzimpfungen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern in unseren Einrichtungen und bei den Mitarbeitenden durchzuführen“, listet Sarah Olle exemplarisch auf.
Vereinsamung durch Corona mussten die Pflegefachkräfte auch auffangen
Außerdem habe es natürlich auch Coronafälle unter Bewohnern sowie Mitarbeitern gegeben, die entweder eine Schließung der Einrichtung oder aber mindestens Quarantäne für die direkt Betroffenen bedeuteten. Diese Ausfälle hätten zusätzlich kompensiert werden müssen. Und die Maßnahmen hätten natürlich auch zu einer Vereinsamung der Seniorinnen und Senioren beigetragen und in der Folge zu erhöhtem Gesprächsbedarf geführt. „Das sind alles Sachen, die wir auffangen müssen“, erklärt Petra Maria Brüggemann von der Fachberatung Demenz. Man habe sich gerne engagiert, auch privat zurückgesteckt und mitunter – gerade vor der Impfung – von Freunden „isoliert“, um die Seniorinnen und Senioren zu schützen. Aber irgendwann müsse auch ein Lichtblick her.
Auch interessant
Den jedoch kann das Caritas-Personal nicht erkennen. „Es ist ein krankes System, das immer nur noch schlimmer wird“, bedauert Michael van Meerbeck. Und er fordert: „Wir müssen wieder weniger verwalten in Deutschland und mehr Demokratie wagen.“ Es müsse „irgendwann auch mal eine Pause geben, was neue Verordnungen angeht“. Nur so könne man Wertschätzung, über die bei der Pflege ja regelmäßig diskutiert werde, zeigen. „Wenn der Beruf gesellschaftlich aufgewertet würde, dann würde er auch wieder attraktiver und wir hätten so einige Probleme weniger“, sagt Sarah Olle. Denn die Pflege, das sei „ein Beruf, der dein Herz erfüllt und ganz viel Sinn ergibt“. Auch da sind sich die Caritas-Kräfte allesamt einig.