Dinslaken. Das mit den Messungen am THG beauftragte IUTA fühlt sich „etwas missverstanden“ von der Stadt Dinslaken. Luftfilter seien „durchaus sinnvoll“.

Die Stadtverwaltung hat sich bekanntlich gegen die Anschaffung weiterer Luftreinigungsgeräte (LRG) für Schulen und Kitas ausgesprochen (die NRZ berichtete). Begründet hatte sie dies unter anderem mit einem geringen zusätzlichen Wirkungsgrad, den die im Juni am Theodor-Heuss-Gymnasium (THG) in Dinslaken erfolgten Messungen aufgezeigt hätten. Nach der Berichterstattung in der NRZ hat sich nun das „Institut für Energie- und Umwelttechnik“ (IUTA) an die Redaktion gewendet. Es war von der Verwaltung mit den Messungen beauftragt worden und fühlt sich, wie IUTA-Geschäftsführer Stefan Haep es ausdrückt, „etwas missverstanden“.

„Der Schluss, der dort (in der Stellungnahme der Stadt, Anm. d. Red.) gezogen worden ist, entspricht nicht dem, den wir ziehen würden“, erklärt der Doktor-Ingenieur und betont: „Wir erachten den Einsatz von Luftfiltern durchaus als sinnvoll.“ Beide Maßnahmen, das Lüften und der Einsatz eines Luftreinigers, ergänzten sich in sinnvoller Weise und böten in Kombination letztlich den größten Beitrag zur Senkung des Infektionsrisikos – das hatte das IUTA auch in dem 20 Seiten langen Bericht an die Stadt geschrieben.

Zwei Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt

Im Wesentlichen sind es zwei Aspekte, welche die Stadt laut der Wissenschaftler nicht ausreichend berücksichtigt hat. Erstens seien einige Zahlen zur Reduktion fehlinterpretiert worden, was den Nutzen der LRG „um ein Vielfaches unterschätzt“, sagt Haep.

Zweitens weisen sie darauf hin, dass nur der Tag berücksichtigt wurde, an dem gemessen worden ist. „Doch diese Effektivität des Lüftens ist nur als exemplarisch für diesen Tag zu betrachten und lässt sich keineswegs direkt auf andere räumliche Gegebenheiten und Wetterbedingungen übertragen“, erklärt Haep.

Um diese Zahlen geht es

Das IUTA hat in den Untersuchungen die durchschnittliche Clean Air Delivery Rate (CADR, Reinluftzufuhrrate) des Luftreinigers sowie die durchschnittliche Luftwechselrate beim Querlüften am Versuchstag inklusive der zugehörigen Schwankungsbreiten gemessen. Die mittleren Werte wurden in ein mathematisches Modell eines durchschnittlichen Schultags eingepflegt und verschiedene Szenarien miteinander verglichen. So hat das IUTA gemessen, wie sich die Zahl der eingeatmeten Viren durch das Lüftungskonzept reduziert: um 91 Prozent. Beim zusätzlichen Einsatz eines Luftreinigers waren es dann 94 Prozent. „Gegenüber der Anwendung des Lüftungskonzeptes ist dies eine Steigerung der Effektivität um lediglich drei Prozent“, hatte die Stadt bekanntlich geschlussfolgert. Das IUTA wertet das anders: Dies bedeute keineswegs, dass der Luftreiniger die Zahl der eingeatmeten Viren nur um drei Prozent oder drei Prozentpunkte reduziere.

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Man müsse vielmehr die fehlenden sechs beziehungsweise neun Prozent (von insgesamt 100 Prozent) betrachten und diese miteinander vergleichen, erläutert Dr. Stefan Schumacher. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Bereich „Luftreinhaltung und Filtration“ bei IUTA und war gemeinsam mit dem Diplom-Physiker Tim Hülser verantwortlich für die Messungen am THG. „Während beim alleinigen Lüften noch neun Prozent der maximal möglichen Zahl an Viren eingeatmet werden, sind es mit zusätzlichem Luftreiniger nur sechs Prozent. Die Zahl der eingeatmeten Viren ist ohne Luftreiniger also um 50 Prozent höher“, erklärt er.

An diesem Tag wurde gemessen

Die Messungen am THG fanden am 11. Juni statt und liefen von etwa 8 bis knapp 16.15 Uhr. „Da es ein relativ warmer Tag war, ging es noch gut mit dem Lüften“, sagt Schumacher, betont aber auch, dass die Situation bei Regen oder Schnee eine ganz andere gewesen wäre. „Denn das Lüften ist je nach Wetterlage nicht immer gleich effektiv.“ So könne zum Beispiel bei anderen Temperaturverhältnissen und Anordnung der Fenster die Luftwechselrate auch deutlich geringer ausfallen. Diesen Hinweis hat das IUTA in der städtischen Stellungnahme vermisst.

Für die Mitarbeiter des Instituts ist es zudem „fraglich, ob beispielsweise bei sehr niedrigen Außentemperaturen, Sturm oder starkem Regen das Lüftungskonzept stets konsequent umgesetzt werden kann“. Der Luftreiniger hingegen arbeite unabhängig von all diesen Faktoren immer gleich und biete somit einen verlässlichen Zusatznutzen, auch wenn das Lüften nicht effektiv funktioniert oder in Zukunft vielleicht weniger konsequent gehandhabt wird. „Zudem ist im Gegensatz zum Querlüften über Flure und andere Klassenräume keine zeitliche Abstimmung untereinander notwendig und es können keine Viren durch ins Gebäudeinnere gerichtete Strömungen in andere Räume transportiert werden“, sagt Geschäftsführer Stefan Haep. Auch diesen Aspekt habe man vermisst.

Kosten könnten geringer ausfallen

Schlussendlich kommen die Wissenschaftler auch noch auf den finanziellen Aspekt zu sprechen. Die „hohen Anschaffungs- und Unterhaltungskosten“ – einmalige Kosten in Höhe von rund 1,24 Millionen Euro, jährliche Kosten in Höhe von etwa 22.000 Euro sowie alle zwei Jahre weitere Kosten in Höhe von knapp 95.000 Euro allein für die 244 erforderlichen LRG an den Schulen – hatte die Verwaltung, wie berichtet, ebenfalls als Grund angeführt, wieso sie sich gegen die Anschaffung weiterer Geräte ausspricht. „Doch wenn man sagt, dass die Kosten der ausschlaggebende Punkt sind, dann weisen wir eben darauf hin, dass es auch günstigere Geräte gibt“, sagt Stefan Schumacher.

Nicht jeder Luftreiniger koste 5100 Euro, wie es die Stadt in ihren Berechnung zugrunde gelegt hat. Es gebe auch schon Geräte für 500 Euro. Die seien dann in der Leistungsfähigkeit zwar etwas schwächer, so dass man mehrere Geräte pro Klassenraum benötige. „Aber wenn es drei Geräte sind, dann kostet das immer noch ‘nur’ 1500 Euro und nicht gleich 5100“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter. Weitere Vorteile der günstigen Geräte seien, dass auch die Folgekosten für Ersatzfilter etc. geringer ausfallen sowie die für Strom. Durch den geringeren Energiebedarf seien diese Geräte zudem klimafreundlicher.

>> „Nicht eins gegen das andere ausspielen“

„Das Lüften ist wunderbar, wenn man es ideal anwenden kann, aber es ist eben nicht immer ideal“, sagt auch Doktor-Ingenieur Christof Asbach, der bei IUTA Bereichsleiter für „Luftreinhaltung und Filtration“ sowie Projektleiter ist.

Asbach, der außerdem Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung ist, bedauert, dass das, „was an Empfehlung aus der Politik kommt, oft nicht dem heutigen Stand der Wissenschaft entspricht“. Zudem, so sein Eindruck, werde immer etwas gegeneinander abgewogen. „Doch es geht nicht darum, eins gegen das andere auszuspielen. Sondern darum zu gucken: Wie schaffe ich es, möglichst virenarme Bedingungen im Klassenraum zu schaffen.“