Dinslaken. Gebürtiger Dinslakener arbeitet gern in Serie. In der Stadt hält er mit seinen Arbeiten die Erinnerungskultur an jüdisches Leben und Leiden wach.

Guck mal – das Mahnmal im Stadtpark ist doch von Alfred Grimm. Und dort an der Friedrich-Ebert-Straße, das ist auch von Grimm – und das an der Brückstraße – und die beiden an der Duisburger Straße. Und was ist mit der Gedenkstätte für Schwester Maria Eu-thymia, die Kriegsgefangene pflegte, im Park des St. Vinzenz-Hospitals? Und die Plastik vor Steinhoff? Die Baustelle an der Hünxer Straße?

Alles Alfred, würde man gerne salopp sagen, wenn es sich um die Bronzen von Alfred Grimm und um eine Serie einfach das Auge erfreuende „Guckmale“ handeln würde. Aber mit Ausnahme des Objekts vor Steinhoff Kaltwalzen, das eine Auftragsarbeit zum 100-jährigen Firmenbestehen war, auf das ein Unternehmen zu Recht stolz sein kann, handelt es sich bei den Werken von Alfred Grimm um Mahnmale. Sie erinnern an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte und die Folgen für die Menschen hier in der Stadt und halten die Erinnerung wach an die Opfer, warnen vor den Tätern, würdigen die, die ihnen Menschlichkeit entgegen setzten.

Alfred Grimm arbeitet bevorzugt in Serien. Dinslaken gab ihm die Gelegenheit, Kunst im öffentlichen Raum als Beitrag zur Erinnerungskultur nicht nur an einer einzelnen Stelle zu schaffen, sondern sie als roten Faden durch die Innenstadt zu ziehen. Innerhalb der Architektur des städtischen Raumes, aber auch Vergangenheit und Gegenwart verknüpfend. Die Mahnmale sind interaktiv über die selbstverständliche Beziehung zwischen Betrachter, Kunstwerk und Künstler hinaus. Das gilt insbesondere für die Mahnsteine. Damit sich deren Aussage für den Betrachter vollständig erschließen kann, ist eine Interaktion mit weiteren Menschen von heute notwendig. Diese müssen in den Ensembles einen Platz einnehmen. Ein spannender, sehr moderner Ansatz für ein Mahnmal.

Doch der Reihe nach. Das erste, zentrale und größte Mahnmal schuf der 1943 geborene Alfred Grimm für seine Heimatstadt 1993 mit dem „Judenkarren“. Die Bronze am Stadtpark erinnert an die Pogromnacht 1938, an die schändliche Tat am Tag danach, als SS-Männer Kinder vom jüdischen Waisenhaus durch die Stadt trieben. Die ebenfalls in Bronze gegossenen Kisten mit Schuhen, Taschen, persönlichen Gegenständen erinnern an Deportationen, der Karren durchbricht, ebenfalls in Bronze, symbolisch die „Mauer des Schweigens“.

Wachsam bleiben

Alles Vergangenheit? Der SS-Mann erscheint als leere Silhouette. Aber es ist nur allzu leicht, dass diese ausgefüllt wird. Im positiven Fall von Deutschen, die sich der kollektiven Schuld eines Volkes bewusst sind und Verantwortung übernehmen, im negativen Fall von den Feinden der modernen freiheitlichen Demokratie. Der Judenkarren ist ein Mahnmal im besten Sinne, es mahnt, gegen rechte Tendenzen wachsam zu bleiben.

Auch die vier Mahnsteine in der Innenstadt halten die Erinnerungen an Opfer des Nationalsozialismus wach. Aber es kommt ein weiterer Aspekt dazu: sie setzen dem lebendigen jüdischen Leben, das bis 1933 selbstverständlich zu Dinslaken gehörte und seit Jahrhunderten verwurzelt war, ein Denkmal. Eichengrün, Bernhard, Jacob, Isaacson: vier Familiennamen, vier Familienunternehmen, die Dinslakens Innenstadt belebten. Sie waren Hutmacher, Installateure, Viehhändler, Einzelhändler. Bernhard war das erste Kaufhaus von Dinslaken, das Gebäude an der Friedrich-Ebert-Straße/Ecke Neustraße bestimmt bis heute das Straßenbild mit. Und klein und niedrig dort, wo die Familien einst ihre Kundschaft empfingen. Alfred Grimms Mahnsteine. Stelen mit Gedenktexten, augenfälliger allerdings in Bronze gegossene Utensilien des Handwerks und des Handels.

Der gebürtige Dinslakener und Bruckhausener Künstler Alfred Grimm 2011 in seinem Atelier mit dem Projekt Mahnsteine.
Der gebürtige Dinslakener und Bruckhausener Künstler Alfred Grimm 2011 in seinem Atelier mit dem Projekt Mahnsteine. © Archiv | Heinz Kunkel

Relikte. Die Familien sind verschwunden, ermordet, geflohen. Grimms Kunstwerke zeigen nicht die Menschen und die Stelen formen sich auch nicht selbst zu eigenen Körpern aus, die durch den bewegten Rhythmus einer Linienführung wirklich figural genannt werden könnten. Die Mahnsteine brauchen echte Menschen. Erst sie machen sie komplett. Und Platz ist da. Gleich doppelt. Links und rechts der zentralen Stelen laden Steine ein, sich zu setzen. Zum Eis essen. Zum plaudern. Leute gucken. Und sich erinnern. Wenn dies geschieht, ist das alte jüdische Leben wieder mittendrin, wird Teil der heutigen Menschen. Die Mahnsteine sind lebendige Erinnerungskultur, denn sie verknüpfen die Gegenwart und die Vergangenheit im Alltagsleben.

Es gibt ein weiteres Kunstwerk von Alfred Grimm in Dinslaken, dessen Aussage in diese Richtung zielt: die Baustelle. Jener ominöser Beitrag zum Skulpturenweg 2003, der an der Althoffstraße nicht nur als nicht genehmigtes Verkehrshindernis im Wege stand, sondern ausgerechnet noch dem damaligen Bau- und Planungsdezernenten vor die Haustür gesetzt wurde. Was für ein Guckmal! Dinslaken echauffierte sich, lachte sich halb schlapp und die Baustelle wurde sogar zum karnevalistischen Thema in der Bütt’. Schließlich empfahl die damalige Bürgermeisterin Sabine Weiss den Stadtwerken den Kauf des Objekts, es wurde in Bronze gegossen, wieder naturalistisch bemalt und vor der Verwaltung des kommunalen Unternehmens an der Hünxer Straße aufgestellt.

Im Erdreich der Baustelle liegen keine Leitungsrohre. Die Baustelle ist auch kein Scherzobjekt. Das Werk von Alfred Grimm ist Dinslakens Version des Grabmals für den unbekannten Soldaten. Er liegt dort, scheinbar zufällig bei Bauarbeiten entdeckt, die Gasmaske noch übers Gesicht gezogen. Ein gefallener Alliierter? Opfer? Täter? Man weiß es nicht. Die Baustelle ist, was sie ist: eine offene Baustelle.

Das nächste Mahnmal von Alfred Grimm ist bereits in Bronze gegossen und bereit, voraussichtlich im Sommer in der Innenstadt von Dinslaken aufgestellt zu werden. Es handelt sich um das Gedenken an den ehemaligen jüdischen Friedhof, der sich von 1722 bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts dort befand, wo heute der Kreisverkehr der Friedrich-Ebert-Straße ist.