Dinslaken. Die Seifert-Orgel von St. Vincentius wurde am 24. April 1999 geweiht. Seit 20 Jahren gibt es die Orgelkonzerte mit internationalen Künstlern.

Die Zahl, der Konzerte, die man in seinem Leben als Musikwissenschaftlerin und Kulturjournalistin besucht, geht tatsächlich in die Tausende. Und trotzdem gibt es nicht nur Abende, sondern einzelne Klangmomente, die man nicht vergisst. Weil sie ganz neue Hörerfahrungen schenken, weil sie tief unter die Haut gehen oder einfach nur schön sind. Ein Instrument, das unter den geschickten Händen jener, die es beherrschen, solche Momente hervorzubringen vermag, ist die Seifert-Orgel von St. Vincentius.

Im Moment ist sie wegen des Corona-Shutdowns, außer in den Gottesdiensten, zum Schweigen verurteilt. Aber manches, was auf ihr hervorgebracht wurde, klingt noch nach. Die schwebenden, geradezu mystisch entrückten Klänge der französischen Romantik, für die sie gebaut ist und die man in Dinslaken auch mehrfach von französischen Organisten hören durfte. Aber auch die Offenbarung, als der Organist und Dirigent Hansjörg Albrecht mit seiner Bearbeitung der Goldberg-Variationen die Klangregister der Orgel durchschritt wie Barocksäle, von denen keiner dem anderen in Farbe und Ausstattung glich.

Oder eben jene Ligeti-Interpretation von Sebastian Küchler-Blessing, heute Domorganist in Essen. Erst leise, schwebende Klänge. Und dann alles gleichzeitig. Die Orgel schaffte den Kraftakt. Aber der Boden bebte und man hatte das Gefühl, das riesige Instrument hebe gleich ab und ginge wie eine Rakete durch die Decke.

Vorgängermodell war zu schlecht

St. Vincentius verdankt dieses hervorragende und von den Gast-Organisten immer wieder gerühmte Konzert-Instrument der Tatsache, dass sein Vorgängermodell so schlecht war. Gebaut, nachdem die alte Orgel mit dem Einsturz des Turmes durch Kriegseinwirkungen zerstört wurde und in diesen Nachkriegsjahren nicht aus den allerbesten Materialien gefertigt. 1990 wurde unter der Ägide von Dechant Bernhard Kösters beschlossen, die Anschaffung eines neuen Instruments zu stemmen.

Professor Wolfgang Seifen aus Kevelaer wurde als Fachberater herangezogen, der Auftrag an eine von 14 zur Wahl stehenden Orgelbaufirmen nicht nur in finanzieller, sondern auch musikalischer Hinsicht diskutiert. Denn die Orgel, so Pastor Kösters in seinem Grußwort zur Festschrift anlässlich der Orgelweihe am 24. April 1999, stehe in der Dimension des Himmels und feiere mit den Gläubigen die Schönheit Gottes: „Gute Liturgie erkennt man daran, dass sie kosmisch ist.“ Dass der Klang der Seifert-Orgel entsprechend kosmisch ist, wurde in den erwähnten Konzerten – und zu vielen weiteren Gelegenheiten – Gemeinde wie Musikliebhabern von nah und fern gleichermaßen bewiesen.

Das Geheimnis der Seifert-Orgel

Was aber nun ist das Geheimnis der Orgel der Firma R. Seifert & Sohn aus Kevelaer? Moderne Orgeln seien „Universalorgeln“, beschrieb es der Organist von St. Vincentius, Paul Beszynski, in der zitierten Festschrift. Sie bekommen von ihrer Bauweise her aus jeder Epoche etwas typisches mit – und verlieren darüber ihren Charakter. Die Seifert-Orgel von St. Vincentius dagegen hat eine romantische Prägung. Entscheidend ist nicht nur die Disposition ihrer insgesamt 33 Register, sondern die Proportionierung der Klanggruppen zu einander. Prinzipalchor, Flötenchor und Trompetenstimmen stehen gleichberechtigt nebeneinander, die Grundstimmen können miteinander verschmolzen werden.

Welche Möglichkeiten ein Organist hat, genau den richtigen Klang für die Interpretation, die im vorschwebt, zu finden, erklärte Seifert selbst in einem nüchtern formulierten Satz: „Zur Steuerung der Registertraktur besitzt die Anlage einen technisch ausgereiften Setzer-Computer, der bis zu 800 individuelle Registrierungen ermöglicht“. Eine geradezu „kosmische“ Vielfalt, die es auch versiertesten Künstlern unter den Organisten ermöglicht, die Werke nicht nur der klassischen Orgelliteratur durch ihr Spiel, sondern auch durch die Klangvorstellungen individuell zu interpretieren.

Der festlichen Orgelweihe durch Weihbischof Heinrich Janssen am 24. April 1999 in der Vorabendmesse folgte tags darauf ein Improvisationskonzert von Prof. Seifen. Der Termin sonntags um 17 Uhr sollte von da an fest mit der Seifert-Orgel verbunden bleiben. Es folgten im Mai und Juni Konzerte von Ansgar Wallenhorst und Heinz Kersken. Die Orgelkonzerte in St. Vincentius sind seit 20 Jahren eine etablierte Reihe internationaler Künstler.

Absagen für aktuelle Reihe

Sonntag, 17 Uhr, Orgelkonzert in St. Vincentius. So wird es hoffentlich bald wieder sein. Das erste Konzert der aktuellen Reihe musste Organisator Rudi Meyer im November wegen des Kultur-Lockdowns absagen, auch das geplante Konzert im Januar. In der Zwischenzeit erreichte ihn eine Nachricht des Organisten, der im April auftreten sollte, dass dieser eine Operation hatte, deshalb noch nicht wieder spielen könne. Nun hofft Meyer, dass es mit dem dritten Termin der Reihe klappt. Dann würde am Sonntag, 14. März, Sarah Kim mit einem Programm von Felix Mendelssohn bis Philip Glass die Vielseitigkeit der Orgel testen.