Dinslaken. Der Fall Alfred S. ist Dinslakens einziger nicht aufgeklärter Mord. Die Polizei nimmt die Ermittlungen nun 15 Jahren nach der Tat wieder auf.

Als Alfred S. am Morgen des 28. Oktober 2005, vor 15 Jahren, seine Wohnung verließ, versprach er, früh Feierabend zu machen. Es war ein Freitag, abends wollte seine Frau ihren 50. Geburtstag feiern. Wenige Minuten später war Alfred S. tot. Er wurde an diesem Morgen um 6.47 Uhr auf dem Parkplatz der Mehrfamilienhäuser am Sperberweg 4-6 mit drei Schüssen regelrecht hingerichtet. Der Mörder wurde nie gefasst. Nun greift die Kriminalpolizei in Duisburg den Fall noch einmal auf. Anlass ist die Anfrage der NRZ.

Der Leiter der Dinslakener Mordkommission hat den Rhein-Ruhr-Ripper gefasst

Klaus Engler, Erster Polizeihauptkommissar a.D. hat damals die Mordkommission geleitet. Für das Gespräch mit Martin Mende (Kapitaldezernent der Staatsanwalt Duisburg), Kriminalhauptkommissar Markus Jakob (Cold Case-Ermittler vom KK11 der Kriminalpolizei), Stefan Hausch (Erster Polizeihauptkommissar, Sprecher der Polizei Duisburg und damals Teil der Mordkommission) und der NRZ ist Engler noch einmal aus dem Ruhestand ins Polizeipräsidium Duisburg gekommen.

Die Häuser am Sperberweg 4-6. Auf dem Parkplatz geschah das Verbrechen.
Die Häuser am Sperberweg 4-6. Auf dem Parkplatz geschah das Verbrechen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Es gibt Fälle, an die sich der 66-Jährige lieber erinnert. Er hat zum Beispiel den Rhein-Ruhr-Ripper Frank Gust gefasst, der vier Frauen getötet hat. „Fünfeinhalb Wochen habe ich mit dem da hinten in einem Raum gesessen,“ sagt Engler und weist den Flur entlang. Der Fall Alfred S. ist seine einzige Mordermittlung, bei der überhaupt kein Täter dingfest gemacht wurde.

Die Polizei ermittelte in Dinslaken mit großem Aufwand

Dabei ermittelte die mit 22 Mitgliedern recht große Mordkommission der Polizei vor 15 Jahren mit großem Aufwand in Dinslaken. Noch am Tatmorgen schrieben die Beamten sämtliche Fahrzeugkennzeichen in der Umgebung des Sperberwegs auf. Sprachen in der Folge mehrfach mit allen Anwohnern, allen Menschen, die um diese Zeit dort unterwegs waren, immer wieder mit der Familie, baten auf Plakaten um Hinweise. „Wir haben von Anfang an in alle Richtungen ermittelt“, erinnert sich Klaus Engler.

Schulden, verärgerte Kunden: Alfred S. hatte sich nicht nur Freunde gemacht

Tatsächlich fanden die Kriminalisten in der Vergangenheit des Mordopfers mehrere Ansätze für mögliche Motivlagen. Denn der 51-jährige Alfred S. hatte sich nicht nur Freunde gemacht. Es gab Schulden mit Bezug ins osteuropäische Ausland, über einen Bekannten mögliche Verbindungen ins Rotlichtmilieu, verärgerte Kunden des Bauunternehmens, bei dem er als Architekt angestellt war. Die Firma, die damals an der Hünxer Straße saß, war in einen Millionenbetrug mit Banken verwickelt.

Die Ermittler am Tatort in Dinslaken: Das Opfer lag neben seinem Wagen.
Die Ermittler am Tatort in Dinslaken: Das Opfer lag neben seinem Wagen. © ARCHIV | Eduard BEHRENDT

Viele Fenster zum Tatort - und niemand hat etwas gesehen

Der Parkplatz am Tatort war zudem von vielen Fenstern der Mehrfamilienhäuser aus zu sehen. Allerdings war es noch dämmerig an diesem Freitagmorgen, Ende Oktober 2005. Und das Opfer hatte seine Limousine im hinteren Teil des Parkplatzes in der Sackgasse abgestellt. Die Familie – die Eheleute hatten drei Kinder – wohnte in einem unteren Geschoss, die Sicht auf den Parkplatz war durch parkende Autos erschwert. Die Ehefrau hat Schüsse gehört, das hat sie der Polizeileitstelle per Notruf an dem diesem Morgen gesagt. Die Polizisten und Rettungssanitäter fanden Alfred S. zwischen den parkenden Wagen, jede Hilfe kam zu spät.

Raubmord ausgeschlossen: Das Opfer hatte reichlich Bargeld dabei

1000 Personen haben die Ermittler damals insgesamt überprüft, 800 Spuren verfolgt. „Ich hatte noch nie eine so vielschichtige Mordkommission geleitet,“ so Engler. Das Ergebnis nach mehreren Monaten Ermittlungsarbeit: nichts. Das Betrugsverfahren wurde abgetrennt, es gab keinen Bezug zu dem Tötungsdelikt, die Firma verschwand Ende 2006 aus dem Handelsregister. Niemand in der Nachbarschaft hat etwas Entscheidendes gesehen. Ein Raubmord war ausgeschlossen: Das Opfer hatte reichlich Bargeld dabei und trug eine teure Uhr.

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Möglicherweise handelte es sich um einen Auftragsmord

Es gab und gibt bis heute keine Verbindung, keine Spur zum Täter. Das ist ungewöhnlich. „Es gibt selten eine vollkommen motivfreie Tötung“, erläutert Hausch. In diesem Fall sei zwar die Motivlage „mannigfaltig“ gewesen. „Aber die Fäden liefen nicht an einer Stelle zusammen.“ Möglicherweise, so eine Vermutung, handelte es sich um einen Auftragsmord.

Im Dezember 2005 verließ die Mordkommission die Räume der Polizei Dinslaken, ermittelte von Duisburg aus weiter. Im September 2006 wurde das Verbrechen bei der TV-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ thematisiert. Auch hier: keine zielführenden Hinweise. Die Akte zu dem Fall lagerte bis jetzt im Archiv der Polizei. 43 Bände, so Stefan Hausch, weil bei ungeklärten Fällen eben alles aufgehoben wird.

Ermittler hoffen auf neue Hinweise

Die Ermittler hoffen, dass sich nun aufgrund der Berichterstattung doch noch Zeugen erinnern. Die örtlichen Gegebenheiten haben sich seit dem Mord nicht verändert. Wer am Sperberweg vorfährt, wird gesehen: Fenster öffnen sich, Gesichter schauen über Balkonbrüstungen. Vielleicht hat damals doch jemand etwas beobachtet, es nicht erwähnenswert gefunden oder aus anderen Gründen bisher nicht darüber gesprochen.

Das Bild stammt aus der Ermittlungsakte der Polizei Duisburg: Es zeigt den Tatort und die Position des Toten auf dem Parkplatz am Sperberweg.  
Das Bild stammt aus der Ermittlungsakte der Polizei Duisburg: Es zeigt den Tatort und die Position des Toten auf dem Parkplatz am Sperberweg.   © PR | Polizei Duisburg

Ein größerer Wagen, der sich schnell vom Tatort entfernt haben soll, spielte damals eine Rolle. Auch könnte der Täter über die Grünfläche am Ende der Sackgasse auf die Kurt-Schumacher-Straße geflüchtet sein. Eventuell ist jemandem dort etwas aufgefallen.

Möglicherweise lassen sich zusätzliche DNA-Spuren auswerten

Cold-Case-Ermittler Markus Jakob prüft derzeit, ob sich mit heutiger Technik noch zusätzliche DNA-Spuren auswerten lassen. Alfred S. wurde mit einer Beretta, Modell 70, Kaliber 7.65 erschossen. Die Polizei fand Patronenhülsen am Tatort, die möglicherweise erneut untersucht werden können. „Vielleicht bekommen wir ja einen entscheidenden Hinweis der uns hilft, den Fall erfolgreich abzuschließen“, so Stefan Hausch. Seit 15 Jahren sei ein Täter auf freiem Fuß, der einen Menschen ermordet hat. Und Klaus Engler, der am Sonntag seit vier Jahren in Pension ist, würde sich sicher ebenfalls freuen, wenn er den Mordfall doch noch als geklärt abhaken könnte.

Die Polizei fragt: Wer hat am Morgen des 28. Oktober 2005 rund um den Sperberweg in Dinslaken verdächtige Personen oder Fahrzeuge gesehen? Hinweise an die Polizei Duisburg unter Tel. 0203/2800.

>>Hintergrund

Die Polizei Duisburg greift routinemäßig Cold Cases auf, wenn sich neue Ermittlungsansätze – etwa durch neue Spuren oder Aussagen – ergeben. Zwei dieser ungeklärten Fälle werden am 4. und 18. November bei Aktenzeichen XY ausgestrahlt: Der Fall der zehnjährigen Martina Möller aus Neukirchen-Vluyn, die 1986 vom Spielen nicht nach Hause kam und erwürgt und sexuell missbraucht aufgefunden wurde. Und der Fall von Bärbel Werner aus Kamp-Lintfort, die 1987 nach einem Kneipenbesuch in Moers mit schweren Kopfverletzungen in der Nähe einer Autobahnbrücke der A 57 lag.