Dinslaken. Vor dem Konzert in Dinslaken sprach Giora Feidman mit der NRZ über Musik als Sprache der Seele. Und was sie für das Menschsein bedeutet.
„Was ist Klezmer?“ Es ist eine Frage, die Giora Feidman vor Publikum stellt und dann mit einem „wer weiß das schon“ abtut. Doch im Gespräch vor seinem Konzert am Dienstag Abend in der Garderobe des Burgtheaters geht er mit der NRZ in die Tiefe: Da übersetzt er „Klez-mer“ mit „Instrument of Song“ und mit diesem „Instrument“ ist nicht der Musiker allein gemeint: Es ist der Körper, der der Seele Ausdruck verleiht durch die Sprache der Musik. Jene Sprache, die Emotionen vermittelt, jene Sprache, mit der die Mütter in allen Kulturkreisen mit ihren Kindern durch das Singen kommunizieren, lange bevor diese die ersten Wörter sprechen und verstehen.
Und es ist diese Bedeutung von Klezmer, die der Schlüssel zum Konzert von Giora Feidman (Klarinette) und Alina Kabanova (Klavier) am Dienstagabend im Burgtheater Dinslaken gab.
Denn das, was seit den 70er Jahren musikalisch als „Klezmer“ bezeichnet wird und das man international mit dem Namen Giora Feidman verbindet, machte nur einen kleinen Teil des Programms aus. Und den wahren Klezmer-Moment erlebte das Publikum vielleicht sogar – mit Mozart. Feidman forderte die Menschen im Burgtheater auf, die Melodie des Adagios aus dessen Klarinettenkonzert in A-Dur mit zu summen, d. h. die innere Stimme singen zu lassen.
„Das ist Freiheit der Seele“
Musik als Sprache, als Einheit der Seele, als Einheit der Seelen. Herkunft und Religion sind egal, musikalisches Schubladendenken irrelevant. Piazzolla, Gershwin, Cohen: Ihre Kompositionen fließen im Konzert von Feidman und Kabanova ineinander. The Beatles, deren „Yesterday“ Feidman in seiner Version spielt? „Das ist Freiheit der Seele“, weil ihre Melodien – atmen.
Giora Feidman spielt eine verhältnismäßig neue Klarinette. „Von einem deutschen Instrumentenbauer, ein hervorragendes Instrument“ schwärmt er. Seinen langen Atem beweist der 1936 in Buenos Aires Geborene in der Zugabe, wenn er seinen Ton über das gesamte Thema im Klavier hält. Aber der Atem in der Musik, den er im Gespräch meint, den hört man, wenn Alina Kabanova Brahms Walzer op. 39 Nr. 15 oder den Moment Musicaux op. 94 No. 3 von Franz Schubert spielt und fühlt.
Einheit: Die beiden Musiker lassen die Stücke des Abends ineinanderfließen, Tonarten bleiben, Motive erscheinen wie aufgegriffen zwischen Melodien, die dem Publikum vertraut sind, die beliebt sind, aber weder räumlich noch zeitlich verbunden sind. Da tänzelt Brahms Intermezzo op. 118 No. 2 auf zehenspitzen hinter Gardels „Por una Gabeza“, folgt dem jiddischen Block, den Feidman mit dem Klarinetten-Intro von Gershwins „Rhapsody in Blue einleitet und der mit Baranovas „Freilach Mischpoke“ endet, in Chopins Walzer op. 64 No. 2 über.
Großer Auftritt der Turmuhr von St. Vincentius
„Seele“, das ist es, was diese Stücke verschmelzen lässt. Und die beiden Musiker auf der Bühne verstehen sich als Einheit, auch wenn der eine oder die andere bei den Solostücken des Gegenübers schweigt. Es musste ja so kommen: Die Turmuhr von St. Vincentius liebt es geradezu, sich in die Konzerte im Burgtheater einzumischen. Am Dienstag nutzte sie ihre Gelegenheit zwischen zwei Melodien von „Sholem alekhem, rov Feidman!“, um mitzuspielen, dieser unterbricht und lässt sie gewähren.
Die Corona-Auflagen sind für Bläser strenger als für andere, „normal“ ist die Situation auf der Bühne nicht. Aber Feidman hat sich auf das Konzert in Dinslaken gefreut, seit er für von der Din-Event für die Sommerkultur gebucht wurde. Es ginge ihm nicht um die Bühne, erklärt er, er braucht die musikalische Kommunikation, das Mit-Teilen der Seele. Es ist vielleicht nicht jedem bewusst, aber wenn man das nicht hat, kommen Stress und Verwirrung“. Feidmans Musiker-Sein in der vierten Generation? Nicht einfach ein Beruf, sondern eine Berufung, ein Dienst an der Gesellschaft, Musik als humanitäre Botschaft zu verkünden.
Musikalisches Gebet
Am greifbarsten für das Publikum ist dies vielleicht mit dem musikalischen Gebet eines muslimischen Komponisten, das Feidman als Jude nicht nur im Burgtheater, sondern auch in christlichen Kirchen spielt. Weil Musiker nicht Christen, Muslime oder Juden sind, sondern Menschen. „Klezmer“, Klangkörper der Seele.
„Teilen wir Melodien, die den Moment repräsentieren“, verkündet Giora Feidman und spielt Cohens „Halleluja“ und Armstrongs „Wonderful World“.
Natürlich ineinanderübergehend, in einem Atemzug.
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