Voerde. Pastor Wilhelm Kolks stellte seine zweite Voerder Chronik 1900-1950 vor. Zeitzeugin Anna Alsdorf-Berg und Archivarin Kirsten Lehmkuhl waren dabei.

Den Termin zur Präsentation seines neuen Buches hat Pfarrer Wilhelm Kolks nach draußen gelegt – unter das Kreuz am Rheindeich in Ork. „Das Kreuz dient uns zum Frieden. Wir müssen unsere Geschichte lebendig halten.“ Mit dem Buch „Voerder Chronik 1900 - 1950, Quellen der Geschichte von Voerde (Niederrhein)“ legt der Pastor von St. Peter Spellen den Nachfolgeband der 2019 erschienenen „Voerder Chronik 1792 - 1900“ vor.

Wieder ging es ihm vor allem darum, Quellen sprechen zu lassen. Dazu hat er aus verschiedenen Archiven unter anderem Schulchroniken gesichtet und die Heimatliteratur durchsucht. Auch Auszüge aus Tagebüchern und Akten dokumentieren – chronologisch geordnet – was in den Ortsteilen von Voerde, zu denen damals auch Eppinghoven und Lippedorf gehörten, von 1900 bis 1950 geschah.

Schicksale der Zwangsarbeiter geschildert

So erfährt man Näheres von den „Rhabarbermenschen auf der Waldheide“ (sie bauten nackt ihre Häuser), den „Märzunruhen“ des Jahres 1920 und vieles mehr. Besonders ausführlich sind die Jahre 1933 bis 1945 dokumentiert. Viele Opfer des Nationalsozialismus und der Bombenangriffe des 2. Weltkrieges werden hier namentlich aufgeführt und auch die Schicksale der Zwangsarbeiter geschildert (es gab auch ein Durchgangslager in Friedrichsfeld).

Intensiv hat sich der Autor mit dem „Rheinübergang“ der Alliierten am 24. März 1945 beschäftigt, den Kolks in seinem Verlauf aus verschiedenen Quellen (etwa Offiziersprotokolle) rekonstruiert hat und auf 25 Seiten dokumentiert. Wo ging Churchill rechtsrheinisch an Land? „Nicht in Mehrum oder Löhnen, sondern von Büderich aus zwischen Ork und Spellen“, sagt der Pfarrer und zeigt in die Richtung.

Fotos und Karten erstmals veröffentlicht

Illustriert ist das Buch mit vielen Fotos und Karten, die hier teilweise zum ersten Mal veröffentlicht werden. Auch gelang es dem Autor, manche bekannten Fotos einen bestimmten Ereignis zuzuordnen, so auf Seite 81, wo belgische Besatzungssoldaten auf einer Lokomotive, die auf der Lippebrücke steht, sich haben ablichten lassen. „Dahinter verbirgt sich die aufregende Geschichte der ‘Friedrichsfelder Aktion’ im Frühjahr 1923, bei der Eisenbahner Industriegüter aus der besetzten Ruhrzone heimlich herausbrachten“, weiß Kolks.

In dem Buch geht es aber auch um nicht Alltägliches in den Rheindörfern, etwa Überschwemmungen oder Raubüberfälle. Umfangreiche Register im Anhang lassen Namen, Häuser und Inhalte schnell finden.

Zeitzeugin erlebte Artilleriebeschuss

Zur Präsentation hatte der Pfarrer neben Voerdes Stadtarchivarin Kirsten Lehmkuhl auch eine Zeitzeugin eingeladen: Anna Alsdorf-Berg aus Ork. Die heute 89-Jährige wohnte früher am nahe gelegenen Uberg und hat als 14-Jährige den zweiwöchigen Artilleriebeschuss vor der Rheinüberquerung zusammen mit ihrer Mutter, den beiden Schwestern und einigen anderen im Rübenkeller des Hauses miterlebt.

„Ich hatte noch nie drei farbige Soldaten gesehen. Sie kamen herein und riefen ‘Hands up!’“. Wir hatten Angst.“ Am anderen Morgen sei ein Nachbar gekommen: „Anna, lebst du noch?“. „Wir haben uns später aus dem Keller herausgeschlichen.“ Auch an den Beschuss der beiden Kirchen in Spellen erinnert sich die Zeitzeugin. Zunächst sei der Turmhelm von St. Peter beschädigt worden, später seien katholische und evangelische Kirche eingestürzt. „Ich habe es unter Tränen gesehen“, sagt die 89-Jährige.

Opfer dem Vergessen entreißen

In seinem Vorwort schreibt Pastor Kolks über seine Motivation für das Buch: „Mir war dabei wichtig, die Opfer zweier Weltkriege und des Naziregimes dem Vergessen zu entreißen und ihre Namen zu nennen. Ihre Schicksale zeigen, wozu es führen kann, wenn auch heute wieder Populisten mit Feindbildern arbeiten, die Verbrechen der Vergangenheit leugnen oder kleinreden und man ihnen glaubt oder seine Stimme gibt. Wenn dieses Buch dazu beiträgt, die Vergangenheit nicht zu verdrängen oder zu verklären, dann hat sich die Mühe damit gelohnt. Die Erinnerung mag manchmal schmerzlich sein, aber sie ist der einzige Weg der ‘Erlösung’.“

Das Buch von Pastor Kolks ist im örtlichen Voerder Buchhandel erhältlich. Es umfasst 278 Seiten und kostet 30 Euro.

Ein dritter Band zur Voerder Chronik von 1951 bis 1981 ist in Vorbereitung.