Dinslaken. Angehörige potenzieller Spender werden vor der Organentnahme trotz bekundetem Willen des Verstorbenen befragt. Fingerspitzengefühl ist gefragt.

Die Entscheidung, nach dem Tod seine Organe zu spenden, fällt den meisten Menschen nicht leicht. Einem geliebten Angehörigen eine seiner beiden Nieren oder einen Teil seiner Leber zu spenden, wie es Erika Tepel machte, bedarf ebenfalls einer gründlichen Überlegung, fällt aber wesentlich leichter.

Auch ihr geht eine gründliche Befragung voraus, denn, erzählt Erika Tepel, „es musste gewährleistet sein, dass ich nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu meinem Mann stehe und er dies von mir verlangt.“ Den psychologischen Test allerdings, der dies klären sollte, fand Tepel nur zum Lachen. „Da kamen so Fragen wie: ‘Fühlen Sie sich verfolgt?’, ‘Hören Sie Stimmen’“, meint Erika Tepel.

Um Angehörigen in einem Todesfall nicht die schwierige Entscheidung über eine Organspende zu überlassen, empfiehlt Dr. Hilal Yayha, Neurochirurg und Transplantationsbeauftragter des Evangelischen Klinikums Niederrhein (EKN), zu dem auch das Evangelische Krankenhaus Dinslaken gehört, sich schon frühzeitig mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Einer repräsentativen Befragung zufolge stehen rund 84 Prozent der Befragten durchaus einer Organspende positiv gegenüber. Allerdings besitzt nur ein Bruchteil der Befragten einen Organspendeausweis. Immer noch ist das Thema mit Angst und Vorurteilen belastet.

Im Bundesrat gescheitert

Um die Zahl der potenziellen Spender zu steigern, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine doppelte Widerspruchslösung vorgeschlagen.

Auch seine Staatssekretärin, die frühere Dinslakener Bürgermeisterin Sabine Weiss, favorisierte diese Lösung. „Wir müssen die Bereitschaft zur Organspende steigern und dadurch Leben retten. Angesichts der rund 9500 Menschen, die auf ein lebensrettendes Organ warten, halte ich es für zumutbar, sich einmal in seinem Leben mit der Frage der Organspende zu beschäftigen“, sagt Weiss. „Es gibt wohl wenige Menschen, die ein Spenderorgan benötigen, aber eine Transplantation ablehnen würden.“ Für Weiss ist die Organspende ein Akt tätiger Nächstenliebe und Solidarität über den eigenen Tod hinaus.

Organspendeausweise
Organspendeausweise © FFS | Socrates Tassos

Nun, der Bundesrat entschied anders. Für Dr. Hilal Yayha eine vertane Chance. „Die Widerspruchslösung hätte vielen die Entscheidung ein wenig abgenommen, sie aber gezwungen, sich aktiv damit auseinanderzusetzen“, sagt er. Denn jeder hätte seinen Widerspruch kundtun müssen, sonst wäre er automatisch Spender geworden. „Wir sind ein Land der Nicht-Entscheider geworden“, meint Dr. Yahya. Denn die Verantwortung den Angehörigen zu überlassen, birgt für diese schwierige Gewissensentscheidungen in einer Situation, die ohnehin schon schwer genug ist. „Angehörige meinen den Nächsten zu kennen, aber in einer solchen Minute erkennen sie, wie wenig sie über den geliebten Menschen wissen“, weiß Yahya. Liegt der Wille des Verstorbenen vor, ist es für den Angehörigen leichter.

Hier ist ein Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung hilfreich. Anmerkungen wie „wenn keine Hoffnung besteht“ oder „im Falle eines Hirnschadens...“ in der Patientenverfügung reichen aber nicht, so der Neurochirurg und Transplantationsbeauftragte. „Patienten sollten sich schon konkret ausdrücken.“ „Ich möchte intensivmedizinisch betreut werden, wenn ich dadurch als Organspender geeignet wäre“ sei eine eindeutige Absichtserklärung, so Yahya.

Angehörige befragt

Angehörige potenzieller Spender, also Menschen, bei denen der Hirntod eingetreten ist, werden vor einer Organentnahme immer befragt, selbst wenn ein Organspendeausweis vorliegt. „Der Spender kann sich im letzten Moment umentschieden haben“, erklärt der Transplantationsbeauftragte. „Ein Ausweis macht’s den Angehörigen etwas leichter, den letzten Willen des geliebten Menschen zu erfüllen. Auch für mich als Arzt.“ Leicht fallen ihm auch nach fast 20-jähriger Erfahrung im Umgang mit Hinterbliebenen diese Fragen nicht. „Das ist ein sensibler und intensiver Moment“, so Dr. Hilal Yahya, „denn wir dringen in kürzester Zeit nach dem Tod des geliebten Menschen in ihren Schmerz ein.“ Und so etwas lernt kein Arzt im Studium, da sind Empathie und Zurückhaltung gefragt.

Dr. Yahya scheint dies zu beherrschen, denn das EKN ist führend bei der Zahl der Organspender. 15 an einem Hirntod verstorbene Patienten konnten im vergangenen Jahr als Spender gemeldet werden. Lediglich die Uni Klinik Essen hatte eine vergleichbare Zahl aufzuweisen. „In ganz Deutschland gibt es kein so genanntes B-Haus, also normales Krankenhaus, mit dieser Anzahl“, sagt Dr. Yahya. Das liege an dem besonderen Augenmerk, das man in den Evangelischen Kliniken Niederrhein dem Thema Organspende widmet.

Die Diyanet-Moschee in Lohberg spricht sich laut ihrem Vorsitzenden Özkan Yildiz für die Bereitschaft zur Organspende aus. Es sei die Pflicht eines jeden Gläubigen. Anders als hier würde sogar in der Türkei durch Werbespots dazu aufgerufen, bestätigt die Integrationsbeauftragte der Stadt Dinslaken Elmas Yilmaz die Aussage.

AWG-Ratsmitglied Remzi Ugur ist Organspender. „Ich habe mich allerdings schon mal gefragt, ob die gespendeten Organe dann muslimisch oder christlich sind“, meint er lachend.