Hünxe. Zwei Zeitzeuginnen sprachen in der Gesamtschule Hünxe: Eva Weyl (84) überlebte den Holocaust. Enke Winter ist Enkelin eines Lagerkommandanten.
„Ihr seid nicht verantwortlich für die deutsche Vergangenheit, aber dafür, die deutsche Vergangenheit zu kennen“, betonte die Holocaust-Überlebende Eva Weyl. Erst dann sei es möglich, eine neue, bessere Zukunft zu bauen. Sie und Anke Winter, die Enkelin des Lagerkommandanten Albert Konrad Gemmeker, sprachen am Donnerstag an der Gesamtschule Hünxe (GSH) über ihre Geschichten. Initiiert wurde der Zeitzeugenvortrag von Frank Merten, Geschichtslehrer und Koordinator für Gesellschaftslehre an der GSH.
Als eine Mutter durch Zufall von der Arbeit Anke Winters erfuhr und der Schule vorschlug, die beiden für einen Vortrag an die Schule zu holen, war er sofort begeistert. Gemeinsam mit den Schülern erarbeitete er schon vorher Fragen, die sie am Donnerstag stellen konnten.
Als Eva Weyl begann zu reden, war kein Tuscheln mehr zu hören. Energisch richtete die Zeitzeugin gleich einen starken Appell an die Schüler: „Es ist eure Pflicht, darüber zu reden. Es ist eure Pflicht, zu sagen: ‚Nie wieder Krieg!‘“ Gebannt hörten die Schüler ihrer Geschichte zu. Für Eva Weyl das größte Kompliment: „Ich brauche nur zu wissen, wie lange sie still sind. Das sind meine Geschenke: Die Gesichter, wie sie lauschen und horchen.“
Westerbork war ein Durchgangslager
Eva Weyl ist 84 Jahre alt. Sie wurde in den Niederlanden geboren, wohin ihre Eltern kurz nachdem die NSDAP an die Macht kam, immigrierten. 1942 werden Eva Weyl und ihre Familie nach Westerbork geschickt. Ein so genanntes Durchgangslager, von welchem aus inhaftierte Juden in die Vernichtungslager in Richtung Osten transportiert wurden. Westerbork sei in seiner Perfidie einmalig gewesen, erzählte Eva Weyl. Den Inhaftierten sei es gut gegangen. Es habe genügend zu essen gegeben, Arbeit, ein Theater und sogar das größte Krankenhaus der Niederlande gehörte zum Lager. Tod und Folter nicht. Nur eine Strafe habe es gegeben: den Transport in die Konzentrationslager im Osten.
Verstanden, was tatsächlich mit den jüdischen Häftlingen passierte, habe sie während ihrer Zeit im Lager nicht: Als sie acht Jahre alt ist, sagte ihre Mutter, sie sei alt genug, um mit ins Theater zu kommen. Sogar ein neues Kleid habe sie für diesen besonderen Anlass bekommen. Dass es in dem Lager kein Bekleidungsgeschäft gegeben hat, habe sie nicht stutzig gemacht.
„Meine Mutter hat mir nicht gesagt, woher das Kleid kommt. Ich habe nicht gefragt.“
Später erfuhr Eva Weyl, dass es eine Baracke im Lager gegeben hat, mit all den Dingen, die die Häftlinge beim Transport in den Osten nicht mitnehmen durften. Auch ihr Kleid trug zuvor jemand anderes. Damit künftige Generationen es anders machen, hat sie es sich vor über zehn Jahren zur Aufgabe gemacht, vor Schülern und Lehrern über ihre Geschichte zu reden.
Anke Winter begleitet sie bei ihren Vorträgen
Seit Januar begleitet auch Anke Winter sie einmal im Monat bei ihren Vorträgen. Sie erzählte von ihrem Großvater Albert Konrad Gemmeker, dem Lagerkommandanten von Westerbork. Sie wolle ganz klar Stellung beziehen und die Lügen ihres Großvaters, er hätte nicht gewusst, was mit den abtransportierten Häftlingen passiere, aufklären. Beide wollen den Schülern nicht nur ihre Geschichten näherbringen. Sie wollen vor allem, dass sie lernen, nachzufragen und kritisch zu denken.
Eva Weyl sieht dies als ihr Lebenswerk: „Das ist meine Mission. Ich lebe, um euch mitzugeben, dass ihr nachdenkt.“ Vor allem, weil viele der Schüler bald zum ersten Mal wählen dürfen. Und ja, es stimme, sagte Eva Weyl: „Jede Partei wird demokratisch gewählt. Das heißt aber nicht, dass die Partei demokratisch ist oder die Mitglieder demokratisch denken“, betonte Eva Weyl. „Ihr wisst, was ich meine.“
Die Schüler waren beeindruckt von der Geschichte Eva Weyls und ihrer Person: „Einfach ‚wow‘“, findet Schülerin Celine (16). Auch wenn es irgendwann keine Zeitzeugen mehr gibt, ist sich Eva Weyl sicher: Ihre Geschichte wird weiterleben. Mit rund 75.000 Schülern habe sie schon über ihre Vergangenheit gesprochen. Wenn nur einige Wenige nach ihrem Vortrag weiter darüber redeten, habe sie es geschafft.