Voerde. Hans Martin Seydel nähert sich mit neuem Fotokalender einem vermeintlich sperrigen Thema. Vor allem ein Motiv dürfte zunächst Rätsel aufgeben.

Die Fassade bröckelt: Hinter der rissigen, löchrigen Wandschicht, an der sich Rosen emporranken, tut sich eine Mauer in rotem Klinker auf. Hans Martin Seydel hat dieses Motiv in einem Ort bei Stralsund entdeckt und fotografisch festgehalten. Nun macht der Voerder einen Blick darauf auch jenseits seiner privaten Sammlung möglich: Die fest stehende Mauer, die im Gegensatz zu dem zusehends an Substanz verlierenden Putz steht, hat es in seinen neuen Kalender und dort auf das Juni-Blatt geschafft. Diesmal widmet sich der ehemalige Fachbereichsleiter für Stadtentwicklung und Baurecht der Stadt Voerde, der im Sommer 2017 in den Ruhestand ging, dem Thema „Oberflächen“ – ein etwas sperriges Sujet könnte man meinen. Doch weit gefehlt.

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Der Untertitel seines Begleiters durch das nächste Jahr lautet „Sehen. Staunen. Achtsam sein“. Seydel möchte das Augenmerk auf Dinge lenken, über die man schnell hinwegschaut, wie er sagt. Er findet es gut, das Besondere, das sonst unter den Tisch fällt, präsentieren zu können. Betrachtet werde immer erst das Ganze. Der Voerder hält es da mit Hermann Hesses Buchtitel „Mit dem Erstaunen fängt es an“. Und in der Tat bietet sein Bildkalender Anlass zum Staunen und in der Folge zum Mutmaßen, woraus denn wohl diese oder jene Oberfläche bestehen oder was sich ganz plastisch dahinter verbergen mag – etwa hinter der Mauer, in die möglicherweise dereinst ein Backofen eingelassen war.

Dieses Foto könnte auf den ersten Blick Rätsel aufgeben. Es handelt sich nicht um ein Luftbild.
Dieses Foto könnte auf den ersten Blick Rätsel aufgeben. Es handelt sich nicht um ein Luftbild. © PR | Hans Martin Seydel

Nicht wenigen Betrachtern dürfte das Motiv zum Monat März in dem Fotokalender Rätsel aufgeben: Es scheint, als handele es sich um ein Luftbild – was einige auch schon vermutet hätten, bestätigt Hans Martin Seydel. Doch was für eine Fläche ist das, deren Struktur so seltsam anmutet und in deren Mitte eine wuchtig wirkende Erhöhung zu sehen ist?

Der Fotograf liefert die Auflösung. „Das ist eine Wunde, eine Warze an einem Baum.“ Die ursprüngliche Aufnahme lässt den Stamm erkennen. Hans Martin Seydel aber hat das Mittel der Ausschnittsvergrößerung gewählt – und so etwas vollkommen Neues geschaffen.

Im Januar kann der Betrachter imaginär in Portugal auf einer schmalen Gasse wandeln. Zwischen den sehr unterschiedlich gestalteten Pflastersteinen ist Grün gewachsen. Die Natur erobert sich auch im Monat April ein Stück von dem, was Menschenhand – hier mit Hilfe natürlichen Materials – erschaffen hat: Moos macht sich auf einem Reetdach, das Hans Martin Seydel bei einem Besuch auf Rügen ins Auge fällt, breit. Hier ist es der farbliche Kontrast, der ihn fasziniert hat, aber auch die Schattenformen findet er bei dieser Oberfläche fotografisch „sehr interessant“.

Der Monat Dezember liefert einen echten Hingucker

Volle Farbe trifft Tristesse: Der Monat Dezember liefert einen echten Hingucker. Inmitten grauer Häuserfassaden mit dunkelbraunen Fensterläden sticht ein orangefarbener Anbau mit blauer Tür heraus. Nicht nur die Farben stehen hier in einem krassen Kontrast, auch die Oberflächen selbst – glatter Putz gegen steinerne Wände – bilden einen augenfälligen Gegensatz. Auch dieses Foto ist wie die meisten im Urlaub entstanden. In diesem Fall in Italien.

Hier trifft volle Farbe auf Tristesse.
Hier trifft volle Farbe auf Tristesse. © PR | Hans Martin Seydel

Bei der Auswahl der Bilder für den neuen Kalender spielen für Hans Martin Seydel die grafische Präsenz und die Varianz eine Rolle. Auch sollte das Motiv so interessant sein, dass es taugt, einen ganzen Monat angeschaut zu werden, wie er mit einem Schmunzeln erklärt.

Und so hat etwa die braungraue steinige Fläche an einer Küste nicht Eingang in den Kalender, aber immerhin ein kleines Plätzchen auf dem Titelblatt seines Jahresbegleiters gefunden.

Hans Martin Seydel geht es beim Fotografieren mehr um das abseits der Technik, um das, was er mit den Ansichten sagen möchten. Deshalb überlegt er auch, wie er für das mögliche nächste Thema „Meer“ seine Nische finden könnte.

>>Info: Kalender ist in der „Lesezeit!“ erhältlich

30 Stück hat Hans Martin Seydel von seinem neuen Fotokalender in den Druck gegeben. Ein Teil wird verschenkt. Erhältlich ist der Jahresbegleiter für 13 Euro bei der Buchhandlung „Lesezeit!“ an der Bahnhofstraße in Voerde. Nachdrucke seien bei Interesse möglich, so Seydel.