Voerde. In Voerde soll ein 28-Jähriger eine Frau aufs Gleis gestoßen haben, sie verstarb. Warum wurde der polizeibekannte Mann nicht früher verhaftet?

Der 28-Jährige aus Hamminkeln, der die 34-jährige Mutter aus Voerde am Samstag vor den Zug gestoßen und ermordet haben soll, war schon vorher auffällig und gewalttätig. Im Polizeiregister finden sich Einträge „im zweistelligen Bereich“, so Jacqueline Grahl, Sprecherin der Polizei Duisburg. Warum hat niemand die Gefahr, die von dem Täter ausging, rechtzeitig erkannt? Darüber haben wir mit Staatsanwaltschaft und Polizei gesprochen.

Das wurde dem mutmaßlichen Täter schon zur Last gelegt

Die Liste der Taten, die dem 28-Jährigen schon in der Vergangenheit zur Last gelegt wurden, ist lang und reicht von Fahren ohne Führerschein und Sachbeschädigung über Diebstahl bis zu Körperverletzung und Widerstand gegen Polizisten.

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Der 28-Jährige soll im März einen Treckerfahrer in Brünen bedroht, ein älteres Ehepaar und einen Polizisten verletzt haben, bestätigt die Polizei. Auch die Vorfälle im Juni bestätigt die Polizei, berichtet außerdem von Tankbetrug, Schlägereien und Eigentumsdelikten auch aus der Zeit in Alsdorf, wo der 28-Jährige lebte, bevor er nach Brünen zog. Zweimal habe der Beschuldigte in Haft gesessen, allerdings als Ersatz für Geldbußen.

Das sagt die Polizei

Auch die Polizei stellt sich diese Frage: „Hätte man vorher etwas entdecken können, um das zu verhindern?“, so Jacqueline Grahl. Generell nehme die Polizei Straftaten auf und beurteile die Lage vor Ort. Im weiteren Verfahren erst werde gegebenenfalls überprüft, „wie jemand tickt.“ Die Ermittlungen zu den Tatvorwürfen im März und Juni sind allerdings noch nicht abgeschlossen, so die Polizeisprecherin. Sie liegen der Staatsanwaltschaft also noch nicht vor.

Zudem könne aus den Vortaten des 28-Jährigen nicht automatisch ein Mord abgeleitet werden. „Jemand, der häufiger mal eingebrochen ist, in Schlägereien verwickelt war oder seine Nachbarn bedroht hat, wird nicht automatisch zum Mörder,“ so Jacqueline Grahl. Eine solche Entwicklung sei extrem selten.

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Auch könne auf dieser Basis niemand eingewiesen oder gar „weggesperrt“ werden. „So funktioniert unser Rechtssystem nicht“, so die Polizeisprecherin. Selbst bei einer Zwangseinweisung kämen die Betreffenden nur „ein paar Tage“ in die Psychiatrie. Über die Dauer entscheiden Ärzte. „Da sind wir raus“, so die Polizeisprecherin. „Auf die Frage, wie konnte es so weit kommen, kann ich keine Antwort geben“, bedauert sie und fügt hinzu: „Dass wir uns alle wünschen, dass das so nie passiert wäre, das ist klar.“

Das sagt der Staatsanwalt

Zu der langen Liste an Delikten, die dem 28-Jährigen in der Vergangenheit zur Last gelegt wurden – und somit auch zu deren Interpretation – kann Staatsanwalt Alexander Bayer noch nichts sagen. Die Akten würden nun zusammen gezogen, was ein paar Tage dauern könne. Nicht alle Verfahren, in denen die Polizei ermittelt, würden gleichzeitig bei der Staatsanwaltschaft liegen, erklärt er. „In den einfach gelagerten Fällen ermittelt die Polizei erst zu Ende und schickt die Akte dann zur Staatsanwaltschaft.“ Dann erst könne man sehen „was es damit auf sich hat.“

So geht es weiter

Der 28-Jährige, der in der JVA Hamborn sitzt, habe in seiner Vernehmung kein Wort gesagt, berichtet Alexander Bayer. In dieser Woche noch würden „alle Menschen vernommen, die etwas mitbekommen haben.“ Einer davon ist Havel Isso. Der 31-Jährige hat sich am Tatort als erster „heldenhaft auf den mutmaßlichen Mörder geworfen und diesen festgehalten,“ berichtet Polizeihauptkommissar Stefan Hausch, Leiter der Pressestelle der Polizei Duisburg. Isso habe mit seiner Familie auf den Zug gewartet und ein Auge auf den späteren mutmaßlichen Täter gehabt. Dieser sei unruhig im Kreis gelaufen, habe den kleinen Sohn des 31-Jährigen angesprochen. „Als er dann lossprintete, um die Frau vor den Zug zu stoßen, dachte Herr Isso, der Mann habe es auf seinen Sohn abgesehen und ist ebenfalls losgesprintet“, berichtet Hausch von der Aussage des Irakers. Die Polizei sichtet aktuell auch Videoaufnahmen aus dem Zug, die das Verbrechen möglicherweise festgehalten haben.

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© Lars Heidrich / FUNKE Foto Services | Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Gleichzeitig versucht die Staatsanwaltschaft, den Hintergrund des Beschuldigten aufzuhellen, so Alexander Bayer: „Was ist das für ein Mensch, was ist das für ein Typ?“ Es habe keine Vorbeziehung zu dem Opfer, keinen Streit gegeben. Dennoch habe der mutmaßliche Täter die Mutter einer 13-jährigen Tochter „zielgerichtet vor den einfahrenden Zug gestoßen. Es kam ihm nur darauf an, diese Frau zu töten“, so Bayer. Dass jemand aus Mordlust jemanden umbringt, „passiert selten“, so der Staatsanwalt. „Meist passieren solche Sachen nicht aus heiterem Himmel, meist gibt es eine Vorgeschichte oder die Täter sind psychisch krank und greifen einen Menschen an“, so Bayer. Dafür aber „liegen in diesem Fall keine Anhaltspunkte vor.“ Der Verdächtige werde noch psychiatrisch begutachtet.

>>Die Stadt Voerde trauert

Rat und Stadtverwaltung Voerde drücken ihre Anteilnahme in einem gemeinsamen Schreiben aus. „Durch eine grausame Tat ist am Bahnhof Voerde eine junge Voerder Bürgerin getötet worden. Für uns alle ist unbegreiflich, wie ein Mensch hierzu im Stande sein kann. Rat und Verwaltung sprechen den Angehörigen des Opfers ihr tiefes Mitgefühl aus und bedanken sich bei allen Voerder Bürgern für ihre Solidaritäts- und Beileidsbekundungen.“