Dinslaken. Wladimir Kaminer gelang beim zweiten Auftritt im Fantastival der Spagat zwischen heiterer Realsatire und scharfer Beobachtung der Gesellschaft.
Wladimir Kaminer begann den Abend mit Widerspruch: Seine Lesung im Rahmen des Fantastivals sei keine Wiederholung von 2015. Schließlich habe sich seitdem viel getan. Die Kinder, die damals pubertierten, glaubten inzwischen, sie seien erwachsen. Tochter Nicole studiert etwas, das er nicht versteht, woraus er aber Geschichten machen kann, und der Sohn ist noch auf der Suche nach sich – leider am falschen Ort, in der heimischen Küche. Die Mutter (87) lernt nicht mehr Englisch an der Volkshochschule, weil die Kursleiterin – die Jüngste in der Runde – in Rente ging. Die netten, kulturbeflissenen wie wissbegierigen Omas treffen sich nun plus Fahrer Frank allwöchentlich zu Konzert- und Ausstellungsbesuchen.
Der erste Gedanke erfüllt sich
Vor allem aber: Im Jahr nach dem ersten Fantastival-Auftritt zwinkerte eine kleine Eidechse dem russisch-deutschen Erfolgsautoren zu. Und wenn solches passiert, erfüllt sich der Gedanke, den man gerade hatte, als Wunsch. Kaminer saß gerade mit seiner Frau in einer Strandbar auf Teneriffa und überlegte, ob zu den Programmen auf Kreuzfahrtschiffen wohl auch Lesungen gehörten. Drei Monate später wurde er von einem der großen Kreuzfahrtenunternehmen verpflichtet. „Stößchen!“ Was er auf drei Fahrten zwischen Griechenland im Baustellenzustand und der vom Hurrikan „Irma“ verwüsteten Karibik erlebte und beobachtete, veröffentlichte er 2018 in „Die Kreuzfahrer“. Am Sonntag berichtete er darüber den rund 300 Besuchern im Burginnenhof.
Kaminers realsatirische Texte
In Kaminers realsatirischen Texten wird das Kreuzfahrtschiff zum Synonym für die westliche Gesellschaft. Sie ist auf der Flucht wie die Geflüchteten. Aber für die modernen Kreuzfahrer bedeutet es Sicherheit, wenn der Boden unter ihren Füßen schwankt. „Stößchen!“ An Bord lässt es sich leben, da hält der Alkohol den Partystimmungspegel konstant hoch. An Land droht die Realität. Trump, Putin, Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Du wirst auf glitschige Wege geführt, damit dich freundliche Reisebegleiter retten dürfen – gegen Bares. Das Paradies ist austauschbar, ist das eine zerstört, wird halt das andere angesteuert. Und egal wo man hinkommt, die, die es zu Hause auch nicht mehr ausgehalten haben, sind schon da. Egal, ob sie ebenfalls Touristen sind oder an den Touristenorten Arbeit und ein neues Leben gefunden haben. Der Ukrainer tanzt als Grieche Sirtaki, die Deutsche kocht Japanisch. Und jeder erkennt in den Kaminers gleich die Russen – dabei sind ihre Pässe schon seit 30 Jahren deutsch. „Stößchen!“
Nein, er wolle mit diesen Geschichten nicht den Eindruck vermitteln, die Welt sei nicht zu retten. „In Teilen schon“, relativiert er – und macht es damit unterm Strich noch schlimmer.
Rotkäppchens Oma
Wie gut, dass es da noch das Private gibt. Enkeltöchter und ihre Großmütter. Die besuchen sich nicht, versucht Kaminer seiner Mutter beizubringen. „Doch“, kontert diese, „Rotkäppchen!“ Der Sohn und Vater in Personalunion hegt Zweifel. Wenn Rotkäppchen seine Oma mit einem Wolf verwechseln konnte, wie oft hat es diese zuvor gesehen? Außerdem habe Kaminers Mutter eine fauchende Katze, da brauche man nicht einmal mehr einen Wolf, um die Enkelin in die Flucht, oder zum Rauchen auf den Balkon zu treiben. Gut, dass es da die Rolling Stones gibt. Zur Waldbühne gehen Oma und Enkelin gemeinsam und der Schrittzähler der Seniorin steigt auf einmal von 46 auf 90.000.
Das Publikum amüsiert sich prächtig. Und es ist Wladimir Kaminer selbst, der es auf dem Weg von der Bühne zum Büchertisch der Buchhandlung Korn im Vorbeigehen auf den Punkt bringt: „Unglaublich nett hier!“
Zum zweiten Mal beim Fantastival dabei ist auch Jochen Malms-heimer. Der Bochumer serviert morgen Abend um 20 Uhr im Burgtheater „Dogensuppe Herzogin - ein Austopf mit Einlage“. Schön wäre es, wenn seine Gäste dafür auf den Sitzen bleiben könnten. Beim letzten Mal regnete es derart, dass Jochen Malmsheimer sein Publikum einlud, sich zu ihm auf die Bühne ins Trockene zu flüchten. Es gibt noch Karten für die Kabarettvorstellung an der Abendkasse. Sie kosten 28 Euro.
2000 Dinslakener Kinder erleben bereits morgen Vormittag, wie „Pumuckl“ das große Los zieht. Die Volksbank präsentiert das Kindermusical der Burghofbühne Dinslaken.