Hünxe. . An der Schule Am Dicken Stein in Bruckhausen sind die Hunde Sam und Tobi die Stars. Bevor die Schulhunde eingesetzt wurden, gab es viel zu tun.
Einige Schulkinder lugen an diesem Mittag aufgeregt um die Ecke – so viel Vorfreude auf den Englischunterricht? Eher auf die beiden Assistenten, die kurz darauf an der Leine von Schulleiterin Barbara Kehr und ihrem Mann Dieter Kehr zur Tür hereinkommen: mit Halsbändern, schwarzem Fell, freudig wedelnden Schwänzen und ganz treuen Hundeaugen. Das sind Sam und Tobi, die – in Menschenjahren gerechnet – mit zwei Jahren und fünf Monaten derzeit jüngsten Schüler an der Grundschule Am Dicken Stein in Bruckhausen. Seit vergangenem Herbst sind sie als Schulhunde hier im Einsatz – und für die Kinder die großen Stars.
Barbara und Dieter Kehr positionieren sich mit den Hunden im Klassenzimmer. „Wo sind Sam und Tobi?“, formulieren sie auf Englisch – und schon schnellen Zeigefinger in die Luft. „Sam and Tobi are between Mr. and Mrs. Kehr“ (Sam und Tobi sind zwischen Herr und Frau Kehr), „they are under the table“ (sie sind unter dem Tisch) oder auch „they are in front of the board“ (sie sind vor der Tafel).
Sam und Tobi sind Zwillinge, doch ganz mühelos halten die Kinder die beiden auseinander, jonglieren dabei von Mal zu Mal gekonnter mit den englischen Ausdrücken. „Ich find’s toll, um sich die Sachen einfacher zu merken“, sagt Henrike im Anschluss. Und Ida lobt: „Nicht an jeder Schule gibt es Englischunterricht mit Hunden.“
Das stimmt. Doch bis es soweit war, brauchte es Zeit. Eltern brachten Barbara Kehr bei einem Spaziergang in den Sommerferien 2017 auf die Idee, die beiden als Schulhunde auszubilden – damals waren Sam und Tobi noch ganz klein. „Bis dato habe ich gar nicht darüber nachgedacht“, blickt die Schulleiterin zurück. Doch dann beschäftigte sie sich mit dem Thema – und zwar umfangreich. Sie sammelte Informationen, schrieb Konzepte, holte Genehmigungen ein, ließ Desinfektionsspender anbringen. Auch musste bei den Eltern abgefragt werden, ob Kinder Allergien oder traumatische Erlebnisse mit Hunden hatten – hatte zum Glück niemand. Diese Abfrage erfolgt auch bei neuen Anmeldungen. „Das waren große Herausforderungen, ehe überhaupt mit dem Training der Hunde begonnen werden konnte“, sagt Barbara Kehr. Nun werden sie in allen Klassen eingesetzt, jeden Tag kommen sie für eine Stunde in die Grundschule.
Die Ausbildung war intensiver als gedacht. Seit 2017 besuchen Barbara und Dieter Kehr zwei Mal pro Woche das Training im Hundesportverein Hünxe-Krudenburg, das von Barbara und Harald Knopp geleitet wird. Der sogenannte „Will to please“ sei bei Labradoren sehr ausgeprägt, diese Hunde würden beim Zoll eingesetzt, seien geeignet, um auch als Therapie- oder Assistenzhunde genutzt zu werden, sagt Harald Knopp. Eine Herausforderung beim Training war für Barbara Kehr, an der Körpersprache zu arbeiten, so dass Kommando und Körperhaltung übereinstimmen. „Die Menschen müssen meistens mehr geschult werden, als die Hunde“, weiß Hundetrainerin Barbara Knopp.
In Vorgesprächen haben sie an der Grundschule Bruckhausen mit den Kindern besprochen, was zu beachten ist, wenn Sam und Tobi zu Besuch sind. Etwa, wo sie am besten gestreichelt werden oder auch, dass Streitigkeiten vorab geklärt sein müssen. „Sam und Tobi sind sehr empfindsam, sonst fühlen sie sich nicht wohl“, sagt Barbara Kehr, außerdem seien die Hunde Meister der non-verbalen Kommunikation. Der Umgang mit den Hunden steigere die sozialen und emotionalen Fähigkeiten der Kinder. Und es trage zu einer ruhigen Arbeitsatmosphäre bei – die Kinder nehmen Rücksicht auf die Hunde.
So ist es an diesem Tag auch in der Klasse 4b erstaunlich ruhig, als die Schüler hier ihre individuelle Lernzeit haben. Aus der Lesecke neben der Tafel lugt ein schwarzer Hundeschwanz hervor. Barbara und Dieter Kehr sitzen dort, Sam und Tobi liegen auf Decken auf dem Boden. Während Tobi noch etwas aufgeregt ist und sich nach den Kindern umschaut, döst sein Bruder hinter ihm liegend – fast so, als würden ihnen Muhammed (9), Tim (10) und Timur (9) mit der Lektüre zum Thema Fußball in den Schlaf lesen. Zwischendurch lassen sich die Hunde kraulen. Knuffelig und süß seien die Hunde, sagt Timur, dessen Oma auch einen Hund hat. Es fühlt sich „cool“ an, die Hunde zu streicheln, sagt Muhammed. Und Tim findet gut, dass man auch mal zu den Hunden gehen könne, wenn man nicht weiter komme.
So sorgen Sam und Tobi für Ablenkung im Schulalltag oder sollen die Kinder beim Lesen ermutigen. Soeben hat Emily (10) ein Gedicht vorgetragen. Tobi kommt ganz nah an das Mädchen heran, vielleicht will er sagen: Gut gemacht. „Manchmal schlabbern die Hunde das Buch ab“, sagt das Mädchen und lacht – das ist ihnen zu verzeihen, die Stars der Schule dürfen das.