Dinslaken. . Die Vorsitzende des Vereins „Stolpersteine für Dinslaken“ wird für ihre Forschung zu Opfern des Nationalsozialismus in Dinslaken ausgezeichnet.
Die Stolpersteine, die an vielen Stellen in Dinslaken an die Opfer der Nazis erinnern, sind nur das sichtbare Zeichen ihres Engagements: Seit Jahrzehnten erforscht Anne Prior die Schicksale der Dinslakener Juden, macht ihre Geschichte öffentlich: Zwei Bücher und unzählige Aufsätze hat sie geschrieben, sie hält Vorträge in Bildungseinrichtungen, arbeitet mit Schulen, hat den Verein „Stolpersteine für Dinslaken“ initiiert: Nun verleiht der Bundespräsident der Dinslakenerin das Bundesverdienstkreuz.
Die Schicksale der jüdischen Waisenkinder in Dinslaken
Von den Schicksalen der Kinder des jüdischen Waisenhauses in der Innenstadt etwa waren nur die städtischen Meldekarten geblieben. Bis Anne Prior die Lebenswege mit viel Akribie nachverfolgte – im Bundes-, bei Landes- und Regionalarchiven etwa, beim Internationalen Suchdienst, bei den Gedenkstätten in Deutschland und im Ausland, in der Opferdatei von Yad Vashem.
Sie ordnete und ordnet den Namen auf den Meldekarten wieder Gesichter und Leben zu. Elfriede Ingenkamp etwa, die mit einem Kindertransport in die Niederlande gebracht wurde und im Mai 1945 vermutlich von einer verirrten Kugel tödlich getroffen wurde. Oder Leo Friedländer, dessen Eltern 1929 bei einem Gasunglück im eigenen Haus verunglückten und der dann ins Dinslakener Waisenhaus kam. Sein Stolperstein soll in diesem Jahr, 80 Jahre nach den Pogromen, verlegt werden.
„Eine unglaubliche Anerkennung für meine Arbeit“
Als der Anruf kam, dass der Bundespräsident ihr auf Empfehlung des Ministerpräsidenten die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, so der offizielle Titel, verliehen habe, war die 62-Jährige erst einmal sprachlos.
„Unfassbar“ sei das, sagt sie, „eine unglaubliche Anerkennung für meine Arbeit“, die ihr „viel Freude und Auftrieb für Kommendes“ gebe. Aktuell beschäftigt sich Anne Prior mit der so genannten „Polenaktion“, dem Vorläufer des November-Pogroms sowie an dem Ausstellungsprojekt „80 Jahre Kindertransporte aus dem Rheinland und Westfalen“ des Lern- und Gedenkortes Jawne in Köln.
Der Zentralrat der Juden unterstützt die Verleihung ausdrücklich
Zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes möchte auch der Großneffe von Leo Friedländer aus Israel nach Dinslaken kommen. Auch der Zentralrat der Juden unterstützt die Verleihung ausdrücklich.
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Bemerkenswertes Signal
„Geben Sie diese Kinder nicht auf“ ist der Titel eines der Bücher von Anne Prior, das sich mit den Transporten von Kindern auch aus Dinslaken nach Belgien beschäftigt. Der Satz stammt aus einem Brief der Präsidentin des Comité d’Assistance aux Enfants juifs réfugiés an das American Joint Distribution Comitee. In der Bitte ging es um die ab 1938 mit den belgischen Behörden abgestimmte Flucht von 1000 jüdischen Kindern in das damals noch sicher erscheinende Nachbarland.
Die Menschen haben die Kinder damals nicht aufgegeben. Sie wurden aufgenommen – von Organisationen, Privatleuten, auch von christlichen Familien. „Schweigen Sie nicht, wo Menschen in Bedrängung sind“ – dazu rief Dinslakens stellvertretender Bürgermeister Thomas Groß bei der Vorstellung des Buches vor drei Jahren auf.
Und, jawohl, den Nazi-Terror mit der Gegenwart in Zusammenhang zu setzen, ist mehr als richtig. Denn am Anfang ihrer Forschung standen die fremdenfeindlichen Anschläge auf Asylbewerberheime in den 1990er Jahren, in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Solingen, auch hier in der Nähe, in Hünxe, sagt Anne Prior. Dieser „Hass auf Minderheiten“ habe sie bewogen, „vor Ort genau hinzuschauen“.
Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Anne Prior ist gerade auch in diesem Zusammenhang, in Zeiten der Diskussionen um Obergrenzen und Familiennachzug aus Kriegsgebieten, ein bemerkenswertes Signal. (Anja Hasenjürgen)